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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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Wulff, Oskar: Tizians Kolorit in seiner Entfaltung und Nachwirkung, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0262
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OSKAR WULFF

fruchtbarste Belehrung fanden und unter ihren Trabanten und Nach-
folgern verbreiteten. Auf das XVIII. Jahrhundert hat er vollends kaum
mehr unmittelbar eingewirkt. Es hat, wie Hetzer im letzten Kapitel aus-
führt, sich mit keinem der führenden Vorgänger vorzugsweise, ebenso-
wenig aber mit der Natur selbst von neuem auseinandergesetzt, sondern
nur die letzten Folgerungen aus den schon gefundenen Lösungen zu
ziehen gewußt. Neue Anregungen schöpft es vor allem aus dem
Bühnenspiel u. a. Vermummungen des höheren Gesellschaftslebens, und
vereinigt sie in der Bildkunst zu einem scheinbar regellosen und doch
auf die Gesetzlichkeit der harmonisch ausgestalteten Farbfläche be-
gründeten Ganzen. An der Spitze stehen nun wieder die Venezianer mit
Tiepolo, der viel mehr ein Fortsetzer Veroneses als Tizians ist, damit
aber den Einfluß von Rubens vereinigt. Ihm gelingt es, eine Fülle von
Zwischentönen dem Farbenspiel zu entlocken. Dazu wäre zu bemerken,
daß es sich weit überwiegend in hellklaren Farbtönen entfaltet, in denen
die Zusammenstimmung auch zwischen den Gegensätzen des Rot und
Blau ungemein erleichtert (s. S. 228) ist. Tizian nähert sich eher der
hauptsächlich doch wohl von Rubens ausgehende Watteau, der mit ihm
das Gefühl für die schöpferische Quellkraft der Farbe gemein hat, be-
sonders in der Behandlung des leuchtenden Inkarnats, für die auf seine
Venusdarstellungen (Wallace-Collection und Louvre) hingewiesen wird.
Seine Nachwirkung reicht darin von Boucher bis Delacroix. Für das
tiefe und gesättigte Kolorit Tizians gewinnt nur die englische. Bildnis-
malerei ein fruchtbares Verständnis, doch hält sich selbst ein Reynolds
nicht ganz frei von gewisser Vergröberung der Farbwirkung und der
Farbbeziehungen zumal des Rot, etwa im Vergleich mit der Gestalt des
Herzogs von Atri (s. S. 140). Hier müßte freilich die Frage aufgeworfen
werden, ob die Annäherung an Tizian nicht eine mehr mittelbare war,
die meist über van Dyck ging.

In seinem Schlußwort erörtert Hetzer das von Grund aus veränderte
Verhältnis des XIX. Jahrhunderts zu Tizian. Um 1800 bricht die
Überlieferung der durch das XVI. Jahrhundert begründeten Malkunst
in allen von ihm gepflegten Bildgattungen ab. Man darf hier an die
Polemik Diderots gegen den akademischen Lehrbetrieb erinnern, die
Goethe auf ihr berechtigtes Maß einzuschränken sucht. Die Umwälzung
ging vom Klassizismus aus, der seine Vorbilder in der Antike und
früheren mehr oder weniger antikisierenden Kunstströmungen erblickte.
Sie läßt sich auf die kurze Formel bringen, daß ihr Ziel die Erneue-
rung der plastischen Anschauungsweise war. Einer Zeit, der die Form
und die Linie über der Farbe stand, hatte Tizian nichts mehr zu sagen.
Im Anschluß an die Primitiven, an Raphael und Michelangelo kehrt
die Malerei zur „Farbe an sich" zurück und verzichtet weitgehend auf
 
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