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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0303
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BESPRECHUNGEN

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zu haben, ein wenig übertreibt), daß die Ästhetiker sich nicht hinlänglich mit
diesem Gesichtspunkt beschäftigt haben. Sein Ziel, das unzweifelhaft alle Beachtung
verdient, ist die Erklärung des Kunstwerks: nicht aus allgemeinen Gesetzen, nicht
aus seinem Aufbau, sondern aus seiner Entstehung; es gilt, sich Rechenschaft dar-
über abzulegen, was ein Kunstwerk ist durch die innere Kraftverteilung und die
wesentlichen Notwendigkeiten des Schaffensvorganges, und zwar genau in dem
Maße, wie es beim Schaffen angelegt ist. Kann ein solches Unternehmen zum
Erfolg führen? Wir wissen es nicht. Jedenfalls verdient der Verfasser Lob, es
mutig versucht zu haben. Allerdings glauben wir nicht, daß es ihm geglückt ist
— vielleicht war das überhaupt unmöglich. Man müßte die ganze Philosophie des
Geistes aufbauen, im Zusammenhang mit der Psychologie der Erfindung und der
experimentellen Ästhetik in ihrem gegenwärtigen Zustand. Der Verf. scheint nicht
lebhaft genug gefühlt zu haben, wie gewaltig und anspruchsvoll sein Unternehmen
war, und wie von den meisten Problemen, die er nacheinander behandelt, jedes bei
wirklich gründlicher Erörterung einen Band von dem Umfang erfordert hätte, der
jetzt dem Ganzen gewidmet ist. Indessen, ich wiederhole, es muß anerkannt wer-
den, daß der Verf. eine große Aufgabe mutig in Angriff genommen hat.

„Das künstlerische Schaffen ist eine allgemeine, allumfassende Haltung der
Seele gegenüber einer Gleichgewichtsstörung, die nur durch eine schöpferische Be-
mühung aufgehoben werden kann" (S. 59). Das ist der Ausgangspunkt. Alle künst-
lerische Eingebung hat ihren Ursprung in einer seelischen Unruhe, einer Unruhe,
die jene Widersprüche entstehen läßt, deren Sitz das menschliche Wesen im Lauf
seiner Vergeistigung ist. Gewiß, warum nicht? Aber wir möchten genau wissen,
woher es kommt, daß bestimmte Widersprüche ihre notwendige Lösung nicht in
einer inneren Beruhigung finden, sondern in einer äußeren, schöpferischen An-
strengung. Der Verf. lenkt unsere Aufmerksamkeit (vornehmlich bei der Unter-
scheidung von Kunst und Spiel) auf die „Freude des Schaffens", deren Bedeutung
in der Tat außerordentlich groß ist. Aber hier gabelt sich das Problem. Wenn die
Kunst wesensmäßig Schaffensfreude ist, so setzt das sicher voraus — und nun
sprechen wir, nicht Liviu Rusu — eine in dieser Feststellung mitenthaltene Auf-
fassung des menschlichen Daseins: den Wunsch, bestimmte Dinge lieber zu sehen
als andere, tatsächlich an das Dasein, auf Grund der Eigenschaften jener Dinge,
heranzutreten; kurz, diese freudige Teilnahme daran, daß das Kunstwerk an das
Sein herantritt, schließt eine Forderung ein in bezug auf das Werk selber und seine
Gegebenheitsweise. Denkt man sich diese Problemstellung durchgeführt, so gabelt
sich die Ästhetik in zwei Lehren, die sich zwar vermischen und verbinden müssen,
aber dennoch ursprünglich und wesensmäßig verschieden sind. Auf der einen Seite
ist vonnöten eine Theorie über die Beschaffenheit äußerer Gegebenheiten, die dem
Künstler zusagt, eine Theorie der Seinsweise, an der der Künstler teilzuhaben
trachtet, nicht so sehr als Zuschauer, sondern als „Weltschöpfer"; eine Theorie
derjenigen Gegebenheitsart, deren Vorhandensein der schöpferische Mensch ihrem
Nichtvorhandensein vorzieht. Und andererseits brauchen wir eine Untersuchung der
besonderen Gründe, die einen bestimmten Künstler zu einem bestimmten Augenblick
seines Lebens gerade zu dieser und zu keiner andern Wirklichkeitssetzung führen.
Kurz, wir brauchen eine objektive Ästhetik und eine subjektive (die psychologisch
und geschichtlich ist); beide müssen sich verbinden.

Indessen, der Verfasser unseres Buches ist auf diesem Ohre taub — wenn ich
so sagen darf. Der schöpferische Wille, von dem er spricht, richtet sich nicht auf
ein äußeres Seiendes von eigener Gesetzlichkeit. Dieser Wille veräußerlicht sich nur
(und damit versperrt sich der Verf. sogleich seinen eigenen Weg); er ist eine „Ent-
 
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