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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0304
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BESPRECHUNGEN

ladung", und zwar eine Entladung „von etwas". Und „dieses Etwas ist ein geistiger
Inhalt, entstanden und entwickelt im bittern Widerspruch zu den ursprünglichen
Tendenzen" (S. 63). Die Absicht des „Dynamismus" treibt Herrn Rusu dazu, von
Anfang an die beiden Gesichtspunkte (den subjektiven und den objektiven) zu
vermengen, anstatt sie gesondert aufzustellen und später in ihren Verbindungen und
Ergebnissen zu untersuchen. Er löscht die Unterschiede aus zwischen dem objektiven
Sein des Werks und den subjektiven Lebensbedingungen des Schaffenden. Seine
Lehre entfaltet er nun weiter in folgender Weise.

Die Kunst, sagt er, ist „die Ausgestaltung einer Welt" (sehr gut!); aber die
„Ausgestaltung einer eigenen Welt" (S. III); und „eigen" bedeutet das Eigentüm-
liche des Künstlers und seiner persönlichen Erlebnisse. „Die Substanz, die der
Künstler aus seiner geheimen Welt herbeibringt und die er im Kunstwerk ver-
körpert, drückt den tiefsten Sinn seines Lebens aus ..." (S. 160). Der Verf. schließt
diesen Satz, indem er den Lebenssinn des Schaffenden erläutert als „.. den Sieg der
Richtung auf das Sein über die Richtung auf das Nichtsein". Aber wer hat diese
Richtung? Das Sein an sich? Das Werk? Der Künstler als Künstler? Der Künstler
als Persönlichkeit? Als Geist? Als Seele? Als psychophysische Lebenseinheit? Man
sieht, wie unbestimmt und vieldeutig die Theorie ist. Am Ursprung des Schaffens-
vorganges steht eine Gleichgewichtsstörung, entstanden aus einem Konflikt; und der
Künstler schlichtet diesen Konflikt durch eine Schöpfung, die das Gleichgewicht
wiederherstellt (vgl. z. B. S. 147); das ist Rusus Hauptsatz, der zwar nicht neu,
aber anscheinend einfach und eindrucksvoll ist. Wenn man sich jedoch fragt, um
welches Gleichgewicht es sich handelt, dann sieht man gleich undeutlichen Schatten
viele verschiedene Möglichkeiten vor sich, Möglichkeiten, die nicht miteinander zu
versöhnen sind: das Gleichgewicht der Welt, das der künstlerischen Welt, das des
Künstlers und der Welt, das innere, seelische Gleichgewicht des Künstlers — und
wie vieles andere noch!1) Ohne Rechtsgrund nimmt der Verf. an (und gerade dies
müßte begründet werden), daß es sich ursprünglich um ein inneres Gleichgewicht
handelt. Man findet ein kennzeichnendes Beispiel dieser Willkür auf S. 273: „Der
Wille zur Kristallisierung in einem Bild-Symbol, die Erfindung eines Planes ... die
Ausgestaltung des konstruktiven Stoffes, sind ebenso viele Tätigkeiten, in denen die
Geistigkeit sich verwirklicht". So schreibt Liviu Rusu, und hierin werden viele Leser
mit ihm übereinstimmen. Aber er fügt sogleich mit großer Entschiedenheit hinzu, daß
es sich um eine Geistigkeit handelt, die sich „in der Bestätigung des Ich gefällt".

Man sieht also, worauf die dynamische Ästhetik ruht, die uns hier vorgesetzt
wird: einzig auf einer willkürlichen Annahme, die das Gefüge des Werkes durch
Postulat einfügt in das selbstgesetzliche Leben des Schaffenden und in die Gefüge-
gesetze dieses Lebens.

Auf dieser Grundlage entwickelt sich die Untersuchung des Herrn Liviu Rusu
mit einer gewissen Leichtigkeit. Durch unbewußte Phasen hindurch (S. 95 ff.), dann
durch die bewußteren der Eingebung (165 ff.), der Gestaltung (229 ff.) und der
Durchführung (281 ff.) läßt sich ein einheitlicher Vorgang verfolgen — so versichert
er uns. Bei fortschreitender Vertiefung des Ich taucht die Seele in die chaotische
Welt der Innerlichkeit, die sie mit einer tiefen Angst erfüllt. Um von dieser Angst

J) Diese Vieldeutigkeit erstreckt sich auch auf die Belege, wo ohne genügende
Unterscheidung zusammengeworfen werden die ästhetischen Theorien, die sich auf
den Begriff der Ordnung stützen, auf den des Schemas und den der Form (vgl.
S. 135 ff.). Sonderbarerweise werden die Lehren über das Gleichgewicht (z.B. von
Ogden) nicht erwähnt.
 
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