Vetter Andres.
die Obstpflanzungcn der Gemeinde, copulirtc, bothctc und ocnlirte,
suchte die Raupen ab, sägte die Wasserschößlinge von den
Bäumen, putzte im Herbst die dürren Aeste aus, reinigte und
schmierte die alte, vernachlässigte Thnrmuhr, hals in den Ge-
mcindcschreibereicn, assistirte dem Schulzen bei der jährlichen
Verpachtung der Heu- und Obstnutzung und bei Auctionen als
Proclamator, kurz machte sich nach allen Seiten hin nützlich.
Und nun erst die Dorfjugcnd, was lernte die für schöne Spiele
von ihm auf dem Dorfanger! Welch stattliche Drachen verstand
er ihnen anzufertigen! Den Mädchen und Frauen schrieb er
ihre Briefe an abwesende Ehemänner und Geliebte, ohne dafür
irgend etwas zu nehmen. Vetter Andres war Hans in allen Ecken.
Mit Niemandem im Dorfe aber verkehrte er häufiger
und lieber als mit dem Herrn Förster. Nicht allein daß er
gern mit ihm im Walde umherstrich und Nachts mit ihm den
Holzdieben aus den benachbarten Gemeinden aufpaßte, er machte
ihm auch manches Schock Bügel für das Geschneide, putzte und
räumte den Dohncnstieg auf, hing die Bügel ein, leerte ein
und ging fast täglich, die gefangenen Krammetsvögel auszu-
lösen und in's Forsthaus zu tragen. Viele, viele Schock solcher
Vögel konnte der Förster im Herbst zum Verkauf in die Stadt
schicken. Auch bei dem eigentlichen Waidwcrk bethciligtc sich
Vetter Andres. So hatte der Förster eines Wintcrtags in
einem kleinen Fcldhölzchc» einen Fuchs cingekrcist, und Vetter
Andres unternahm es, das Hölzchen abzutreibcn, während sich
der Förster am Saume des Waldes auf dem Wechsel anstelltc.
Gut! der Fuchs lief auch dem Förster, wie man zu sagen
pstcgt, gerade in die Flinte und bekam richtig die ganze Schrot-
ladung auf den Pelz. Aber davon laufen that er doch. Weit
konnte er freilich nicht sein, und da sic keinen Hund bei
sich hatten, gingen sic auf der Schwcißspur nach. Der Fuchs
war in einen Bau gekrochen. Vetter Andres knieetc nieder
und sah hinein. „Er liegt gleich vorne!" rief er triumphircnd,
„und ist schon mausctodt." „Na so langt ihn heraus, Vetter
Andres!" sagte der Förster. Vetter Andres war schon dabei,
legte sich der Länge nach über die Fluchtröhre und griff mit
dem rechten Arm hinein. Plötzlich machte er eine schauderhafte
Grimasse. „Hast Du ihn denn?" fragte der Förster. „Nein,
er hat mit der Gottes Hülfe mich!" seufzte Vetter Andres
und biß die Zähne aufeinander. Endlich zog er den verendeten
Fuchs, der sich noch in seinem Daumen verbissen hatte, heraus,
und nur mit Hülfe des Försters gelang cs, dem Th'icre die
Kinnbacken von einander zu brechen und den stark blutenden
Daumen aus der Klemme zu befreien. Aus solchen kleinen
Abenteuer» machte sich aber Vetter Andres rein gar nichts,
obwohl er vier Wochen an dem Daumen zu kurircn hatte.
