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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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Wulff, Oskar: Tizians Kolorit in seiner Entfaltung und Nachwirkung, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0247
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TIZIANS KOLORIT IN SEINER ENTFALTUNG U. NACHWIRKUNG 227

halten müssen, die sie für die Bildgestaltung bietet. So verwendet schon
A. del Sarto vor Tizian sowohl das Braun als auch das Grau für den
Raumschatten, der die reinen Farbwerte in sich aufnimmt, und doch
wird man diesen kaum von jenem beeinflußt glauben. Die immer wieder-
kehrende Hauptfrage bleibt also, ob eine solche Neuerung erst durch die
Berührung eines Nachfahren mit seinen Werken ausgelöst worden ist.
Daß das in der Tat wiederholt geschehen ist, erscheint leicht begreiflich,
da er in seinem Schaffen, wie wir gesehen haben, fast alle Möglich-
keiten, wenn auch nicht restlos, ausgeschöpft hat. An sich aber beweist
eine koloristische Übereinstimmung ebensowenig eine unmittelbare Ab-
hängigkeit wie bei einem Musikstück die übereinstimmende Tonart. Be-
stätigt kann sie, wie bei diesem nur durch Melodie oder Rhythmus, so
bei einem Gemälde nur durch die gesamte Bildgestaltung werden. Denn
die Geschichte der Farbe in der Malerei kann nur aus dem Gesichts-
punkt der Verwirklichung der verschiedenen Möglichkeiten ihrer Ge-
setzlichkeit begriffen werden. Eine breitere unmittelbare Einwirkung
wird man selbst bei einem Großmeister zunächst nur in seinem engeren
Umkreise und in der nächsten Folgezeit erwarten dürfen, — bei Tizian
demnach auf seine jüngeren Zeitgenossen in Venedig und auf den ober-
italienischen Barock. Bedenkt man, daß seine Werke nicht wie heute
größtenteils an einigen Plätzen in Museen vereinigt waren, es sei denn
die des Altersstils in den spanischen Königsschlössern, sondern in
Kirchen und Privatbesitz zerstreut, so ist leicht zu verstehen, daß spä-
tere und besonders fremdländische Künstler von ihm nur einzelne be-
deutsame Anregungen empfangen und diese dann selbständig fortgebil-
det haben können. Diese beiden verschiedenen Arten des Wirkungs-
zusammenhanges hält daher Hetzer mit Recht auseinander.

Es ist recht fraglich, ob nicht von den Zeitgenossen in Venedig
Schiavora, Palma Giovane u. a. Meister zweiten Ranges noch stärker
von Tizian abhängig sind als Paolo Veronese und Tintoretto, wenn
man aber wie Hetzer nur seine Bedeutung für den allgemeinen Fort-
schritt der koloristischen Entwicklung herausarbeiten will, so ist die
Beschränkung der Fragestellung auf diese beiden durchaus berechtigt.
Denn sie vor allem (und neben ihnen nur noch J. Bassano) bewähren
auch in der Farbengebung eine eigenartige schöpferische Gestaltungs-
kraft, obgleich sie „ohne Tizian nicht zu denken" sind. Mit ihm teilen
sie trotz des Generationsabstandes „die ungebrochene", mit Gold zu
dekorativer Wirkung vereinbare „Hoheit der Farbe", gleichviel ob diese
religiösen, mythologischen oder rein weltlichen Bildvorwürfen dient. Sie
hätten, heißt es, auch noch keine neuen Anforderungen der Zeit an die-
selbe zu erfüllen, — was freilich nur mit Vorbehalt zuzugeben ist. Und
doch seien beide von Tizian darin gleich weit entfernt, daß ihr Verhältnis
 
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