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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0105
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BESPRECHUNGEN

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Roman zugunsten psychologisch-deskriptiver oder impressionistisch-lyrischer Dar-
stellungsmomente zurückzudrängen, werden beide als absolut tragende Momente in
ihre unbedingten Rechte eingesetzt. Daneben aber wird all den unendlichen Mög-
lichkeiten der Komposition (Bericht — Darstellung — Dialog; Dialog — Situation —
Szene; zeitliche Anordnung der Teile; Vorbereitung — Begründung — Vorausdeutung;
Nebenfabel — Episoden; Personenschilderung — moderne Seelenschilderung wider-
streitet nicht der straff geführten Fabel, unterstützt sie vielmehr —; Leitmotive u.v.a.)
mit verständnisvoller Liebe nachgegangen. Mit gleicher Aufmerksamkeit betrachtet
der Verfasser sprachliche Stilformen des Romans. Hier ist es noch weniger als sonst
möglich und sinnvoll, über Einzelheiten seiner reichhaltigen Ausführungen zu berich-
ten. Indem er der Kleistschen Idee „über die allmähliche Verfertigung der Gedanken
beim Reden" für die Erzählkunst an sich breite Geltung zugesteht, versteht es Koski-
mies, durch zahllose Einzelzüge die Vorzüge der Prosaerzählkunst in hellstes Licht
zu setzen. In vielerlei Weise kennzeichnet er die Aufgabe des Prosadichters, „durch
die Abwechslung in seinen sprachlichen Mitteln künstlerische Werte zu schaffen".
Von Verallgemeinerungen sprachlicher Stilnormen hält er nicht viel. „Bei der Charak-
teristik des sprachlichen Stils ist es ... am vorsichtigsten und ... am sachlichsten,
sich mit deskriptiven Umschreibungen, denen nur in recht bezeichnenden Einzelfällen
ein prägnanterer Inhalt beigemessen werden kann, und mit einer mehr oder weniger
subjektiven Wertung zufriedenzugeben, mit deren Hilfe die Spezialforschung zu recht
guten Ergebnissen gelangen kann. Der sprachliche Stil wirkt, wie im allgemeinen der
Stil, stark und unmittelbar auf uns ein, sobald es sich um einen ursprünglichen
Künstler handelt, dessen Formerlebnis sich auch auf sprachlichem Gebiet als über-
zeugend neuschöpferisch, als wechselnden Sprachformen souverän überlegen erweist."
Und weiter umschreibt der Verfasser die Kunst des Erzählers: „in der reinen Bericht-
form kommt er seinem Stammvater, dem mündlichen Erzähler, am nächsten, aber in
den Händen des schreibenden Erzählers erhält der Bericht eine zuvor unbekannte

Verfeinerung und Kraft----Doch hat er — dieser große Lauscher — nicht allein

die berichtende Erzählung angenommen, die das primäre und vielleicht auch das
edelste seiner Stilmittel ist, sondern er hat auch auf die von den Menschen seiner
Umwelt geführten Gespräche hingehört, die veredelt in seiner Dialogform wieder-
kehren. Und endlich hat er auch die wesentlichen, im sprachlichen Stil aufgehenden
Werte erkannt, die in die bewußte feierliche Redeweise und vor allem in die Buch-
sprache hineingezogen werden. Eine jede dieser Stilarten hat ihre eigenen rhyth-
mischen Merkmale, überhaupt ihre eigenen sachlichen und ästhetischen Eigentümlich-
keiten, die als charakteristisch in die Persönlichkeit des Empfängers—Schöpfers ein-
dringen, indem sie in den Werken des niederschreibenden Erzählers ihre erneuerte
Wanderung in die Welt antreten." Bei aller Anerkennung, ja verständnisvollen Beto-
nung des sprachkünstlerischen Anteils in der Kunst des Erzählers, vor allem hier des
Romandichters, ist es dieser Auffassung der Erzählkunst „eben vor allem klar, daß
der sprachliche Stil an sich noch nicht den künstlerischen Wert des Werks und seine
Stellung in der literarischen Hierarchie entscheidet" und sie erinnert an jenes Wort
des Prosadichters Flaubert, „daß die größten Autoren keineswegs ,gut schreibende'
Stilkünstler gewesen seien, wie sie sich immer unter den Sternen zweiter Größe fän-
den". Beim Roman jedenfalls führt allzugroße Achtsamkeit auf rein ästhetische Wir-
kungen von Wort und Wortgefüge, von sprachlichem Rhythmus usw. den Dichter
leicht auf Irrwege, wie sie die Dichtung von Romantik, Impressionismus, Symbolis-
mus nicht immer vermieden haben.

Die betonte Bedeutung, die Koskimies entgegen gewissen neueren Bestrebungen
wieder der Fabel im Roman beilegt, läßt uns mit besonderen Erwartungen an den
 
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