520 ERWIN HERNRIED.
Lyrik, in der bildenden Kunst die Malerei und in den Künsten über-
haupt die Musik, die etwas, was man »religiöse Kunst« nennen könnte,
am ehesten zur Darstellung bringen.
Von höchster Wichtigkeit für die Kunstform des Dramas ist somit
ein Gefühl, das der Religiosität ganz fremd ist und das die gesamte
Welt Shakespeares umfaßt: das einer Geschlossenheit des All. Es
steht hinter der positiven Lebensführung einer Gemeinschaft, hinter
dem einfachen, unbekümmerten, gegenständlichen und tätigen Sein der
Komödien und Historien. Es steht drohend vor dem Willen, den die
Unabänderlichkeit seines Schicksals lähmt und der angesichts des
Kreislaufs von Entstehen und Vergehen in düstere Betrachtung ver-
sinkt. Das Gefühl der Geschlossenheit bestätigt sich darin, daß
Energiegehalt und Lebenskraft der Welt sich fast dem Begriff von
Maß und Summe bequemen und so, in dieser Welt begrenzter Mög-
lichkeiten, das stärkste Leben seinen Bezirk auf Kosten der schwächeren
Gemeinsamkeitsinstinkte erweitern muß. Damit aber erhebt es sich in
seiner Unbedingtheit zum Symbol der großen Bejahung, die der Wille
zum Leben selbst vollzieht und, eine Welt innerhalb der Welt, zu-
gleich zu seiner höchsten Tragik. Mit dem bedingungslosen Ja zu
sich selbst erschafft es in sich ein ewiges Zeichen des unendlichen
und in sich abgeschlossenen Seins und den Maßstab seines absoluten
Werts.
II.
5. Von dem schaffenden Künstler aus betrachtet, stellt sich die Ge-
schlossenheit der kleinen Welt des Dramas so dar, daß der Dramatiker
alles in einem hat, daß er, mit der Niederschrift beginnend, bereits
die Vision des Ganzen besitzt. Fest umrissen steht der Bau einer
Handlung und das Schicksal das sie aufrollt vor seinen Augen. Der
ideale Schöpfungsakt vollzieht sich mit einemmale und darum mit be-
sonderer Stärke. Ein Organismus, der alles mitbekommt was er
weiterhin zum Leben braucht, wird herausgeworfen und völlig von
dem Schöpfer getrennt. Er ist ganz dessen Werk, aber, ganz ge-
worden, ist er ganz sein eigen, lebt von den Mitteln, die er mitbekam
und gehorcht seinen eigenen Gesetzen. Der Dramatiker schafft, möchte
man sagen, frei, aber seine Arbeit ist eine gebundene. Er selbst muß
den Notwendigkeiten folgen, die das von ihm geschaffene Gebilde
weitertreiben. Er muß, einmal diesen Fäden verfallen, ihrem Zuge
gehorchen und darf sich nicht mehr einer freien Einbildungskraft oder
dem willkürlichen Gange des äußeren Stoffes überlassen.
Innerhalb der Form des Shakespeareschen Dramas macht sich das
in der Technik der Exposition geltend. Die Exposition ist hier nicht
Lyrik, in der bildenden Kunst die Malerei und in den Künsten über-
haupt die Musik, die etwas, was man »religiöse Kunst« nennen könnte,
am ehesten zur Darstellung bringen.
Von höchster Wichtigkeit für die Kunstform des Dramas ist somit
ein Gefühl, das der Religiosität ganz fremd ist und das die gesamte
Welt Shakespeares umfaßt: das einer Geschlossenheit des All. Es
steht hinter der positiven Lebensführung einer Gemeinschaft, hinter
dem einfachen, unbekümmerten, gegenständlichen und tätigen Sein der
Komödien und Historien. Es steht drohend vor dem Willen, den die
Unabänderlichkeit seines Schicksals lähmt und der angesichts des
Kreislaufs von Entstehen und Vergehen in düstere Betrachtung ver-
sinkt. Das Gefühl der Geschlossenheit bestätigt sich darin, daß
Energiegehalt und Lebenskraft der Welt sich fast dem Begriff von
Maß und Summe bequemen und so, in dieser Welt begrenzter Mög-
lichkeiten, das stärkste Leben seinen Bezirk auf Kosten der schwächeren
Gemeinsamkeitsinstinkte erweitern muß. Damit aber erhebt es sich in
seiner Unbedingtheit zum Symbol der großen Bejahung, die der Wille
zum Leben selbst vollzieht und, eine Welt innerhalb der Welt, zu-
gleich zu seiner höchsten Tragik. Mit dem bedingungslosen Ja zu
sich selbst erschafft es in sich ein ewiges Zeichen des unendlichen
und in sich abgeschlossenen Seins und den Maßstab seines absoluten
Werts.
II.
5. Von dem schaffenden Künstler aus betrachtet, stellt sich die Ge-
schlossenheit der kleinen Welt des Dramas so dar, daß der Dramatiker
alles in einem hat, daß er, mit der Niederschrift beginnend, bereits
die Vision des Ganzen besitzt. Fest umrissen steht der Bau einer
Handlung und das Schicksal das sie aufrollt vor seinen Augen. Der
ideale Schöpfungsakt vollzieht sich mit einemmale und darum mit be-
sonderer Stärke. Ein Organismus, der alles mitbekommt was er
weiterhin zum Leben braucht, wird herausgeworfen und völlig von
dem Schöpfer getrennt. Er ist ganz dessen Werk, aber, ganz ge-
worden, ist er ganz sein eigen, lebt von den Mitteln, die er mitbekam
und gehorcht seinen eigenen Gesetzen. Der Dramatiker schafft, möchte
man sagen, frei, aber seine Arbeit ist eine gebundene. Er selbst muß
den Notwendigkeiten folgen, die das von ihm geschaffene Gebilde
weitertreiben. Er muß, einmal diesen Fäden verfallen, ihrem Zuge
gehorchen und darf sich nicht mehr einer freien Einbildungskraft oder
dem willkürlichen Gange des äußeren Stoffes überlassen.
Innerhalb der Form des Shakespeareschen Dramas macht sich das
in der Technik der Exposition geltend. Die Exposition ist hier nicht