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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 14.1920

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Kreis, Friedrich: Die Begrenzung von Epos und Drama in der Theorie Otto Ludwigs
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https://doi.org/10.11588/diglit.3620#0294
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(290 BEMERKUNGEN.

mti 'allerdings weit geringerem Umfange jene über die epische Dichtung, besonders
über den Roman. In diesen Studien erweist sich Otto Ludwig als einer der fein-
sten und tiefsten Kenner beider Kunstarten, dessen eindringende und eindring-
liche Charakterisierungen des jeweiligen besonderen Gattungscharakters aller Kunst
und damit auch der Dichtkunst die Formulierung unseres Themas gestatten, im
Sinne der Theorie Otto Ludwigs Drama und Epos einander gegenüberzustellen und
damit beide Kunstgattungen voneinander abzugrenzen. Hier erhebt sich aber zu-
nächst eine Schwierigkeit: Wenn wir vor aller ästhetischen Untersuchung bereits
.von Epos und Drama sprechen, so unterscheiden wir damit zwei Dinge voneinander
in dem Bewußtsein, daß das Moment des Unterschiedenseins in der Sache
selbst enthalten ist. Die Unterscheidung ist also eine logische Operation,
ein Erkenntnisvorgang, der zwei Dinge von der Kategorie der Identität aus-
schließt. Sind nun jene Elemente, die dem Erkennen die Berechtigung
geben, zwei Dinge voneinander zu unterscheiden, lediglich objektiver Struktur,
Elemente der »Wirklichkeit«, oder sind sie Elemente des bereits ästhetisch
geformten Gegenstandes? Mit anderen Worten: Ist das logische Urteil, das Epos
und Drama voneinander unterscheidet, ein reines Erkenntnisurteil, oder baut es sich
auf auf einem ihm zugrunde liegenden und es allererst rechtfertigenden ästhetischen
Urteil? Es kann ja ganz leicht der Fall sein, daß Dinge, die für unser Erkennen
eine Bedeutung besitzen, für unser ästhetisches Verhalten unerheblich sind; daß
wir wohl wissen, was episch und was dramatisch ist, daß dieses Wissen vom
Epischen und Dramatischen unser ästhetisches Verhalten aber gar nicht berührt.
Die Frage ist also die: Ist mit der Trennung von Epos und Drama neben der rein
begrifflichen Feststellung zugleich für das Kunstwerk eine ästhetische Forderung ge-
geben, ist die Reinhaltung der Gattung ästhetisch gefordert, oder ist das Ineinander-
übergehen der Gattungen im Kunstwerk etwa gleichgültig, also erlaubt oder gar
erwünscht? Schiller äußert sich einmal über dieses Problem in einem Brief an Goethe
vom 29. Dezember 1797 folgendermaßen1): »Ihr jetziges Geschäft, die beiden
Gattungen zu sondern und zu reinigen, ist freilich von der höchsten Bedeutung,
aber Sie werden mit mir überzeugt sein, daß, um von einem Kunstwerk alles aus-
zuschließen, was seiner Gattung fremd ist, man auch notwendig alles darin müsse
einschließen können, was der Gattung gebührt. Und eben daran fehlt es jetzt. Weil
wir einmal die Bedingungen nicht zusammenbringen können, unter welchen eine jede
der beiden Gattungen steht, so sind wir genötigt, sie zu vermischen. Gab' es
Rhapsoden und eine Welt für sie, so würde der epische Dichter keine Motive von
dem tragischen zu entlehnen brauchen, und hätten wir die Hilfsmittel und intensiven
Kräfte des griechischen Trauerspiels und dabei die Vergünstigung, unsere Zuhörer
durch eine Reihe von sieben Repräsentationen hindurchzuführen, so würden wir
unsere Dramen nicht über die Gebühr in die Breite zu treiben brauchen. Das
Empfindungsvermögen des Zuschauers und Hörers muß einmal ausgefüllt und in
allen Punkten seiner Peripherie berührt werden; der Durchmesser dieses Vermögens
ist das Maß für den Poeten.« Also nach Schiller kann wohl der strenge Gattungs-
charakter ein ästhetisch gefordertes Moment sein; er muß es aber nicht sein; das
Gattungsmäßige ist eben doch kein apriorisches Moment am reinen Kunstwerk,
sondern etwas, das bedingt ist durch das Verhalten einer Welt- oder Lebenssphäre
zur Kunst. Gab' es Rhapsoden und eine Welt für sie, dann müßte die Kunst auch
eine streng epische sein. Das Übergreifen der einen Kunstgattung in die andere

') Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe '. Stuttgart (Cotta) 1881, 1. Bd.,
S. 351.
 
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