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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0317
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BESPRECHUNGEN

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voll, eine ungeordnete als unangenehm, und daher unlustvoll erlebt". Der „Grund-
satz vom kleinsten Kraftmaß" als biologischer Grundsatz wird zur Erklärung und
Deutung dieses Phänomens herangezogen. Töne sind in sich geformt, ja sie ent-
halten, was auch ästhetisch von Bedeutung ist, in sich bereits keimhaft die Merkmale
und Wesenszüge jedes musikalischen Kunstwerkes: Rhythmik, Harmonie, Intervall-
erscheinungen, zeitliche und dynamische Eigenschaften und schließlich Färbung
(Klangfarbe). Töne versetzen also das Ohr „in einer zugleich reichen und doch ge-
ordneten Weise in Tätigkeit", das Grundgesetz von der „Einheit in der Mannigfaltig-
keit" gilt also bereits für die Atome des musikalischen Kunstwerks.

Die Eigenschaften des Tones, die dazu führen, ihn aus der Fülle der Geräusche
als ästhetisch bedeutungsvoll herauszuheben, bestimmen nun wiederum die musi-
kalische Formbildung, deren Material die einzelnen Töne sind. Allerdings nicht als
einzelne Töne, sondern eben im Zusammenschluß zu einem ganzheitlich Erfaßbaren
und Erfaßten, das als „Form" bezeichnet wird. Mit der Form erst beginnt die Musik,
und Rhythmik, Melodik und Harmonik sind wie beim einzelnen Ton die Formbildner.
In der dritten Stufe, den eigentlichen musikalischen „Formen", tritt die gleiche Gesetz-
mäßigkeit wieder auf, die die beiden unteren Stufen beherrschte: Rhythmik, Skalen-
bewegung, harmonische Einheit sind auch hier die Formbildner, nur sind ihr Material
nicht wie bei der Kleinformung die einzelnen Töne, sondern Motive, Themen usw.

Mit der Analyse des Materials der Musik und dem Verständnis der musikalischen
Formen vom psychologischen Standpunkte sind aber erst die Voraussetzungen für
die Beantwortung der im engeren Sinne musikpsychologischen Fragen gewonnen. Der
„Vorstellungsgehalt" der Musik und vor allem ihr „Gefühlsgehalt" sind Fragen, die
den Musikpsychologen allein angehen. Der Verfasser geht auf das vielumstrittene
Problem des Vorstellungsgehaltes ausführlich ein und kommt zu der Feststellung,
daß es sich bei allen Vorstellungswirkungen wie „Raumsymbolik", Farben- und
Helligkeitssymbolik usw. gar nicht um objektive Ähnlichkeiten, sondern um Ähnlich-
keiten der subjektiven Wirkung handelt. Streng gesprochen darf man überhaupt nicht
von Vorstellungsbedeutung der Musik sprechen, sondern muß auch diese Erschei-
nungen bereits dem Gebiete der Gefühlsbedeutung der Musik zurechnen.

So bildet die Untersuchung des Gefühlsgehaltes der Musik mit Recht einen
Hauptteil des Buches. Die allgemeinen Gefühlswirkungen (Gefühlsbelebung usw.)
werden ebenso eingehend behandelt wie die speziellen musikalischen Ausdruckswir-
kungen (Trauer, Freude usw.). Die allgemeinen Wirkungen werden als „allgemeine
Aufrüttelung und überwiegend lustvolle Erregung der Seele", die speziellen als
„einigermaßen bestimmte Erweckung deutlich abgehobener Stimmungen und Affekte"
bezeichnet. Beide wirken zusammen, ebenso wie objektive und subjektive Momente
zusammenwirken: man hört nicht nur Stimmungen aus der Musik heraus, sondern
auch hinein und hinzu. So kommt der Verfasser in seinem Schlußsatz zu der Fest-
stellung: „Musikerleben ist, wie alles Kunsterleben, nicht reine Objektivität, aber
auch nicht reine Subjektivität, sondern Weckung, Erregung, Vertiefung subjektiven
Innenlebens durch die stets nur symbolhaften Formen des Kunstwerkes."

Den Schlußteil der kleinen Schrift, die nicht nur in lebendiger und eindring-
licher Weise in die Fragen der Musikpsychologie einführt, sondern die auch zu-
gleich den ganzen Problemkreis auf Grund eigener Forschungen des Verfassers
behandelt und unter einheitlichem Gesichtspunkte zusammenfaßt, bilden Ausfüh-
rungen über „Die Musik als Kulturerscheinung", über die Typen des Musiklebens,
rassische Bindungen der Musik, soziologische und pädagogische Fragen.

Berlin. Hans-Joachim Flechtner.
 
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