Auch bei anderen Gelegenheiten ließ er sich willig und
bereit finden, dem Förster gefällig zu sein, und scheute dabei
seinerseits keine Aufopferung. So hatte der Förster einen
Knaben von vierzehn Jahren, der seit einigen Wochen in Folge
eines hohlen Zahnes von unausstehlichen Zahnschmerzen heim
gesucht war. Der arme Junge! denn Zahnschmerz geht noch
über Weltschmerz. Na! dem Dinge mußte ein Ende gemacht
werden, wenn sich der arme Junge nickt zu Tode wimmern
107
! sollte, und der Förster beschloß, ihn zum Zahnarzt in die nächste
Stadt zu schicken. Aber er selbst fühlte sich nicht Manns genug,
j dieser schmerzhaften Operation an seinem Lieblinge beizuwohnen,
und so mußte denn Vetter Andres den Auftrag übernehmen,
das arme Schlachtopfcr auf die Schlachtbank zu führen. Er
that's auch willig und gern. In der Stadt war zufällig gerade
i Jahrmarkt und diese Gelegenheit benutzen die Bauersleute der
Umgegend, alle gegenwärtigen und künftigen Gebrechen ihres
Leibes als da sind: Gliederreißen, Fluß und Zahnschmerzen
zu beseitigen. So fanden denn die Beiden das Haus des
Chirurgen gestopft voll von harrenden Patienten. Der Chirurgus
betrieb sei» Geschäft mit Hülfe zweier Lehrlinge heute wahrhaft
fabrikmäßig. Sechs Weiber auf einmal saßen vor ihm in einer
Reihe auf der Bank und wurden an Schultern und Hals ge-
schröpft. Daneben in einer andern Gegend des Zimmers saßen
auf einer andern Bank viele stämmige Mannsleute, die sich
auch gleich zu scchscn einseifen und rasircn ließen. Das be-
sorgten die Lehrlinge. Dann wurde wieder Andern zur Ader
gelassen. Hierauf kam ein sechzehnjähriger, pausbackiger Baucr-
lümmel, dem mit vieler Krafkanstrcngung und unter schreck-
lichen Grimassen von Seiten dcö Chirurgen und unter lautem
Wchgeschrei des Bauernburschen ein Wangenzahn herausgehoben
wurde. Unfern Vetter Andres schauderte bei diesem Anblicke
die Haut, und Försters Fritz verkroch sich gar in eine Ecke und
hielt sich beide Augen zu. Als dieses schmerzcnvolle Werk end-
lich nach verschiedenen vergeblichen Versuchen dadurch beendigt
war, daß der Zahn glücklich abbrach und mit der Wurzel stecken
blieb, trat der Chirurgus vor unser» Vetter Andres mit der
raschen Frage, denn es ging hier Alles im Fluge: „Was
beliebt, Herr? schröpfen oder Ader lassen? He?"
„Behaltet man den Schraubenzieher bei der Hand, Herr Doe-
tor Gregorius!" antwortete Vetter Andres. „Ihr sollt mit dcrGot-
tes Hülfe noch einen Zahn ausziehen." Und dabei sah er sich mit
den Augen nach seinem jungen Schützling um. Dieser aber war
spurlos verschwunden und hatte sich aus dem Staube gemacht.
(Fortsetzung folgt.)
Ick
die Obstpflanzungcn der Gemeinde, copulirtc, bothctc und ocnlirte,
suchte die Raupen ab, sägte die Wasserschößlinge von den
Bäumen, putzte im Herbst die dürren Aeste aus, reinigte und
schmierte die alte, vernachlässigte Thnrmuhr, hals in den Ge-
mcindcschreibereicn, assistirte dem Schulzen bei der jährlichen
Verpachtung der Heu- und Obstnutzung und bei Auctionen als
Proclamator, kurz machte sich nach allen Seiten hin nützlich.
Und nun erst die Dorfjugcnd, was lernte die für schöne Spiele
von ihm auf dem Dorfanger! Welch stattliche Drachen verstand
er ihnen anzufertigen! Den Mädchen und Frauen schrieb er
ihre Briefe an abwesende Ehemänner und Geliebte, ohne dafür
irgend etwas zu nehmen. Vetter Andres war Hans in allen Ecken.
Mit Niemandem im Dorfe aber verkehrte er häufiger
und lieber als mit dem Herrn Förster. Nicht allein daß er
gern mit ihm im Walde umherstrich und Nachts mit ihm den
Holzdieben aus den benachbarten Gemeinden aufpaßte, er machte
ihm auch manches Schock Bügel für das Geschneide, putzte und
räumte den Dohncnstieg auf, hing die Bügel ein, leerte ein
und ging fast täglich, die gefangenen Krammetsvögel auszu-
lösen und in's Forsthaus zu tragen. Viele, viele Schock solcher
Vögel konnte der Förster im Herbst zum Verkauf in die Stadt
schicken. Auch bei dem eigentlichen Waidwcrk bethciligtc sich
Vetter Andres. So hatte der Förster eines Wintcrtags in
einem kleinen Fcldhölzchc» einen Fuchs cingekrcist, und Vetter
Andres unternahm es, das Hölzchen abzutreibcn, während sich
der Förster am Saume des Waldes auf dem Wechsel anstelltc.
