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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0104
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BESPRECHUNGEN

auch mehr oder weniger eingehende Bemerkungen zur Theorie des Romans. Koskimies
faßt all diese Einzelergebnisse zusammen — wobei ihm allerdings Petschs umfassen-
des Werk „Wesen und Formen der Erzählkunst" (1934)1) offenbar noch nicht be-
kannt war — und gewinnt dazu aus eigener reicher theoretischer Überlegung und
kritischer Erfahrung ein abgerundetes Bild des Romans als Kunstform. Wenn er auch
sagt, seine Untersuchung erstrebe keine fertigen, endgültigen Ergebnisse und keine
systematische Vollständigkeit, „vielmehr ist sie dem Bedürfnis entsprungen, einige
Gesichtspunkte, die dem Verfasser während seiner praktischen Kritikertätigkeit mit
beinahe imperativischem Bestehen auf Klärung ... sich aufgedrängt haben, zu sichten
und im Lichte dichtungskundlicher Probleme zu betrachten", so führt sie doch den
sozusagen abschließenden Titel „Theorie des Romans" keineswegs zu Unrecht.

Nach einigen Ausführungen über Entwicklung und Einteilung der Literatur-
gattungen legt der Verfasser unter der Überschrift „Theorie des Erzählens" wichtige
Grundsätze der Romandichtung dar. Aus der soziologischen Betrachtung des vor-
künstlerischen Erzählers folgert er auch für den künstlerischen Erzähler, vornehm-
lich den Romanschriftsteller, wichtige Züge. Der Romandichter steht als Erzähler
einer „Wahrheit" beanspruchenden Geschichte in betont sozialer Haltung unter uns,
als einer von uns, als Sprachrohr eines ausgesprochen sozialen Empfindens mit
leicht hervortretender Empfindsamkeit als Appell an unsere Sympathie. Die Roman-
form als die typische zur Kunst entwickelte naive Erzählform räumt der Rolle des
Erzählers weitesten Spielraum ein, dabei schließt sich der Romanerzähler gern dem
Standpunkt der Mehrheit an, macht sich zum Dolmetsch der öffentlichen Meinung.
So besteht beim Roman zwischen Dichter und Leser ein besonders enges Wechselver-
hältnis. „Einige ... Züge der erzählerischen Psychologie, wie die Berücksichtigung
des geistigen Niveaus, der Aufnahmefähigkeit usw. der Zuhörerschaft, ein statthaftes
Verlangen, zu belustigen und Spannung zu erregen, eine anschaulich klare Einteilung,
das Anpassen an eine gewisse sozial-konventionelle Gesinnung, gehören zum Wesen
dieses Wechselbezuges." So werden schon hier besondere Wert- und Wesenszüge des
Romans festgelegt, die frühere Axiome wie z. B., daß dem Drama unter den Dich-
tungsgattungen der höchste Wert zukomme, oder daß „dramatische" bzw. „lyrische"
Momente in Erzählungen ebensoviele Wertmomente bedeuteten, als Vorurteile erschei-
nen lassen. Auch darf man sich nicht durch gewisse formalistische Formideale des
Romans zu Fehlurteilen über sogenannte „formlose" Romane verführen lassen; denn
solche „Formlosigkeit" ist als „Formlosigkeit des Dynamischen" oft genug, wie das
Werk großer Romandichter zeigt, eine durchaus positive Stilform. „Wo also liegt die
,Formenschönheit' des Erzählens und der Erzählkunst eigentlich verborgen? Die
Gabe des Erzählers besteht darin, daß er mit unbeirrbarer Sicherheit beim Ablauf des
Erzählaktes sein Material so ordnet, daß eine Form entsteht und er dabei das viel-
seitigste Material zu bewältigen hat: er ist wie der Leiter eines großen Orchesters,
der mit kaum merkbaren Bewegungen eine Gesamtheit zum Klingen bringt, sodaß die
Harmonien und Disharmonien eine Ganzheit, mit einem Wort gesagt, eine ästhetische
Form bilden. Ohne dieses instinktmäßige Erfassen der Ganzheit wäre keine epische
Kunst denkbar, und ohne ihr Erfassen von Seiten der Hörer gäbe es keine Einstellung
des epischen Kunstgenusses." Es folgen Bemerkungen zur Geschichte des Romans
und der Romantheorie, dann führt Koskimies die Linie, die er in den Betrachtungen
zur Theorie des Erzählens begonnen, in solchen über Fabel und Komposition des
Romans weiter. Er stützt sich dabei auf reiches Beispielmaterial der gesamteuropä-
ischen Literaturgeschichte von Cervantes bis zur Gegenwart, von Spanien bis Finn-
land. Gegenüber neueren Bestrebungen, die Bedeutung von Fabel und Bericht im

J) Vgl. meine Besprechung in „Zeitschrift für Ästhetik" Bd. 30, S. 281 ff.
 
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