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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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Hernried, Erwin: Weltanschauung und Kunstform von Shakespeares Drama
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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0545

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534 ERWIN HERNRIED.

der auszog, ein Königreich zu suchen und seines Vaters Eselinnen
fand, war doch als Kunstform das Evangelium der romantischen Kunst
und der Geist des Bildungsdrangs und der Lebenssuche romantischer
Geist. So mag der Schluß des Faust immer zur Erde weisen, er
weist doch zurück: hier ist dein Sein, die Tat dein Soll, Werk dein
Verdienst. Dies ist nur die Lehre, die der Lebenshunger, unbefriedigt
jeden Augenblick, schließlich erhält. Proteus mag seine strenge Weis-
heit verkünden: »Denn bist du erst ein Mensch geworden, Dann ist
es völlig aus mit dir«. Der Inhalt des Faust ist doch das Streben
nach höheren Orden. Und dies ist auch für die Kunstform des Faust
maßgebend, die wir ihren eigenen Gesetzen nach hier nicht aufstellen
können und die uns nur den Gegensatz zu Shakespeare noch einmal
erhalten sollte. Wir wollen nicht engherzig die fertigen Charaktere
allein für das Drama zulässig erklären. »Dramatische Charaktere« sind
nur sie. Ebenso sind dramatische Vorwürfe nur solche, die in sich
bereits das kommende Ringen einschließen. Hier aber steht am Be-
ginn nur eine Gestalt und vor ihr die offene Welt. Sie ist völlig frei.
Nur philosophisch betrachtet ist sie tragisch; eine Welt innerhalb des
Dramas, an der sie zerschellen mußte, gibt es nicht; dem dichterischen
Willen stünde bis zum letzten Augenblick frei, ihn wirklich in einer
Transzendenz Befriedigung finden zu lassen. Nur wenn die Welt in
irgend einer Sphäre gekreuzt wird, entsteht ein Ringen. Das ganze
aber ist kein Ringen. Es ist ein Weg, ist also Bewegung, Entwick-
lung, und der Zeit angehörig.

Dr. Erwin Hernried, ein junger österreichischer Gelehrter, seit einiger Zeit in
Berlin ansässig, war bei Kriegsausbruch freiwillig zum deutschen Heer nach Ost-
preußen geeilt. Dort ist er in den September-Kämpfen gefallen. Er hatte ge-
wünscht, daß die Sonderabdrücke der vorliegenden Arbeit mit einer Widmung an
seinen Freund und Kriegskameraden Dr. Eberhard Rudorff versehen würden. Nun
kann er weder die Aufsätze verteilen noch sich am Druck seines Erstlingsversuchs
erfreuen. Wer die Abhandlung gelesen hat, wird bedauern, daß eine feine Geistig-
keit vorzeitig erlöschen mußte; wer den Verfasser persönlich kannte, wird seines
frischen und liebenswürdigen Wesens stets gedenken; niemand sollte vergessen und
in diesen Blättern soll es auch für spätere Tage aufbewahrt bleiben, daß Erwin
Hernried aus freiestem Entschluß heraus sein Leben für unsere gute Sache einge-
setzt hat. M. D.
 
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