518 ERWIN HERNRIED.
liehe Geschöpfe hier! Wie schön der Mensch ist! Wackre neue Welt,
Die solche Bürger trägt!« Prospero, der die Niedertracht dieser Welt
durch ihre äußere Hülle erkannt hat, antwortet milde: »Es ist dir neu.«
Und über Ferdinands und Mirandas Seligkeit: »So froh wie sie kann
ich nicht drüber sein, Die alles überrascht; doch größre Freude Ge-
währt mir nichts.« Was irdisches Glück und irdische Größe bedeuten,
weiß er wohl; aber er steht nicht an, mit allen Mitteln seiner Macht
sein irdisches Herzogtum zurückzuerobern. Der Weise blickt spöttisch
auf diese Wirklichkeit; aber sie hört darum nicht auf, Wirklichkeit für
ihn zu sein, mit der man sich abfinden muß. Dies Sein mag ein ver-
gängliches sein; es ist doch. Nichts liegt ihm ferner als sich asketisch
gegen das Sein zu wenden und seine Zuflucht in einem erträumten
Jenseits zu suchen. In heiterer Resignation ergreift er das Gegebene.
»Das Interesse, welches Shakespeares großen Geist belebt, liegt inner-
halb der Welt,« sagt Goethe in »Shakespeare und kein Ende«;
»denn wenn auch Wahrsagung und Wahnsinn, Träume, Ahnungen,
Wunderzeichen, Feen und Gnomen, Gespenster, Unholde und Zauberer
ein magisches Element bilden, das zur rechten Zeit seine Dichtungen
durchschwebt, so sind doch jene Truggestalten keineswegs Haupt-
ingredienzien seiner Werke, sondern die Wahrheit und Tüchtig-
keit seines Lebens ist die große Base, worauf sie ruhn; des-
halb uns alles, was sich von ihm herschreibt, so echt und kernhaft
erscheint.« Er gehöre nicht der romantischen, sondern der naiven
Gattung an, »da sein Wert eigentlich auf der Gegenwart ruht und
er kaum von der zartesten Seite, ja nur mit der äußersten Spitze an
die Sehnsucht grenzt«.
Wer weiß, wie weit Sehnsucht das eigentliche romantische Gefühl
ist, wird hier den ganzen großen Gegensatz sehen, in dem uns noch-
mals die völlige Einheit des Weltgefühls Shakespeares erscheint. Sehn-
sucht ist Entfernung von der Gegenwart, Bewegung zu einem Andern
der Gegenwart hin. Dem Gefühl des Seins tritt das Gefühl des
Werdens entschieden gegenüber. Zugleich ist Sehnsucht immer in
gewissem Sinne Nichthaben. Dem religiösen — transzendentalen —
romantischen Menschen genügt die Wirklichkeit nicht. Ihn verlangt
nach einer Entwicklung, nach einem Jenseits, nach einer Erlösung —
sei sie in einem Gott oder im Geiste zu finden, sei sie durch Kasteiung
oder in mystischer Vereinigung zu erreichen.
Shakespeare aber ist durchaus unreligiös. Nur daß es lächerlich
ist, das positivste und materiellste Weltgefühl mit einem Defekt zu
kennzeichnen. Von seinem Standpunkt gesehen, könnte gerade das
Wort Religiosität einen Mangel und mindestens eine krankhafte Aus-
bildung bedeuten. Auch wäre es unnütz, das Weltbild des Shake-
liehe Geschöpfe hier! Wie schön der Mensch ist! Wackre neue Welt,
Die solche Bürger trägt!« Prospero, der die Niedertracht dieser Welt
durch ihre äußere Hülle erkannt hat, antwortet milde: »Es ist dir neu.«
Und über Ferdinands und Mirandas Seligkeit: »So froh wie sie kann
ich nicht drüber sein, Die alles überrascht; doch größre Freude Ge-
währt mir nichts.« Was irdisches Glück und irdische Größe bedeuten,
weiß er wohl; aber er steht nicht an, mit allen Mitteln seiner Macht
sein irdisches Herzogtum zurückzuerobern. Der Weise blickt spöttisch
auf diese Wirklichkeit; aber sie hört darum nicht auf, Wirklichkeit für
ihn zu sein, mit der man sich abfinden muß. Dies Sein mag ein ver-
gängliches sein; es ist doch. Nichts liegt ihm ferner als sich asketisch
gegen das Sein zu wenden und seine Zuflucht in einem erträumten
Jenseits zu suchen. In heiterer Resignation ergreift er das Gegebene.
»Das Interesse, welches Shakespeares großen Geist belebt, liegt inner-
halb der Welt,« sagt Goethe in »Shakespeare und kein Ende«;
»denn wenn auch Wahrsagung und Wahnsinn, Träume, Ahnungen,
Wunderzeichen, Feen und Gnomen, Gespenster, Unholde und Zauberer
ein magisches Element bilden, das zur rechten Zeit seine Dichtungen
durchschwebt, so sind doch jene Truggestalten keineswegs Haupt-
ingredienzien seiner Werke, sondern die Wahrheit und Tüchtig-
keit seines Lebens ist die große Base, worauf sie ruhn; des-
halb uns alles, was sich von ihm herschreibt, so echt und kernhaft
erscheint.« Er gehöre nicht der romantischen, sondern der naiven
Gattung an, »da sein Wert eigentlich auf der Gegenwart ruht und
er kaum von der zartesten Seite, ja nur mit der äußersten Spitze an
die Sehnsucht grenzt«.
Wer weiß, wie weit Sehnsucht das eigentliche romantische Gefühl
ist, wird hier den ganzen großen Gegensatz sehen, in dem uns noch-
mals die völlige Einheit des Weltgefühls Shakespeares erscheint. Sehn-
sucht ist Entfernung von der Gegenwart, Bewegung zu einem Andern
der Gegenwart hin. Dem Gefühl des Seins tritt das Gefühl des
Werdens entschieden gegenüber. Zugleich ist Sehnsucht immer in
gewissem Sinne Nichthaben. Dem religiösen — transzendentalen —
romantischen Menschen genügt die Wirklichkeit nicht. Ihn verlangt
nach einer Entwicklung, nach einem Jenseits, nach einer Erlösung —
sei sie in einem Gott oder im Geiste zu finden, sei sie durch Kasteiung
oder in mystischer Vereinigung zu erreichen.
Shakespeare aber ist durchaus unreligiös. Nur daß es lächerlich
ist, das positivste und materiellste Weltgefühl mit einem Defekt zu
kennzeichnen. Von seinem Standpunkt gesehen, könnte gerade das
Wort Religiosität einen Mangel und mindestens eine krankhafte Aus-
bildung bedeuten. Auch wäre es unnütz, das Weltbild des Shake-