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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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Werner, Alfred: Zur Begründung einer animistischen Ästhetik, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0511

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500 ALFRED WERNER.

jedoch die Beseeltheit der Dinge nach dem bekannten »Animismus«
für Wirkliches gehalten wird, kommt die Vorstellung von Wirklichkeit
oder Nichtwirklichkeit der vorgestellten Kunstseele für das ästhetische
Bewußtsein gar nicht auf. Abgesehen von diesem Unterschied zwi-
schen Animismus und animistischer Ästhetik können wir als einen an-
deren die verschiedene Auffassung vom Menschen hervorheben; beide
stellen das ihnen jeweilig Gegebene analog ihrer besonderen Auffas-
sung vom Menschen vor. Während nun nach jenem »Animismus«a)
die Seele ihren Sitz im Körper hat, bedeutet der Mensch dem Anhänger
der animistischen Ästhetik kein Einzelwesen, sondern eine Wirkens-
einheit zweier Einzelwesen, Seele und Leib. Während der Animismus
die Seele als ein Ding im Leibe begreift, handelt es sich in der animisti-
schen Ästhetik um die Seele als ein Nichtdingliches, und zwar als ein
Bewußtsein, die sogenannte Kunstseele, deren Bestimmtheitsbesonder-
heiten, und zwar Gefühl und Stimmung, vom ästhetischen Betrachter
»bemerkt« werden. Das ästhetische Bewußtsein ist mehr in Ansehung
seines Gegenständlichen und Zuständlichen ein ästhetisch genießendes
Bewußtsein. Das Zuständliche des ästhetischen Bewußtseins ist immer
Lust. Sprechen wir von ästhetischem Genuß, so meinen wir also neben
Gefühls- und Stimmungsvorstellung stets auch Lust. Versteht man
demnach unter ästhetischen Gefühlen (I) den ästhetischen Genuß, also
gegenständliche und zuständliche Bestimmtheitsbesonderheit des ge-
nießenden Bewußtseins, so bedeutet ästhetisches Gefühl nicht eine
Gefühlsvorstellung, sondern tatsächlich Gefühl. Unter ästhetischem
Gefühl wird mithin zweierlei, das eine Mal nämlich Vorstellung (von
Gefühl), das andere Mal Gefühl verstanden. Sprechen wir von ästhe-
tischem Gefühl (1) im weiteren Sinne, so sind neben dem ästhetischen
Gefühl (II) im engeren Sinne Körperempfindung und vor allem auch
Lust zum ästhetischen Bewußtsein mitgerechnet. Die Innenempfindung
oder Körperempfindung ist aber für das ästhetische Bewußtsein niemals,
wie beim Sportgenuß, ein maßgebendes, sondern stets das begleitende
Gegenständliche.

Beim ästhetischen Genuß aber sind auch die beiden anderen noch
nicht erwähnten Bestimmtheiten des Bewußtseins, das Denken und die
Subjektbestimmtheit, keineswegs »ausgeschaltet«. Richten wir unseren
Blick auf alle vier Bestimmtheiten mit ihren Besonderheiten, so finden
wir mehr vor, als bei der Zergliederung ästhetisch genießenden Be-
wußtseins, womit meistens nur gegenständliche und zuständliche Be-
stimmtheitsbesonderheit gemeint werden.

') Gemeint ist die Körperseele. Vgl. Heinzelmann, Animismus und Religion.
Gütersloh 1913, S. 157.
 
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