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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 14.1920

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Marzynski, Georg: Die impressionistische Methode
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https://doi.org/10.11588/diglit.3620#0097
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BEMERKUNGEN. Q3

In diesen Verhältnissen liegt es begründet, daß die vorimpressionistische Malerei
immer auf Nachahmung der Gegenstandsoberflächen ausging. Nun wirkt aber eine
Farbe als Oberflächenfarbe nur bei gegenständlicher Auffassung der Erscheinung,
und diese hängt an der Dreidimensionalität. Die dem Flächenbild fehlende Drei-
dimensionalität versuchte man daher durch die Kunstmittel der Tiefendarstellung
vorzutäuschen. Jede realistische Malerei hatte räumlich-gegenständliche Täuschungs-
absichten, das offenbart sich in der alten Fabel von den Vögeln, die nach den ge-
malten Trauben picken. Diese Täuschungsabsicht fehlt dem Impressionismus. Der
Impressionist gibt einfach wieder, was er sieht. Für ihn verschwänden daher alle
Darstellungsprobleme, wenn es gelänge, Farbstoffe herzustellen, die wie Flächen-
farben wirken. Nur weil man solche Pigmente bisher, und wohl für immer, nicht
herstellen kann, muß auch der Impressionist darauf verzichten, seine Welt ganz
entsprechend wiederzugeben, auch er muß sie mit unangemessenen Mitteln nach-
ahmen. Während aber der Realist einerseits die Oberflächenfarben mit Pigmenten
unangemessen wiedergibt, anderseits die Dreidimensionalität durch perspektivische
Verkürzung und Schattenführung vortäuscht, bildet der Impressionist Flächenfarben
mit Pigmenten nach. Das impressionistische Bild enthält Imitationen, aber, mit einer
gleich zu erklärenden Einschränkung sei das gesagt, keinen Täuschungsmechanismus.

Das Malproblem des Impressionismus hat zwei grundsätzliche Lösungen ge-
funden. Den unmittelbaren Weg schlug der Neo-Impressionismus ein, der die
flächenfarbigen Farbflecken einfach durch Pigmentflecken nachahmte. Seine Bilder
sehen sehr farbkräftig und leuchtend aus, sind aber immer erfüllt von einem
schimmernden farbigen Dunst, bedingt durch die Massigkeit, die Undurchdiinglich-
keit, wie sie den Pigmenten im Vergleich mit den Flächenfarben eigentümlich ist.
Daher ist das Anwendungsgebiet dieser Technik sehr eng begrenzt. Die Mehrzahl
der Impressionisten versuchte die Schwierigkeiten zu umgehen. Sie malen keine
bloßen Farbflecken, sondern zweidimensional verkürzte Gegenstände. Durch Auf-
lockerung der Kontur und Stehenlassen des Pinselstriches erreichen sie es aber, daß
die aufgetragene Farbe nicht als Oberflächenfarbe wirkt, sondern als selbständige,
abgelöste Farbe. Sie deuten also den Gegenstand an, um die Farbe als vom Gegen-
stand abgelöste Farbe wirken zu lassen; sie erregen die gegenständliche Auffassung
und heben sie gleich wieder auf; sie lassen den Sehvorgang über seinen ersten
Abschnitt hinaus fortschreiten und treiben ihn gleich wieder zurück. Der Neo-
Impressionismus hingegen kümmert sich gar nicht um die Gegenständlichkeit der
ihm gegenüberstehenden Welt, sondern liefert einfach den Rohstoff für die gegen-
ständliche Formung.

Das impressionistische Verfahren besteht also darin, aus der Welt des naiven
Sehens eine Schicht herauszukristallisieren, von der eine bildlich angemessene Wieder-
gabe möglich ist. Man muß sich darüber klar werden, daß es zwei von Grund auf
verschiedene Arten des Malens gibt: Das wiedergebende Malen und das darstellende
Malen. Der darstellende Maler geht auf die Erzeugung einer Illusion aus, sein
Bild ist ein zweidimensionales, farbiges Reizsystem, das mit Hilfe eines eigentüm-
lichen Täuschungsmechanismus den Eindruck einer gegenständlich dreidimensionalen
Welt erregt. Der Impressionist hingegen ist ein abmalender Maler, er gibt einfach
wieder, was er sieht. Wirklich treffende Wiedergabe ist auch ihm freilich nicht
möglich, auch er muß sich wegen der Unterschiede zwischen Pigmenten und
Flächenfarben mit einer bildlichen Angemessenheit begnügen. Daher kennt der
Impressionist noch Probleme der Wiedergabe, nicht nur Schwierigkeiten der aus-
führenden Hand; aber das Täuschungsfeld ist gegen früher unvergleichlich ein-
geengt. Der Impressionist muß sehen lernen, so wie man früher malen lernen
 
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