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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 33.1913-1914

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Burger, Fritz: Carl Schwalbach - München
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"Interesseloses Wohlgefallen"
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https://doi.org/10.11588/diglit.7011#0299

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Carl Schwalbach—München.

dem Stehen oder Knien unter exakter Wieder-
gabe der modellmäßig-richtigen Pose sinn-
fällige Motive zu entwickeln. Schwalbachs
Gestalten entwachsen dem Boden, schlank
wie die Blumen, groß, stolz, hochragend und
doch bescheiden, herb, streng gegenüber dem
Ganzen, dem sie dienen, das sie beherrscht.
Licht und Schatten, Form und Farbe, Körper
und Raum sind ihm eines : formgewordene
Idee. Indem er sich ganz selbständig von den
künstlerischen Requisiten der Zeit befreit, ge-
winnt er neu aus der besonderen Idee der
Vorstellung die individuelle Form der
Bildgestalt. Die Grablegung ist ihm daher
nicht dramatisierte Grab — legung, der Ge-
danke der Handlung im physiologischen Sinne
verschwindet vielmehr gegenüber der Idee des
Schmerzes und des Todes, symboliert durch
das flackernde Leben der Formen und ihre Ge-
bundenheit an die kristallinische Härte des
Bodens (Abb. S. 288). Liebe (Abb. S. 284) ist
ihm weder tierische Lust noch neckische Schel-
merei umspielt von allen Reizen des Frohsinnes,
sondern das große Gesetz, das das Verschie-
dene und Geschiedene sich zu einigen treibt.
Daher das stille, große Ausgreifen der Glieder,
ihre demütige Erwartung, ihr starkes Verlangen.
Diese Liebe steht jenseits aller robusten Leiden-
schaft oder krankhaften Sensibilität. Sie trium-
phiert über die sinnliche Gemeinheit ebenso wie
über die weltverneinende Askese. Der Adel
der fast feierlichen Bewegung läßt die Gruppe
zu einem Monumente sich erweitern, das in die
reine Größe kosmischen Lebens von selber

hinausweist. Selbst da, wo Verzagtheit und
Resignation (Abb. S. 286) das Motiv des Grup-
penaufbaues bestimmt, verliert sich die Klage
in die monumentale Riesenhaftigkeit des in den
Leibern sich verkündendem und doch unsicht-
barem Ganzen. Schwalbach steht nicht allein
mit seiner Kunst. Er ist ein gewichtiges Symp-
tom des sich vollziehenden Wandels in der mo-
dernen Zeit. Der mittelalterlich-orientalische
Geist, sein transzendentales Denken, seine
heilige Scheu, seine Bescheidenheit und sein
großes Weltgefühl feiert auch in Schwalbachs
Werken eine neue originelle Auferstehung.
Manches verbindet ihn mit dem robusteren und
komplizierteren, leidenschaftlicheren Hodler.
Aber Schwalbachs stille Elegien scheiden ihn
von der Heldengröße des Deutschschweizers.
In Hodlers Kosmogenie lebt das Heroische
der Renaissance noch fort, hier scheint die
schlichte Andacht der mittelalterlichen Mystik
im modernen Gewände. Aber Schwalbachs
Kunst läuft deshalb so wenig auf die Allegorie
wie auf eine illustrierende Symbolik hinaus. Sie
sucht viel mehr die großen Empfindungen und
Gedanken rein mit den Mitteln der sinnlichen
Welt zu schildern. Alle Gebärden und körper-
lichen Bewegungen ordnen sich der strengen
Disziplin messerscharfer und doch so meldioser
Konturen unter, deren wechselvolles Spiel —
bald streng und hart, bald weich und schmiegsam
in den sanften Tönen sich verliert, die die Leiber
aus ihrer bloß sinnlichen Existenz hinaus in die
tempelstillen Sphären weit überschauender und
welterfüllender Geistigkeit hinüberleiten. —

„INTERESSELOSES WOHLGEFALLEN".

Kant hat den Begriff geprägt, vor ihm und
nach ihm war die mit ihm verbundene
Anschauung im Schwang, die Anschauung
nämlich, daß beim ästhetischen Genüsse der
„Wille", das Affektleben, ganz ausgeschaltet
sei. — Laien haben diese Anschauung ge-
legentlich nicht selten bestritten; die Wissen-
schaft, die durch ihre Grundfunktion des Be-
griffbildens dem unmittelbaren Leben ferner
gehalten wird, kam erst verhältnismäßig spät
zur Verwerfung des „interesselosen Wohlge-
fallens". Heute steht es jedenfalls fest, daß
der Mensch im ästhetischen Verhalten nicht
leidend, sondern sehr tätig ist und daß in dieser
Tätigkeit gerade die wertvollsten Kräfte seines
Wesens wirksam werden; daß ferner der ästhe-
tische Genuß, wenn er wirklich intensiv ist,
unter allen Begleiterscheinungen der Aneig-
nung, der Erraffung seelischen Gutes verläuft,

daß mithin voneiner Ausschaltung des „Willens"
dabei keine Rede sein kann. Es ist in der Tat
eine widersinnige Konstruktion: Was so un-
mittelbar der Steigerung des Lebensgefühles
dient wie der Kunstgenuß, sollte mit dem
„Willen" nichts zu tun haben! Als ob der
Mensch ein stärkeres „Interesse" haben könnte
als Steigerung seiner Lebensintensität. Als
ob auf diesem Endziel nicht alle Regungen
seines Begehrungsvermögens, des „hohen" wie
des „niederen", hinausliefen!

Die neueste Ästhetik arbeitet denn auch eifrig
an der Klarlegung des Anteils, den Wille und
Aktivität am ästhetischen Verhalten haben.
Sie zieht damit die Folgerungen aus der dyna-
mischeren, voluntaristischen Auffassung des
menschlichen Geisteslebens, die durch die
Wissenschaft und Philosophie des 19. Jahr-
hunderts begründet worden ist...... w. m.

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