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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0119
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BESPRECHUNGEN.

105

im Sinne Diltheys. Wir können hier nur auf einige Punkte eingehen, die uns von
entscheidender Wichtigkeit und prinzipieller Bedeutung für die Literaturgeschichts-
forschung zu sein scheinen.

Zunächst: das letzte Kapitel, das die in den vorausgehenden Abschnitten ge-
wonnenen Ergebnisse abschließend zusammenfassen soll, gibt keine eigentliche
Wesensbestimmung der deutschen Romantik, wie der Titel auf den ersten Blick ver-
muten ließe. Man kann aber den Verzicht auf eine Definition dieses Phänomens
insofern verstehen, als ja das ganze Buch eine Reflexion über die Wesensbestim-
mungen der Romantik darstellt, die die gegenwärtige Literaturwissenschaft getrof-
fen hat, und keine eigentliche Wesensbestimmung selber, gleichsam als Quintessenz
der gesamten Darstellung. An Stelle einer zusammenfassenden Wesensbeschreibung
der deutschen Romantik werden dagegen Perspektiven der gegenwärtigen Literalur-
geschichtsbetrachtung eröffnet und Konsequenzen gezogen, die zwar von Anfang
an angedeutet werden, im ganzen aber den Leser dennoch überraschen. Das Buch
endet nämlich mit der erneuten Abgrenzung der „Dichtungsgeschichte" von der
modernen „Geistesgeschichte", mit der erneuten Aufrichtung eines Dualismus, den
einige moderne Literarhistoriker, wie z. B. R. Unger (dem neben H. A. Korff dieses
Buch gewidmet ist), überwunden glaubten.

Betrachten wir zunächst diesen Dualismus von „Dichtungsgeschichte" und „Gei-
stesgeschichte", dem noch mehr Dualismen mit Denknotwendigkeit parallel gehen. Von
dieser Endposition aus wird überhaupt erst die ganze Grundintention des vorliegenden
Buches verständlich: es will nämlich zeigen, daß die gegenwärtige Romantikforschung,
die, wie oben gesagt, mit der heutigen Literaturgeschichte fast gleichzusetzen ist, vor-
wiegend und ihrer Grundtendenz nach „Geistesgeschichte" treibe, oder anders aus-
gedrückt: daß die moderne Literaturwissenschaft aufgehört habe, Dichtungs-
geschichte zu sein, vielmehr in Geistesgeschichte übergegangen sei. Diese geistes-
geschichtliche Betrachtungsweise der gegenwärtigen romantischen Literaturfor-
schung sei nun zwar ganz konsequent: denn, da in kaum einer anderen Periode als
in der romantischen die Dichtung für die Erkenntnis des „Zeitgeistes" ein solches
Gewicht habe, daß ihr Lebenswert selbst den ästhetischen Wert, den sie als Dich-
tung besitzt, zu übertreffen scheint, so müssen sich für die Betrachtung der Roman-
tik Dichtungsgeschichte und Geistesgeschichte so nahe kommen, daß „man sie bei-
nahe identifizieren könnte". Diese schlechthinige Identifikation stelle indessen ein
„besonderes Ausnahmeverhältnis" dar. Methodologisch betrachtet, müßten die beiden
Betrachtungsweisen streng getrennt werden, wenn ihnen auch methodische Gleich-
berechtigung zuerkannt wird; dennoch erscheint die dichtungsgeschichtliche Me-
thode in dem sogleich zu beschreibenden Sinne als die der Erfassung der „Dichtung"
adäquatere.

Es handelt sich hier m. a. W., mehr oder minder deutlich ausgesprochen, um
eine gewisse Isolierung der sogenannten „Dichtungsgeschichte". Wenn Petersen
sagt, für die Dichtungsgeschichte müsse die „Dichtung" im Mittelpunkt der Be-
trachtung stehen, so ist nichts dagegen einzuwenden. Aber es scheint mir ein Irr-
tum zu sein, wenigstens jedoch mißverständlich, wenn das Wesen der Dichtungs-
geschichte so umschrieben wird, daß sie zur modernen „Geistesgeschichte" im Sinne
von Dilthey in einen bestimmten Gegensatz tritt. Es heißt dort: „Für die
Geistesgeschichte ist die Dichtung ein zu verarbeitender Stoff, der in gleichem
Range steht mit allen anderen Äußerungen des geistigen Lebens und vor
oder nach ihnen je nach seiner Ausgiebigkeit bewertet wird ... Für die Dich-
tungsgeschichte dagegen ist die Dichtung Eines und Alles, der beherrschende Gegen-
stand und Mittelpunkt einer Wissenschaft, die nur ihr gilt und die so hoch-
 
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