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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 14.1920

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Rodenwaldt, Gerhart: Methodologisches
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https://doi.org/10.11588/diglit.3620#0196
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192 BEMERKUNGEN.

besinnung der Kunstgeschichte über Wesen und Formen ihrer wissenschaftlichen
Betrachtungsweise wäre.

Ist es nun wünschenswert, daß generalisierende und individualisierende Be-
trachtungsweise durch Herstellung eines gemeinsamen Oberbegriffs systematisch ver-
einigt werden ?13)

Wechselbeziehungen beider Wissenschaften tut es keinen Abbruch, wenn sie
begrifflich voneinander getrennt bleiben. Beide Arten der Betrachtung brauchen
einander als Hilfswissenschaft, die eine muß der anderen das Material liefern. Be-
sonders eng werden sich Philosophie der Kunstgeschichte — d. h. Wulffs syste-
matische Kunstwissenschaft mit Ausnahme derjenigen Teile, die der Ästhetik und
allgemeinen Kunstwissenschaft zugeteilt werden können — und Kunstgeschichte
berühren, da sie ständig der Nachprüfung durch die Gegenseite bedürfen. Es kann
aber nur im Interesse der praktischen Arbeit liegen, wenn sie in jedem Einzelfalle
sich der Zwecksetzung in der einen oder der anderen Richtung voll bewußt bleibt.
Mommsen hat in seinen Werken historische und juristisch-systematische Betrachtungs-
weise streng voneinander getrennt14). Wulff (S. 107) unterschätzt offenbar die
Gefahr einer konstruierenden Geschichtsforschung; denn die Erfahrungen in der
Geschichtswissenschaft15), in der Religionswissenschaft, deren methodologische
Fragen in mancher Beziehung den Prinzipienfragen auf dem Gebiete der Kunst-
wissenschaft verwandt sind, und in der Prähistorie lehren doch, wie verführerisch
der mächtige Einfluß der Gesetzeswissenschaften seine Schatten auf die Hand-
habung der Geschichtswissenschaft wirft und die erforderliche Klarheit ihrer Ziel-
setzung trübt16).

Der Wunsch nach Betonung der methodischen Gegensätzlichkeit soll nicht aus-
schließen, daß die Gelehrten einer Kunstwissenschaft auch auf die anderen Kunst-
wissenschaften übergreifen. Praktisch mag es richtig sein, daß in steigendem Maße
Kunsthistoriker sich mit Fragen der Ästhetik und namentlich der Philosophie der
Kunstgeschichte beschäftigen werden, weil mit der Detaillierung der kunstgeschicht-
lichen Forschung es Gelehrten anderer Gebiete immer schwerer wird, das Material
zu übersehen und für ihre Zwecke richtig einzuschätzen. Für diese ist es zweifellos
nötig, daß Wulffs Forderung nach Vertiefung der Zusammenhänge mit der Psycho-
logie verfolgt wird. Nur sollte man aus methodischen Gründen begrifflich daran
festhalten, daß in diesem Falle nicht die Kunsthistorie sich mit einer systematischen
Kunstwissenschaft zu einer neuen Kunstwissenschaft vereinigt, sondern daß der
Kunsthistoriker dann eben Ästhetik oder Kunstgeschichtsphilosophie treibt, was sich
sehr wohl miteinander vereinigen läßt, sofern beide Zwecke in Forschung und Dar-
stellung reinlich voneinander getrennt werden ").

Ein begriffliches System der Kunstwissenschaften, das man aufstellen könnte,
würde sich nicht mit dem historischen Charakter und Umfang der einzelnen Dis-
ziplinen decken. Die historisch gewordenen Wissenschaften sind letzten Endes das
Werk der Gelehrten, und so wird die Entwicklung der Kunstgeschichte, ihre Be-
schränkung auf ihr engeres Gebiet oder ihre Ausdehnung auf andere Kunstwissen-
schaften, auch das Werk ihrer Forscher sein. Alle individualisierenden Wissen-
schaften enthalten generalisierende Elemente und umgekehrt18). Aber die theoretische
Konstruktion einer einheitlichen Wissenschaft, die als Unterabteilungen zu gleichen
Teilen zwei methodisch in ihrem Zwecke entgegengesetzte Forschungsweisen ent-
hält, erregt Bedenken, sowohl theoretischer wie praktischer Art. Der so glücklich
eingeleitete Gedankenaustausch zwischen den verschiedenen Wissenschaften, die sich
mit Kunst befassen, wird um so fruchtbarer sein, je mehr sich jede Wissenschaft
ihrer spezifischen Eigenart bewußt bleibt.
 
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