DIE ÄSTHETIK ERNST VON LASAULX'
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ger Naturmächte dazu übergeht und weiterschreitet, „einen ganz persön-
lich gedachten Gott" nachzubilden und die in der Seele schlummernde
Idee darzustellen, die „ihren Leib sich baut". Das ästhetisch Schöne
der Plastik sieht er damit mit Schelling5) in dem vollkommenen Gleich-
gewicht zwischen Leib und Seele. Wohl wäre es an sich —
weil das Schöne nur das Geistige sein kann — am besten, wenn auch
die Skulptur das Geistige oder Seelische überwiegend zur Geltung brin-
gen könnte. Dieses Ziel muß aber bei der Plastik an der Tatsache des
zu rohen, zu körperhaften Materials scheitern. Mit feinem Blick erkennt
Lasaulx, daß die Plastik aus dem Grund nicht die Seele zum alleinigen
Objekt machen kann, weil ihr die Darstellung des „seelenhaftesten"
Organs, des Auges, „durch die schwere Natur ihres Materials versagt"
ist (S. 60). Die niedrige Stellung der Skulptur innerhalb der Reihe der
Künste beruht daher zuinnerst auf ihrer Materialverbundenheit. Das
einzige, was aus diesem Grunde der Bildhauer erreichen kann, ist ein
gewisses Gleichgewicht zwischen Leib und Seele. Da er infolge der Starre
und Schwere seines Materials nicht mehr Seele in dieses hineinlegen
kann, als durch den Leib selbst ausgedrückt werden kann, ist sein Haupt-
ziel der harmonische, vollkommene Körper. Das Seelische ist in einem
Bildwerk nur insoweit auszudrücken, als es sich in einem Körper in-
karniert und sich in ihm eine Akme, ein „Höhepunkt" des Lebens ge-
stalten läßt, „worin sich der ideale Mensch, welcher den Kern seines
Daseins bildet, am meisten herausgearbeitet zeigt . . . Die Schönheit der
plastischen Ideale, der Götter- und Heroenbilder wie der großen histo-
rischen Persönlichkeiten, besteht darum eben darin, daß sie keine bloß
allgemeine Form, sondern lebendige Individuen sind, göttlich erhabene
und menschlich schöne, voll Seele, Charakter und Ausdruck" (S. 66).
Als die eigentliche Aufgabe der dritten bildenden Kunst, der Malerei,
wird die Aufgabe betrachtet, nicht nur wie in der Skulptur die „von
der Seele erfüllte Gestalt des Menschen und der höheren Tiere, sondern
auch (den) seelische(n) Ausdruck der Pflanzenwelt und der gesamten
Natur, die den Menschen umgibt", darzustellen. „Denn auch in dieser,
in einer Landschaft, herrscht eine der menschlichen verwandte Stim-
mung. Wie dieser objektiv seelische Ausdruck der Dinge in der subjektiv
empfindenden Seele des Menschen sich spiegelt: dieses in einem Bilde
sichtbar darzustellen, ist die Aufgabe der Malerei" (S. 79). Wenn wir
nun gesehen hatten, daß bei Lasaulx eine Kunst dadurch höher be-
wertet werden kann, daß in ihr das Materielle zugunsten des Seelischen
oder Geistigen zurücktritt, so muß also auch die Malerei „seelenhafter"
sein als die Plastik, wenn sie höher bewertet werden will. Dieser Vor-
•) Schelling: „Rede über das Verhältnis der bildenden Künste zur Natur".
Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft XXXI. 17
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ger Naturmächte dazu übergeht und weiterschreitet, „einen ganz persön-
lich gedachten Gott" nachzubilden und die in der Seele schlummernde
Idee darzustellen, die „ihren Leib sich baut". Das ästhetisch Schöne
der Plastik sieht er damit mit Schelling5) in dem vollkommenen Gleich-
gewicht zwischen Leib und Seele. Wohl wäre es an sich —
weil das Schöne nur das Geistige sein kann — am besten, wenn auch
die Skulptur das Geistige oder Seelische überwiegend zur Geltung brin-
gen könnte. Dieses Ziel muß aber bei der Plastik an der Tatsache des
zu rohen, zu körperhaften Materials scheitern. Mit feinem Blick erkennt
Lasaulx, daß die Plastik aus dem Grund nicht die Seele zum alleinigen
Objekt machen kann, weil ihr die Darstellung des „seelenhaftesten"
Organs, des Auges, „durch die schwere Natur ihres Materials versagt"
ist (S. 60). Die niedrige Stellung der Skulptur innerhalb der Reihe der
Künste beruht daher zuinnerst auf ihrer Materialverbundenheit. Das
einzige, was aus diesem Grunde der Bildhauer erreichen kann, ist ein
gewisses Gleichgewicht zwischen Leib und Seele. Da er infolge der Starre
und Schwere seines Materials nicht mehr Seele in dieses hineinlegen
kann, als durch den Leib selbst ausgedrückt werden kann, ist sein Haupt-
ziel der harmonische, vollkommene Körper. Das Seelische ist in einem
Bildwerk nur insoweit auszudrücken, als es sich in einem Körper in-
karniert und sich in ihm eine Akme, ein „Höhepunkt" des Lebens ge-
stalten läßt, „worin sich der ideale Mensch, welcher den Kern seines
Daseins bildet, am meisten herausgearbeitet zeigt . . . Die Schönheit der
plastischen Ideale, der Götter- und Heroenbilder wie der großen histo-
rischen Persönlichkeiten, besteht darum eben darin, daß sie keine bloß
allgemeine Form, sondern lebendige Individuen sind, göttlich erhabene
und menschlich schöne, voll Seele, Charakter und Ausdruck" (S. 66).
Als die eigentliche Aufgabe der dritten bildenden Kunst, der Malerei,
wird die Aufgabe betrachtet, nicht nur wie in der Skulptur die „von
der Seele erfüllte Gestalt des Menschen und der höheren Tiere, sondern
auch (den) seelische(n) Ausdruck der Pflanzenwelt und der gesamten
Natur, die den Menschen umgibt", darzustellen. „Denn auch in dieser,
in einer Landschaft, herrscht eine der menschlichen verwandte Stim-
mung. Wie dieser objektiv seelische Ausdruck der Dinge in der subjektiv
empfindenden Seele des Menschen sich spiegelt: dieses in einem Bilde
sichtbar darzustellen, ist die Aufgabe der Malerei" (S. 79). Wenn wir
nun gesehen hatten, daß bei Lasaulx eine Kunst dadurch höher be-
wertet werden kann, daß in ihr das Materielle zugunsten des Seelischen
oder Geistigen zurücktritt, so muß also auch die Malerei „seelenhafter"
sein als die Plastik, wenn sie höher bewertet werden will. Dieser Vor-
•) Schelling: „Rede über das Verhältnis der bildenden Künste zur Natur".
Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft XXXI. 17