Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0092
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
78

BESPRECHUNGEN

dern auch das Drei-Stufen-System dieser Perioden selber, die Folge Jungsteinzeit

— Bronzezeit — Eisenzeit in bezug auf die Ornamentik, und schließlich die Folge
Vorzeit — Mittelalter — Neuzeit in bezug auf die Kunst überhaupt stehen in solcher
systemschaffenden Stufenrhythmik des Formens.

Aber nur als Ergebnis der empirischen Formanalyse sucht der Autor die syste-
matische Formtypik aufzuweisen, eine „allgemein gültige, logisch-begriffliche Formu-
lierung" will er von ihr nicht geben, doch sei es eine an den Atmungsprozeß er-
innernde zentripetal-zentrifugale Bewegung, die sich in dem Grundrhythmus der
künstlerischen (und vermutlich aller seelisch-geistigen) Entwicklung auspräge.

Hier bedarf es unserseits einer methodischen Erwägung. Jede Systemtheorie
steht unter einem hohen Anspruch: wir müssen aus dem Gr und-Wesen der Sache
verstehen können, nicht nur daß es zum System kommt, sondern auch daß es zu
dem bestimmten, der Sache selber immanenten und aus ihr ablesbaren System kommt

— wir müssen aus dem Kunstwesen begreifen und verstehen können, daß und wie es
zur Stilentwicklung als einer systematischen Formtypen-Entfaltung kommt.

Als Sch. das erste Buch „Die altnordische Kunst" schrieb, stand er, wie gesagt,
in der Ebene der von Wölfflin angeregten Stiluntersuchungen, und diese beschränkten
sich auf die rein empirische Formanalyse. Damals empfand man sehr bald das Un-
genügende solcher bloßen Empirie, und es entstanden jene Schriften, welche die
stilistischen Formtypen und ihre systematische Entfaltung aus der geistigen Struktur
der volklichen Kulturkreise zu begründen und zu verstehen suchten, aus der Welt-
anschauung und deren geschichtlichem Wandel. Es bedeutet den großen Fortschritt
des neuen Buches „Die Kunst unserer Vorzeit", daß es sich methodisch in der Ebene
dieser Schriften hält: alles ist nun getan, um die aufgewiesenen Kunsttypen an die
altnordische Weltanschauung und ihren Wandel anzuknüpfen und aus ihnen zu ver-
stehen — nur gerade die Drei-Stufen-Systematik bleibt zurück, fällt zurück in jene
frühere methodische Haltung der bloßen Empirie. Vielleicht ist sie richtig, vielleicht
ist sie falsch, wer weiß! Wir müssen Sch. hier zu bedenken geben, wie schnell Wölff-
lins empirische „Grundbegriffe" verblaßten, weil sie keine echten Grund- Be-
griffe waren.

Sch. selber betont die Notwendigkeit der organischen Kulturgeschichte:
daß die Kulturgemeinschaft ein lebendiger, in ständigem Wachstum begriffener Or-
ganismus sei, dessen Lebensgesetze ergründet werden müssen. In der Tat hat die
kunstwissenschaftliche Methode, über jene Erkenntnis des allgemeinen Grundbezuges
von Weltanschauung und Stil hinaus, ihre letzte und höhere Stellung einzunehmen:
nicht nur daß die Kunst eine Sphäre von Organismen ist, in denen der Volksorganis-
mus seine kulturelle Lebensgestaltung und -entfaltung vollzieht, sie steht dann auch,
gewissermaßen selbstverständlich, in der Gesetzlichkeit des biogenetischen
Wachstums. Das heute vordringliche Problem des Bezuges von Volk
und Stil kann seine strenge Lösung nur finden, wenn Stil und Stilentwicklung be-
griffen und verstanden sind als die immanente biogenetische Wachstumsgesetzlich-
keit des Volksorganismus in der schöpferischen Sphäre seiner weltanschaulichen
Gestaltung.

D a s B i 1 d der altnordischen Kunst, wie es nach den bisher erwähnten Gesichts-
punkten entsteht, erfährt seine volle Abrundung dadurch, daß diese Kunst in den
geschichtlichen Zusammenhang hineingestellt wird, in dem sie ihren Ort hat: sie
wird abgegrenzt gegen die Urzeit, sie wird gewissermaßen herauspräpariert aus den
benachbarten Kunstprovinzen und den südlichen Einflußgebiefen, und es wird an ihr
schließlich der Obergang in das christliche Mittelalter aufgewiesen.
 
Annotationen