DIE PERSÖNLICHKEIT D. KÜNSTLERS IM KUNSTWERK U. IHRE BEDEUTUNG. 49
seiner Natur, daß formales Wohlgefallen oder Mißfallen entsteht, je
nachdem das Aufzufassende als zweckmäßig für unser auffassendes Ver-
mögen und seine Organe empfunden wird oder nicht. Nur glaube
man nicht, daß man mit einem Formprinzip, wie man es fassen möge,
der Gesamtheit der ästhetischen Tatsachen gerecht zu werden ver-
mag. Das Vorhandensein des Inhaltsästhetischen läßt sich nun einmal
nicht wegleugnen. Das ist schon durch die Tatsache des Naturschönen
ausgeschlossen. Treue, allen Widerständen trotzende Liebe und ebenso
tiefer Oram über den Verlust einer beglückenden Liebe sind schön,
mögen sie uns in der Kunst oder in der Natur begegnen, mögen sie
in formvollendeter Darstellung oder in der Formlosigkeit der Wirk-
lichkeit wahrgenommen werden, mögen sie Illusion erwecken oder
nicht. Zudem erklärt die reine Formästhetik den hohen kulturellen
Wert der Kunst nicht; sie vermag nicht zu sagen, warum das Ästhe-
tische ein ideales Gebiet, warum es heiliges Land ist, um das so viele
treue Templeisen unter Schmerzen und Entsagungen gerungen und
gestritten haben. Sie erklärt nicht einmal die ausgesprochenste Vart-
pour-Vart-Kunsi selbst; denn auch um sie weht und webt jener Zauber
des Geheimnisvoll-Mystischen, der echter Kunst eigen ist und sich
jedem empfänglichen Gemüt unmittelbar bekundet. Ich möchte mich
dafür auf die Äußerung eines leidenschaftlichen Vorkämpfers der
Artistenkunst und einer angeblich ihr allein gemäßen Formästhetik be-
rufen, die mir darum wertvoll und lichtbringend erscheinen will, weil
sie der Theorie zum Trotz dem unmittelbaren Eindruck zu seinem
Recht verhilft. Der Münchener Kunstkritiker B. Rüttenauer erklärt es
in einem Aufsatz über Trübner für einen vorsündflutlichen Wahn, das
Ästhetische im Gegenstand der Malerei zu suchen, da es doch allein
auf der malerischen Qualität beruhe. Demgemäß bezeichnet er als die
Elemente des Ästhetischen unter vielem anderen »Gleichgewichts-
verhältnisse, Verteilungs- und Einteilungsverhältnisse, Verhältnisse von
hell und dunkel, von einer Fläche zu ihrer Füllung, von vorn und
hinten, von links und rechts der Mittellinie, ferner die wichtigen Fragen
der Linienführung, der Überschneidungen, der Richtungsverhältnisse,
als etwa des Auseinander und Gegeneinander, des Horizontalen und
Vertikalen, des Parallelen und Divergierenden, in der Malerei besonders
die Wahl der Farbe, die Abwägung der Nuancen, das Zusammen-
stimmen der Töne«, — und dann fährt er fort: »nicht wahr? verdammt
prosaisch, fast an Geometrie oder sonst langweilige Nüchternheiten
erinnernde Dinge und die doch das ein und alles sind dessen, was
Kunst heißt und einzig die Ursache aller Lust und alles Zaubers, die
wir reinen Sinns in der Kunst genießen mögen — also, daß auf Ver-
hältnisse, auf Maß und Gewicht sich alles reduziert, was man dann
Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. IX. 4
seiner Natur, daß formales Wohlgefallen oder Mißfallen entsteht, je
nachdem das Aufzufassende als zweckmäßig für unser auffassendes Ver-
mögen und seine Organe empfunden wird oder nicht. Nur glaube
man nicht, daß man mit einem Formprinzip, wie man es fassen möge,
der Gesamtheit der ästhetischen Tatsachen gerecht zu werden ver-
mag. Das Vorhandensein des Inhaltsästhetischen läßt sich nun einmal
nicht wegleugnen. Das ist schon durch die Tatsache des Naturschönen
ausgeschlossen. Treue, allen Widerständen trotzende Liebe und ebenso
tiefer Oram über den Verlust einer beglückenden Liebe sind schön,
mögen sie uns in der Kunst oder in der Natur begegnen, mögen sie
in formvollendeter Darstellung oder in der Formlosigkeit der Wirk-
lichkeit wahrgenommen werden, mögen sie Illusion erwecken oder
nicht. Zudem erklärt die reine Formästhetik den hohen kulturellen
Wert der Kunst nicht; sie vermag nicht zu sagen, warum das Ästhe-
tische ein ideales Gebiet, warum es heiliges Land ist, um das so viele
treue Templeisen unter Schmerzen und Entsagungen gerungen und
gestritten haben. Sie erklärt nicht einmal die ausgesprochenste Vart-
pour-Vart-Kunsi selbst; denn auch um sie weht und webt jener Zauber
des Geheimnisvoll-Mystischen, der echter Kunst eigen ist und sich
jedem empfänglichen Gemüt unmittelbar bekundet. Ich möchte mich
dafür auf die Äußerung eines leidenschaftlichen Vorkämpfers der
Artistenkunst und einer angeblich ihr allein gemäßen Formästhetik be-
rufen, die mir darum wertvoll und lichtbringend erscheinen will, weil
sie der Theorie zum Trotz dem unmittelbaren Eindruck zu seinem
Recht verhilft. Der Münchener Kunstkritiker B. Rüttenauer erklärt es
in einem Aufsatz über Trübner für einen vorsündflutlichen Wahn, das
Ästhetische im Gegenstand der Malerei zu suchen, da es doch allein
auf der malerischen Qualität beruhe. Demgemäß bezeichnet er als die
Elemente des Ästhetischen unter vielem anderen »Gleichgewichts-
verhältnisse, Verteilungs- und Einteilungsverhältnisse, Verhältnisse von
hell und dunkel, von einer Fläche zu ihrer Füllung, von vorn und
hinten, von links und rechts der Mittellinie, ferner die wichtigen Fragen
der Linienführung, der Überschneidungen, der Richtungsverhältnisse,
als etwa des Auseinander und Gegeneinander, des Horizontalen und
Vertikalen, des Parallelen und Divergierenden, in der Malerei besonders
die Wahl der Farbe, die Abwägung der Nuancen, das Zusammen-
stimmen der Töne«, — und dann fährt er fort: »nicht wahr? verdammt
prosaisch, fast an Geometrie oder sonst langweilige Nüchternheiten
erinnernde Dinge und die doch das ein und alles sind dessen, was
Kunst heißt und einzig die Ursache aller Lust und alles Zaubers, die
wir reinen Sinns in der Kunst genießen mögen — also, daß auf Ver-
hältnisse, auf Maß und Gewicht sich alles reduziert, was man dann
Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. IX. 4