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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0575

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564 BESPRECHUNGEN.

trotz mancher Schwankungen in der einzuschlagenden Richtung läßt sich ihr jeden-
falls nicht nachsagen, daß sie Empirisches und Nichtempirisches verwechselt.

Aber auch die Art Apodiktizität, die der unmittelbaren Sinneswahrnehmung oder
dem unmittelbaren isoliert geschauten Wesenszusammenhang in einem Gebilde inne-
wohnt — eine Apodiktizität sozusagen unterhalb der empirischen Erkenntnis — wird
von Schmied-Kowarzik verwechselt mit jener apriorisch strengen Apodiktizität, die den
mathematischen Analysen innewohnt. Damit kommen wir auf einen ganz entschei-
denden Punkt, der meiner Ansicht nach das ganze analytisch-apodiktische Gebäude
Schmied-Kowarziks in seinem Fundament schon unsicher gemacht hat: er will eine
apodiktische Wissenschaft geben, betrachtet aber den Begriff des Apriori als einen
trüben, unklaren und überflüssigen, während für jeden Einsichtigen zweifellos sein
muß, daß eine apodiktische, nichtempirische Wissenschaft überhaupt nur mit einem
Apriori irgendeiner Art arbeiten kann. Über diesen Stein des Anstoßes für Schmied-
Kowarzik, nämlich das Apriori — dem er in Polemik gegen Kant und solche,
die sich in diesem Sinne an Kant halten, eine Reihe von eifernden Ausführungen
widmet, die durchweg auf Mißverständnissen beruhen — genau über diesen Stein
ist Schmied-Kowarzik bei seiner Aufstellung einer analytischen Psychologie, wie er
sie versteht, gestolpert. Und anderseits, sehen wir zu, was es ist, das ihm die Idee
einer analytisch-apodiktischen Psychologie sugger ert hat. Kommen wir zu den Aus-
führungen über das Farbenoktaeder, wie es in der Schule Jodls, an den sich Schmied-
Kowarzik vollständig hält, vor allem »analysiert« worden ist, so sieht man, was es
war, das ihm die Idee gab, die ganzen psychologischen Zusammenhänge könnten,
in der Art exakt behandelt, nur als Zusammenhänge so kontinuierlich aufgedeckt
werden wie die Stufen der Helligkeiten, Sättigungen, Farbenübergänge, die das »Farben-
oktaeder«, überhaupt die »Farbenmathematik« konstituieren. Und was gibt die
scheinbare Apodiktizität dieser Erkenntnisse? — denn es ist nicht anzunehmen, daß
die Zusammenhänge von Helligkeit, Sättigung, Färbung sich nie mehr anders dar-
stellen ließen als nach dem Schema des Oktaeders, daß sozusagen diese Auffassung
aere perennius ist, so wie daß 2x2 vier ist, und daß das letzte Wort in dieser
Sache für alle Zeiten gesprochen ist. Diese Apodiktizität ist erborgt, weil ein Raum-
schema als Symbol herangezogen ist, in dessen apriorische Beziehungen bestimmte
Inhalte der Sinneswahrnehmungen hineingeordnet sind. Schmied-Kowarzik setzt den
Typus des Symbols für diese Beziehungen der Wahrnehmungen schlankweg als
den Typus der Erkenntnis selbst, die da geboten wird, und übersieht, daß es das
vielgeschmähte Apriorische ist, was seiner Psychologie den Glanz einer apodikti-
schen Wissenschaft zu verleihen scheint — apodiktisch im mathematischen und
apriorischen Sinn überhaupt. Daher der Traum einer Psychologie more geometrlco
demonstrata. Tatsächlich paßt dieses Schema weit eher noch auf die zählende und
messende Experimentalpsychologie, als auf die Art Analyse, wie sie etwa die Phäno-
menologie gibt, oder die Art psychologischer Analyse, die Dilthey zum Verständnis
der geisteswissenschaftlichen Gebilde als Grundlage erwünschte. Bei fast allen Aus-
führungen Schmied-Kowarziks fragen wir uns: wie kann dies Grundlage einer
Geisteswissenschaft abgeben, wie es doch der Verfasser zu meinen scheint? Wenn
er sagt: »Wohin die Empfindungen des Kitzels, Kribbeins, Juckens, Schauderns ge-
hören, muß nach dem heutigen Stand der Analyse dahingestellt bleiben,« so mag
das Desiderat einer apodiktischen Wissenschaft von diesen Objekten, die an ihrem
Ort gewiß ihren Wert hat, sehr schmerzlich fühlbar sein — inwiefern eine Wissen-
schaft von diesen Aufgaben sich aber als Grundlage der Geisteswissenschaften (im
rezipierten Sinn) hinstellen kann, ist vollkommen unerfindlich.

Tatsache ist nun, daß Schmied-Kowarziks neue analytische Psychologie sich
 
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