Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0457

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


BESPRECHUNGEN. 451

all das macht aufmerken! Aber — um es gleich zu sagen — die Erwartung wird
getäuscht. Zuerst stellt sich Langeweile ein, und bald folgt ein immer wachsender
Ärger ob der Flüchtigkeit, mit der Probleme berührt und dann gleich wieder ver-
lassen werden. Und es gehört ein gewisses Maß von Selbstüberwindung dazu,
nicht völlig dem unangenehmen Eindruck sich zu überlassen, sondern auch anzu-
erkennen, daß bisweilen wertvollere Gedanken aufleuchten, die wirklich in die Tiefe
zu führen scheinen, so besonders im letzten Teil, der von der Kunstentwicklung
handelt. Im allgemeinen aber herrscht der -gesunde Menschenverstand«. Inwie-
weit er im praktischen Leben erfreulich oder peinlich wirkt, darüber haben wir hier
nicht zu rechten; in der Wissenschaft kommt er meist über Banalitäten nicht hinaus;
er verstellt sich gleichsam selbst alle Wege, die weiter leiten unter die Oberfläche,
an den Grund des Meeres; selbstgefällig schaukelt er auf den sich kräuselnden
Wellen, ein blind vom Zufall herumgetriebenes Schiffchen. Der weitgehende
Psychologismus Bernheimers — der auch seine ganze Kunstauffassung und Wert-
theorie durchsetzt — ist der getreue Ausdruck dieser Einstellung. Nun würde ich
sicherlich mich bemühen, auch die Bedeutung einer mir irrig scheinenden Grund-
legung zu würdigen, wenn sie mit neuen Argumenten den Kampf aufnehmen und
auf ein vorher nicht befahrenes Geleise schieben würde. Von der gewaltigen Be-
wegung des letzten Jahrzehnts — die unsere Philosophie durchschüttert und be-
lebt — ist hier nichts zu spüren; in heiterer Naivität freut sich Bernheimer der
Sicherheit seines Standpunktes und ahnt vielleicht gar nicht, wie durchlöchert der
Boden ist, auf dem er baut. Er versucht kaum, die Löcher zu verstopfen. Das
Bedürfnis nach strenger methodischer Klärung fehlt; er philosophiert darauf los;
daß dabei auch glückliche Gedanken unterlaufen, will ich nicht bestreiten, aber
eine philosophische Kunstwissenschaft ist kein Blumenhaufen, sondern ein planvoll
geflochtener Kranz. Der Kranz ist die Hauptsache, nicht die einzelne Blüte; die
Kraft der Synthesis, nicht der zerflatternde Einzelfall.

"> Rein äußerlich betrachtet zeigt sich die Leichtigkeit, mit der Bernheimer ver-
fährt, in der Willkür der Literaturbehandlung. Wirkliche Literaturkenntnis gilt heute
zuweilen als überwundene Pedanteric; und keiner wird den toten Ballast namen-
gespickter Anmerkungen verteidigen wollen; aber zum Lebenden heißt es Stellung
nehmen, mag es unserer Zeit oder der Vergangenheit angehören. Und darum
muß gerade in einer ernsten Zielen dienenden Zeitschrift gegen eine Methode ge-
kämpft werden, die folgerichtig in einen Bankerott aller Wissenschaftlichkeit hincin-
steuert und in einer jeden anderen Disziplin als der Philosophie von vornherein
unmöglich wäre. Ich will nur einige Beispiele geben und dabei das Persönliche
ausschalten, obwohl Bernheimer langatmige Ausführungen über Funktionsgefühle
anstellt, ohne auch nur mein Buch über »die Funktionsfreuden im ästhetischen Ver-
halten« zu nennen, oder in seinen Betrachtungen über Farben weder Katz, noch
Jaensch oder mich erwähnt. Auf S. 62 gibt er die Literatur zur Einfühlung an und
verweist auf die historische Übersicht, die Paul Stern 1898 — also vor 16 Jahren —
zusammengestellt hat. Gewiß ist sie vortrefflich, aber das Sammelreferat von Moritz
Geiger auf dem Innsbrucker Kongreß oder die Darstellung von Meumann in der
zweiten Auflage seiner Ästhetik der Gegenwart entsprechen doch ganz anders dem
heutigen Stande der Forschung. Auch die Kritik, die Dessoir, Prandtl, Marty und
andere an der Einfühlung übten, hätte so wenig übersehen werden dürfen, als das
neue große Werk von Lipps. Auf einer so erweiterten Grundlage wäre Bernheimer
zweifellos vor manchen geradezu unbegreiflichen Versehen geschützt gewesen. Auf
S. 241 widmet er vier Zeilen dem Ursprung der Musik, er begnügt sich mit der
Anführung von Spencer, Bücher und Wallaschek. Hätte er sich um die Arbeiten
 
Annotationen