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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0218
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BESPRECHUNGEN

spürbar — eine Wendung zu den Existenzproblemen vollzogen. Eine ähnliche
Wendung macht auch die Kunstgeschichte durch. Sie wird erneut vor die Aufgabe
des Biographischen gestellt.

Es ist klar, daß es sich hierbei nicht um ein bloßes Wiederaufnehmen einer
fallen gelassenen Aufgabe handelt. Vielmehr darf (wenn die Wendung richtig ver-
standen wird) keiner der mühsam errungenen methodischen Fortschritte preisgege-
ben, keines der Probleme einer „Kunstgeschichte ohne Namen" vernachlässigt werden.
Wie in Goethes Metamorphosenlehre die „entschiedene Gestalt" als geheimnisvolle
Einheit innerer und äußerer Kräfte gesehen wird, so kommt bei der neuen Dar-
stellung historischer Persönlichkeiten alles darauf an, aus der Spannung von Ide-
ellem und Individuellem, von Auftrag und Freiheit die Einheit des Menschlichen,
die Gestalt zu begreifen. Ja, man kann sagen, je gründlicher die Erkenntnis der
umgebenden Welt mit der Vielzahl ihrer ausstrahlenden Kräfte ist, um so wahrer
wird auch die Schilderung von Glück und Qual der einzelnen Persönlichkeit sein
können. Immerhin aber handelt es sich doch um eine Verlagerung des Schwer-
gewichtes, insofern das Interesse an der ewigen Situation des Menschen die aus-
schließliche Einstellung auf den geschichtlichen Wandel und seine Gesetzmäßigkeit
aufhebt. Die neue Richtung der Kunstgeschichte ist durchaus nicht geschichts-
feindlich (sie darf es nicht sein), aber sie sieht in der Geschichte nicht nur die
Ideen, sondern auch ihre Träger. Alles Geschehen ist ihr durch die immer gleiche
Tatsache des Menschseins bedingt.

Sieht man von dieser neuen Einstellung auf die kunstgeschichtliche Literatur,
so erkennt man, daß noch alles zu tun ist. Die alten großen Leistungen der
Biographie können nicht mehr genügen, aber noch ist kaum etwas geschrieben, das
sie ersetzen kann. Die Aufgabe ist groß, man muß hoffen, daß menschliche Tiefe
und gestaltende Kraft ausreichen, sie würdig zu lösen.

In Wilhelm Waetzoldts Dürerbuch ist endlich einmal wieder das biographische
Problem wirklich angepackt worden. Bei Dürer ist das Bedürfnis nach zusammen-
fassender Darstellung besonders stark, denn die Spezialliteratur wächst von Jahr
zu Jahr immer noch bedrohlich an, und die Gefahr liegt allzu nahe, durch Über-
betonung von Einzelzügen das Gesamtbild zu verzerren. Diese Gefahr ist nun fürs
erste bezwungen worden. Waetzoldts Buch ist nicht die bloße Aneinanderreihung
von Einzelstudien (solche Pseudobiographie begegnet in der kunstgeschichtlichen
Literatur öfter), sondern wirklich Zusammenfassung, Bemühung um ein Gesamt-
bild. Er beherrscht den gewaltigen Stoff, aber er weiß ihn auch zu formen. Nicht
ein „gelehrtes", sondern ein „menschliches" Buch hat er schreiben wollen und hat
es geschrieben.

In fünfzehn großen Abschnitten bringt Waetzoldt uns Dürer nahe, indem er
von verschiedenen Seiten aus des Künstlers Persönlichkeit beleuchtet, vom Psycho-
logischen, vom Religiösen, vom Künstlerischen, vom Philosophischen seinen Aus-
gang nimmt, und zwar immer so, daß aus allen Teilbezirken von Dürers viel-
fältiger Betätigung sein ganzes Wesen in einer letzten Einheit sichtbar wird. Die
Schilderung des Künstlers ist eingebettet in eine Darstellung der politischen, kul-
turellen, künstlerischen und religiösen Verhältnisse der Zeit um 1500 von großer
Lebendigkeit und Anschaulichkeit.

Methode und Sprache des Buches knüpfen an die große Tradition der kultur-
geschichtlich eingestellten Biographie an und setzen sie in würdiger Weise fort.
Die bedeutenden Vorzüge der Darstellung sind von dorther zu erklären. Freilich
— das mag dem jüngeren Kunsthistoriker zu sagen erlaubt sein — läßt die Fort-
setzung dieser Tradition manche Frage offen, deren Beantwortung wir schmerzlich
 
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