WELTANSCHAUUNG UND KUNSTFORM VON SHAKESPEARES DRAMA. 509
ich wohl.« »Dann hat Euer Tod Augen im Kopf; ich habe ihn nicht
so gemalt gesehen; Ihr müßt Euch entweder den Weg weisen lassen
von Leuten, die sich einbilden, ihn zu kennen [Priester!], oder Ihr
übernehmt selbst, was Ihr doch sicher nicht wißt, oder Ihr setzt Euch
über alle diese Untersuchungen hinweg auf Eure eigne Gefahr; und
was Euch am Ende Eurer Reise begegnen mag, ich denke, Ihr kommt
nimmer zurück, es einem zu erzählen.« Hamlet erscheint durch dieses
Nichtwissenkönnen gelähmt. Er denkt darüber nach, während Shake-
speare in den Menschen seiner Komödien, der Historien, Romeos ganz
dem Genuß des Augenblicks und der Forderung des Tages lebt, sie
dasein, wirken, sterben, betrauert werden und früher oder später ersetzt
werden läßt.
Wo Shakespeare aber philosophiert, ist er selbst Hamlet. Die Erde,
ohne Raum für ein Weiterleben, erscheint ihm als Kerker. Richard II.
grübelt, wie er seinen Kerker der Welt vergleiche, und Hamlet sieht
die Welt von Mauern umgeben. »Dänemark ist ein Gefängnis.« »So
ist die Welt auch eins.« »Ein stattliches, worin es viele Verschlage,
Löcher und Kerker gibt.« — »Und es steht in der Tat so übel um
meine Gemütslage, daß die Erde, dieser treffliche Bau, mir nur ein
kahles Vorgebirge scheint; seht ihr, dieser herrliche Baldachin, die
Luft, dies wackre, umwölbende Firmament, dies majestätische Dach,
mit goldenem Feuer ausgelegt, kommt es mir doch nicht anders vor,
als ein fauler verpesteter Haufe von Dünsten.«
Das entscheidende Erlebnis Hamlets ist ein ethisches. Metaphy-
sisch ist sein Weltbild durchaus dem gleich, das auch sonst das Shake-
spearesche ist: eine Welt ohne Himmel, eine Welt, die in sich und
mit sich fertig werden muß. Während sie sich sonst selbstverständ-
lich durch die Tat auswirkt, steht sie für ein weniger tatkräftiges Er-
leben in der ethischen Harmonie da. Im Augenblick aber, wo diese
zerreißt, bricht die Welt, der kein Ausweg ins Transzendentale bleibt,
des ordnenden Prinzips ermangelnd, zu einem Chaos zusammen. Die
Schwäche seiner Mutter und die Verruchtheit des Oheim-Mörders läßt
Hamlet an der Gerechtigkeit verzweifeln und damit verliert er jeden
Anknüpfungspunkt an die Welt und an das Unendliche.
So erwächst hieraus ein allgemeiner Skeptizismus. Lebensüberdruß,
Ekel vor den Menschen, Zweifel an ihnen und am Charakter (der
Beständigkeit des einzelnen Lebens) wie an der Beständigkeit des
Lebens selbst, machen sich in dem ersten Monolog Hamlets und in
allen Reden zu Ophelia und zu den Hofleuten geltend. Das Leben
wird zu einem Mechanismus, dem mit der Richtung auf ein Höheres
der eigentliche Sinn des Lebens, seine wahrste Lebendigkeit abhanden
gekommen ist. »Der Deinige auf ewig, teuerstes Fräulein, solange
ich wohl.« »Dann hat Euer Tod Augen im Kopf; ich habe ihn nicht
so gemalt gesehen; Ihr müßt Euch entweder den Weg weisen lassen
von Leuten, die sich einbilden, ihn zu kennen [Priester!], oder Ihr
übernehmt selbst, was Ihr doch sicher nicht wißt, oder Ihr setzt Euch
über alle diese Untersuchungen hinweg auf Eure eigne Gefahr; und
was Euch am Ende Eurer Reise begegnen mag, ich denke, Ihr kommt
nimmer zurück, es einem zu erzählen.« Hamlet erscheint durch dieses
Nichtwissenkönnen gelähmt. Er denkt darüber nach, während Shake-
speare in den Menschen seiner Komödien, der Historien, Romeos ganz
dem Genuß des Augenblicks und der Forderung des Tages lebt, sie
dasein, wirken, sterben, betrauert werden und früher oder später ersetzt
werden läßt.
Wo Shakespeare aber philosophiert, ist er selbst Hamlet. Die Erde,
ohne Raum für ein Weiterleben, erscheint ihm als Kerker. Richard II.
grübelt, wie er seinen Kerker der Welt vergleiche, und Hamlet sieht
die Welt von Mauern umgeben. »Dänemark ist ein Gefängnis.« »So
ist die Welt auch eins.« »Ein stattliches, worin es viele Verschlage,
Löcher und Kerker gibt.« — »Und es steht in der Tat so übel um
meine Gemütslage, daß die Erde, dieser treffliche Bau, mir nur ein
kahles Vorgebirge scheint; seht ihr, dieser herrliche Baldachin, die
Luft, dies wackre, umwölbende Firmament, dies majestätische Dach,
mit goldenem Feuer ausgelegt, kommt es mir doch nicht anders vor,
als ein fauler verpesteter Haufe von Dünsten.«
Das entscheidende Erlebnis Hamlets ist ein ethisches. Metaphy-
sisch ist sein Weltbild durchaus dem gleich, das auch sonst das Shake-
spearesche ist: eine Welt ohne Himmel, eine Welt, die in sich und
mit sich fertig werden muß. Während sie sich sonst selbstverständ-
lich durch die Tat auswirkt, steht sie für ein weniger tatkräftiges Er-
leben in der ethischen Harmonie da. Im Augenblick aber, wo diese
zerreißt, bricht die Welt, der kein Ausweg ins Transzendentale bleibt,
des ordnenden Prinzips ermangelnd, zu einem Chaos zusammen. Die
Schwäche seiner Mutter und die Verruchtheit des Oheim-Mörders läßt
Hamlet an der Gerechtigkeit verzweifeln und damit verliert er jeden
Anknüpfungspunkt an die Welt und an das Unendliche.
So erwächst hieraus ein allgemeiner Skeptizismus. Lebensüberdruß,
Ekel vor den Menschen, Zweifel an ihnen und am Charakter (der
Beständigkeit des einzelnen Lebens) wie an der Beständigkeit des
Lebens selbst, machen sich in dem ersten Monolog Hamlets und in
allen Reden zu Ophelia und zu den Hofleuten geltend. Das Leben
wird zu einem Mechanismus, dem mit der Richtung auf ein Höheres
der eigentliche Sinn des Lebens, seine wahrste Lebendigkeit abhanden
gekommen ist. »Der Deinige auf ewig, teuerstes Fräulein, solange