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HEINZ HORN
ständlich, die immer im Zusammenhang mit dieser religiösen Metaphysik
verstanden werden muß.
Wenn man sich über diese Grundlage klar geworden ist, wird man
es verständlich finden, warum Lasaulx — die „goldene Regel" des Vitruv
übernehmend — als das ästhetische Urbild der Baukunst den mensch-
lichen Leib betrachtet: „Denn in diesem hat die Natur selbst die voll-
kommenste Symmetrie und Harmonie ausgedrückt, und ein Analogon
dessen . . . (muß) . . . darum auch allen schönen Bauwerken zu Grunde
liegen." Innerhalb der sich aus der lasaulxschen Metaphysik ergebenden
Konsequenzen wird man es deshalb auch nicht als unfolgerichtig be-
trachten, wenn er die hellenische Baukunst höher schätzt als die asia-
tische, denn allein „darum, weil ihre Götter nicht schöne, menschliche
waren, haben es die asiatischen Völker auch niemals zu einer schönen
Tempelbaukunst gebracht". Wenn Herodot einmal (1,131) davon spricht,
es habe immer als eine besondere griechische Eigenschaft gegolten,
sich die Götter in menschlicher Gestalt vorzustellen, so macht Lasaulx
diese Tatsache geradezu zu einem Kriterium für die Höhe der griechi-
schen Architektur und Kunst überhaupt. Und andererseits beruht auch
die Schönheit der christlichen Tempel und Kirchen für ihn darauf, daß
auch die christlichen Völker an einen „Gottmenschen", an einen Mensch
gewordenen Gott glauben. Freilich wird diese Theorie wiederum nicht
der Tatsache gerecht, daß wir so grundverschiedene Bauwerke wie einen
gotischen Dom und eine Barockkirche in gleicher Weise als „schön"
empfinden und daher schließlich an einem Werke der Baukunst doch
noch etwas anderes das eigentlich „Schöne" sein muß außer der Tatsache,
daß es eine Wiedergabe der Proportionen des menschlichen Leibes sei.
Wie in der Architektur, so ist bei Lasaulx auch in der Plastik der
menschliche Leib das eigentliche Prinzip. Sie steht aber aus dem Grunde
höher als die Baukunst, weil sie konkreter ist als diese und nicht nur
dessen Proportionen nachbildet, sondern seine individuelle Form. Das
Ziel der Skulptur ist daher, „vollkommene menschliche Göttergestalten
und götterähnliche Menschengestalten zu bilden" (S. 52). „Nur wenn
die Gottheit selbst Menschengestalt in dem religiösen Künstler an-
genommen hat, vermag es der religiöse Künstler, sie in menschenähn-
licher Schönheit darzustellen", aus welchem Grunde „die asiatischen
Völker niemals wahrhaft schöne Bildwerke gehabt haben". „Mit einem
Worte, erst die Griechen und Römer und die nach ihnen gebildeten
christlichen Völker, weil ihr religiöses Bewußtsein ein menschlich freies
ist, haben auch eine menschlich schöne Skulptur erzeugt; denn die Bilder
der Götter können ja nur den Vorstellungen entsprechen, die man von
den Göttern selbst hat" (S. 55). Gerade darauf beruht die Größe der
griechischen Kunst, daß sie von der Darstellung irgendwelcher grausi-
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ständlich, die immer im Zusammenhang mit dieser religiösen Metaphysik
verstanden werden muß.
Wenn man sich über diese Grundlage klar geworden ist, wird man
es verständlich finden, warum Lasaulx — die „goldene Regel" des Vitruv
übernehmend — als das ästhetische Urbild der Baukunst den mensch-
lichen Leib betrachtet: „Denn in diesem hat die Natur selbst die voll-
kommenste Symmetrie und Harmonie ausgedrückt, und ein Analogon
dessen . . . (muß) . . . darum auch allen schönen Bauwerken zu Grunde
liegen." Innerhalb der sich aus der lasaulxschen Metaphysik ergebenden
Konsequenzen wird man es deshalb auch nicht als unfolgerichtig be-
trachten, wenn er die hellenische Baukunst höher schätzt als die asia-
tische, denn allein „darum, weil ihre Götter nicht schöne, menschliche
waren, haben es die asiatischen Völker auch niemals zu einer schönen
Tempelbaukunst gebracht". Wenn Herodot einmal (1,131) davon spricht,
es habe immer als eine besondere griechische Eigenschaft gegolten,
sich die Götter in menschlicher Gestalt vorzustellen, so macht Lasaulx
diese Tatsache geradezu zu einem Kriterium für die Höhe der griechi-
schen Architektur und Kunst überhaupt. Und andererseits beruht auch
die Schönheit der christlichen Tempel und Kirchen für ihn darauf, daß
auch die christlichen Völker an einen „Gottmenschen", an einen Mensch
gewordenen Gott glauben. Freilich wird diese Theorie wiederum nicht
der Tatsache gerecht, daß wir so grundverschiedene Bauwerke wie einen
gotischen Dom und eine Barockkirche in gleicher Weise als „schön"
empfinden und daher schließlich an einem Werke der Baukunst doch
noch etwas anderes das eigentlich „Schöne" sein muß außer der Tatsache,
daß es eine Wiedergabe der Proportionen des menschlichen Leibes sei.
Wie in der Architektur, so ist bei Lasaulx auch in der Plastik der
menschliche Leib das eigentliche Prinzip. Sie steht aber aus dem Grunde
höher als die Baukunst, weil sie konkreter ist als diese und nicht nur
dessen Proportionen nachbildet, sondern seine individuelle Form. Das
Ziel der Skulptur ist daher, „vollkommene menschliche Göttergestalten
und götterähnliche Menschengestalten zu bilden" (S. 52). „Nur wenn
die Gottheit selbst Menschengestalt in dem religiösen Künstler an-
genommen hat, vermag es der religiöse Künstler, sie in menschenähn-
licher Schönheit darzustellen", aus welchem Grunde „die asiatischen
Völker niemals wahrhaft schöne Bildwerke gehabt haben". „Mit einem
Worte, erst die Griechen und Römer und die nach ihnen gebildeten
christlichen Völker, weil ihr religiöses Bewußtsein ein menschlich freies
ist, haben auch eine menschlich schöne Skulptur erzeugt; denn die Bilder
der Götter können ja nur den Vorstellungen entsprechen, die man von
den Göttern selbst hat" (S. 55). Gerade darauf beruht die Größe der
griechischen Kunst, daß sie von der Darstellung irgendwelcher grausi-