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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0580

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BESPRECHUNGEN. 55g

und in jener panpsychistischen Naturbetrachtung zu finden, die von Leibniz neu-
belebt, Anhänger und Förderer fand bis hinauf in unsere Tage, wofür etwa Fechners
Namen zu nennen wäre. Schillers Weg hätte also Kants Straße nicht gekreuzt.
Wenn auch die These, durch offenkundige Beweise unmöglich geworden, in sich
zusammenfällt, und Bolze mit vollem Recht die ganze philosophische Entwicklung
Schillers unter dem breiten Schatten Kants sich abspielen läßt, so wäre es doch
sicherlich interessant gewesen, nnd hätte neue Perspektiven der Betrachtung er-
öffnet, wenn der Verfasser zu dieser Streitfrage Stellung genommen hätte.

Im Anfange, da Schiller die ästhetischen Probleme aus der zu allgemeinen
Fassung dichterischer Art heben und streng wissenschaftlich formen will, schwankt
er allerdings des öfteren noch zwischen zum Teil wörtlichen (terminologischen-
gedanklichen) Anlehnungen an Kant und Anschauungen, die denjenigen Kants völlig
widersprechen. Nach und nach aber übernimmt er Kantische Entwicklungen und
nimmt Stellung dazu, wodurch er, allerdings immer auf den von jenem gegebenen
Grundlagen fußend, hinauswächst in Sphären, in denen ihm die Probleme neue
Gesichter zuwenden.

Wenn auch der Versuch, sich aus der starren, objektiven Geschmacksregel
Kants hinauszuwinden und empirische Kriterien des Schönen zu finden (Kallias),
nur ein Versuch blieb, der nie zu Ende kam, so lag doch hier die Entwickluug an-
gebahnt, die Schiller zur Synthese der von Kant so scharf getrennten Begriffe von
Kunst und Schönheit führte, und jene Unterscheidung von freier und anhängender
Schönheit, nach welcher »eine Arabeske als Schönheit betrachtet, reiner sei, als die
höchste Schönheit des Menschen« einer scharfen und kritischen Beleuchtung unter-
zog. So rückte er einer Definition des Schönen immer näher, bis sie sich ihm in
idealer Humanität als »Freiheit in der Erscheinung« zu erkennen gab. In einer
Reihe von Betrachtungen aber verblieb Schiller ganz in den Anschauungsweisen
Kants und über den breitklaffenden Dualismus zum Beispiel, in bezug auf das Er-
habene und Schöne, hat auch er nicht verstanden die Brücke zu schlagen. — Auch
die Auffassung vom Erhabenen selbst, als dem Produkt »aus dem Gefühl unserer
Ohnmacht und Begrenzung einen Gegenstand zu umfassen« und anderseits aus
dem Gefühl unserer Übermacht, welche vor keinen Grenzen erschrickt und das-
jenige sich geistig unterwirft, dem unsere sinnlichen Kräfte unterliegen« ist ganz
von Kant übernommen, wie auch der Gedanke, daß nur durch dieses Erhabene
»ein Ausgang aus der sinnlichen Welt« geschaffen wird.

So erkennen wir immer und immer wieder, daß Schillers philosophischen und
ästhetischen Schriften Kantische Gedanken zugrunde liegen, über die, in synthe-
tischem Sinne, der Dichter nicht hinausgelangte, wenn auch anerkannt werden muß,
daß Kants Gedanken, durch ein neues Prisma gebrochen, in neuen Farben auf-
leuchten.

Hegel sagt an einer Stelle seiner Vorlesungen über die Ästhetik einmal: »Es
war der Kunstsinn eines zugleich philosophischen Geistes, welcher zuerst gegen
die abstrakte Unendlichkeit des Gedankens, jene Pflicht um der Pflicht willen, jenen
gestaltlosen Verstand, welcher die Natur und Wirklichkeit, Sinn und Empfindung
nur als eine Schranke, ein schlechthin Feindliches faßt und sich zuwider findet —
früher schon die Totalität und Versöhnung gefordert und ausgesprochen hat, als
sie von der Philosophie als solche aus ist erkannt worden. Es muß Schiller das
große Verdienst zugestanden werden, die Kantische Subjektivität und Abstraktion
des Denkens durchbrochen und den Versuch gewagt zu haben, über sie hinaus die
Einheit und Versöhnung denkend als das Wahre zu fassen und künstlerisch zu ver-
wirklichen.«

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft IX. 37
 
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