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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 14.1920

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Kreis, Friedrich: Die Begrenzung von Epos und Drama in der Theorie Otto Ludwigs
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https://doi.org/10.11588/diglit.3620#0293
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BEMERKUNGEN. 289

der theoretischen Anschauungen des Dichters gibt Ernst Wachler: Über Otto Ludwigs
ästhetische Grundsätze. In.-Diss. Berlin 1S97. 30 S.

Wenn man als die Voraussetzungen einer harmonischen Gestaltung der künst-
lerischen Persönlichkeit eine Ausgeglichenheit oder ein Zusammenspiel von schöpferi-
scher Phantasie und diskursiver Reflexion annimmt, so findet diese Tatsache vielleicht
ihr äußerliches, objektives Widerspiel in der gegenseitigen Entsprechung von innerer
Aufgabe des Künstlers und seiner Gestalt gewordenen Leistung. Wollen und Können
werden auch ihrerseits übereinstimmen. Vielleicht geht diese Übereinstimmung so
weit, daß man nun andererseits aus einer Diskrepanz von Wollen und Können zurück-
schließen kann auf eine intellektuell bestimmte und begrifflich faßbare Störung der
harmonischen Persönlichkeit des Künstlers. Wo jene vollkommene Übereinstimmung
von Phantasie und Verstand, wollen wir einmal psychologisch primitiv sagen, fehlt,
ist auch für den Künstler die instinktmäßige Sicherheit des Schaffens verloren; an
die Stelle eines unbewußten Zusammenspiels von Phantasie und Verstand tritt deren
bewußt getrennte Eigentätigkeit; die Phantasie des Künstlers in dieser Isolierung
bar jeder Zügelung und Sicherheit sucht Hilfe bei dem Verstand, der nun seinerseits
in Form einer nachträglichen Reflexion bestimmend auf die Phantasietätigkeit einzu-
wirken versucht. Eine solche Diskrepanz von Phantasie und Verstand hebt die Ein-
heit des künstlerischen Schaffens und damit die Einheit des Kunstwerkes auf: sie
macht die eigentliche Tragik eines Künstlerlebens aus. Auch der tragische Zwiespalt,
der sich durch das ganze Leben Otto Ludwigs hindurch verfolgen läßt, scheint auf
jene für einen Künstler so verhängnisvolle psychische Erscheinung ursächlich zurück-
zugehen. Ihren Ausdruck findet diese Tatsache in dem schon in der frühesten Jugend
des Dichters stark hervortretenden unsicheren Schwanken zwischen dem Berufe des
Musikers und des Dichters; später aber, nachdem die Entscheidung zugunsten des
Dichters gefallen war, in dem aufreibenden Kampfe des Dramatikers mit dem Epiker.
Diese Situation beleuchtet treffend ein Ausspruch Heinrich von Treitschkes, der von
dem Dichter sagt: »Durch solche verschwenderische Kargheit der Natur, die ihm
einige herrliche Gaben des Dramatikers, einige Kräfte des Epikers, doch nicht die
Harmonie des Genies schenkte, wird das tiefe Unglück dieses ringenden Dichter-
geistes vollauf erklärt.«

Es ist psychologisch durchaus verständlich, daß der Unsicherheit und Unaus-
geglichenheit des dichterischen Schaffens auf der einen Seite eine um so größere
Klarheit und Treffsicherheit des Verstandes in seiner Isolierung gegenüber steht;
ja, das ist vielleicht das entschieden tragische Moment in dem ganzen Unglück des
Dichters, daß sein scharfer Verstand in anhaltender, selbstvernichtender, grüblerischer
Reflexion ihm die größte Klarheit über die Ursache und das Wesen der Mängel
und Fehler seiner künstlerischen Produktionen verschafft, ohne ihm jedoch bei der
Gestaltung selbst von wesentlichem Nutzen zu sein. So darf man vielleicht die
etwas kühne Behauptung aufstellen, daß erst das tragische Geschick des Dichters
Ludwig den Theoretiker ermöglichte, der mit feinsinniger Begabung in die Fülle
der Erscheinungen eindrang, um aus ihr in unerhörter Detailforschung das in ihr
geltende, immerwährende Gesetz zu eruieren. So sind denn Otto Ludwigs Studien,
sowohl die dramatischen wie die epischen, nicht aus einem wissenschaftlichen End-
zwecke heraus entstanden, sondern aus der Not des Dichters. Das Schwanken des
Dichters Ludwig zwischen Epos und Drama, das ihn zu keiner großen Leistung
kommen läßt, führt den Theoretiker zu einer wunderbaren Klarheit über das Wese
dichterischer Gattung überhaupt: so entstehen seine Studien über das Drama und

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