Gut! der Fuchs lief auch dem Förster, wie man zu sagen
pstcgt, gerade in die Flinte und bekam richtig die ganze Schrot-
ladung auf den Pelz. Aber davon laufen that er doch. Weit
konnte er freilich nicht sein, und da sic keinen Hund bei
sich hatten, gingen sic auf der Schwcißspur nach. Der Fuchs
war in einen Bau gekrochen. Vetter Andres knieetc nieder
und sah hinein. „Er liegt gleich vorne!" rief er triumphircnd,
„und ist schon mausctodt." „Na so langt ihn heraus, Vetter
Andres!" sagte der Förster. Vetter Andres war schon dabei,
legte sich der Länge nach über die Fluchtröhre und griff mit
dem rechten Arm hinein. Plötzlich machte er eine schauderhafte
Grimasse. „Hast Du ihn denn?" fragte der Förster. „Nein,
er hat mit der Gottes Hülfe mich!" seufzte Vetter Andres
und biß die Zähne aufeinander. Endlich zog er den verendeten
Fuchs, der sich noch in seinem Daumen verbissen hatte, heraus,
und nur mit Hülfe des Försters gelang cs, dem Th'icre die
Kinnbacken von einander zu brechen und den stark blutenden
Daumen aus der Klemme zu befreien. Aus solchen kleinen
Abenteuer» machte sich aber Vetter Andres rein gar nichts,
obwohl er vier Wochen an dem Daumen zu kurircn hatte.
Auch bei anderen Gelegenheiten ließ er sich willig und
bereit finden, dem Förster gefällig zu sein, und scheute dabei
seinerseits keine Aufopferung. So hatte der Förster einen
Knaben von vierzehn Jahren, der seit einigen Wochen in Folge
eines hohlen Zahnes von unausstehlichen Zahnschmerzen heim
gesucht war. Der arme Junge! denn Zahnschmerz geht noch
über Weltschmerz. Na! dem Dinge mußte ein Ende gemacht
werden, wenn sich der arme Junge nickt zu Tode wimmern
107
! sollte, und der Förster beschloß, ihn zum Zahnarzt in die nächste
Stadt zu schicken. Aber er selbst fühlte sich nicht Manns genug,
j dieser schmerzhaften Operation an seinem Lieblinge beizuwohnen,
und so mußte denn Vetter Andres den Auftrag übernehmen,
das arme Schlachtopfcr auf die Schlachtbank zu führen. Er
that's auch willig und gern. In der Stadt war zufällig gerade
i Jahrmarkt und diese Gelegenheit benutzen die Bauersleute der
Umgegend, alle gegenwärtigen und künftigen Gebrechen ihres
Leibes als da sind: Gliederreißen, Fluß und Zahnschmerzen
zu beseitigen. So fanden denn die Beiden das Haus des
Chirurgen gestopft voll von harrenden Patienten. Der Chirurgus
betrieb sei» Geschäft mit Hülfe zweier Lehrlinge heute wahrhaft
fabrikmäßig. Sechs Weiber auf einmal saßen vor ihm in einer
Reihe auf der Bank und wurden an Schultern und Hals ge-
schröpft. Daneben in einer andern Gegend des Zimmers saßen
auf einer andern Bank viele stämmige Mannsleute, die sich
auch gleich zu scchscn einseifen und rasircn ließen. Das be-
sorgten die Lehrlinge. Dann wurde wieder Andern zur Ader
gelassen. Hierauf kam ein sechzehnjähriger, pausbackiger Baucr-
lümmel, dem mit vieler Krafkanstrcngung und unter schreck-
lichen Grimassen von Seiten dcö Chirurgen und unter lautem
Wchgeschrei des Bauernburschen ein Wangenzahn herausgehoben
wurde. Unfern Vetter Andres schauderte bei diesem Anblicke
die Haut, und Försters Fritz verkroch sich gar in eine Ecke und
hielt sich beide Augen zu. Als dieses schmerzcnvolle Werk end-
lich nach verschiedenen vergeblichen Versuchen dadurch beendigt
war, daß der Zahn glücklich abbrach und mit der Wurzel stecken
blieb, trat der Chirurgus vor unser» Vetter Andres mit der
raschen Frage, denn es ging hier Alles im Fluge: „Was
beliebt, Herr? schröpfen oder Ader lassen? He?"
„Behaltet man den Schraubenzieher bei der Hand, Herr Doe-
tor Gregorius!" antwortete Vetter Andres. „Ihr sollt mit dcrGot-
tes Hülfe noch einen Zahn ausziehen." Und dabei sah er sich mit
den Augen nach seinem jungen Schützling um. Dieser aber war
spurlos verschwunden und hatte sich aus dem Staube gemacht.
(Fortsetzung folgt.)
Ick
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Vetter Andres"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 28.1858, Nr. 666, S. 107
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg