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Vetter Andres.

„Na das will ich glauben!" rief die freudige Urgroß-
mutter lachend aus. „Zwei Jungens, zwei gesunde Jungens
auf einmal' das will was heißen! Nun sei tausend Mal
gedankt dafür. Das Geschlecht der Bleibtreu's wird nicht aus-
sterben. Aber Vetter Andres, wie wär's, wenn Du, während
der Bote zu essen bekommt, dem Herrn Pastor die Nachricht
in die Pfarre brächtest. Du weißt, es sind seine ersten beiden
Enkelchen."

„Ei ja wohl, von Herzen gern, das will ich mit der
Gottes Hülfe!" sprach Vetter Andres und machte sich flugs
ans nach der Pfarre.

Als er auf den Pfarrhof kam, dachte er: „Du mußt

doch erst einmal nach der alten San sehen, was die macht,"
noch dazu da sie so grunzte. Er ging an den Stall, öffnete
die Thüre und siehe da! die Sau hatte geferkelt. Der
ganze Stall wiminelte von kleinen, allerliebsten buntgefleckten
Thierchen. Vetter Andres zählte ihrer ganzer vierzehn
Stück. „Na! hatte ich doch nicht Recht!" sprach er
schmunzelnd für sich bei ihrem Anblick: „Ehrwürden der
Herr Vetter meinte, die San werde in der Krankheit verferkeln.
Aber ich wußt's mit der Gottes Hülfe besser. Nun haben
wir die Bescherung." Er eilte spornstreichs in die Pfarre,
trat ohne erst lange zu klopfen in des Herrn Pastors Studier-
stube und rief athemlos: „Ehrwürden Herr Vetter! ich bringe
gute Botschaft. Die Sau hat geferkelt: vierzehn Stück auf
einmal."

„Daß dich der Tausend! wcnn's wahr wäre!" rief der
Pastor hocherfreut und fast ungläubig aus. „Komm, laß uns
sehen, lieber Vetter Andres."

Sie gingen und gafften voll Freude und Befriedigung
die niedlichen Thierchen an und standen wohl eine halbe Stunde
dabei und konnten sich nicht satt sehen. Dann nahm Vetter
Andres wieder Abschied und kehrte mit dem Gefühl höchster
Befriedigung zur Frau Muhme zurück.

„Nun was sagte denn der Herr Pastor?" fragte sie.

„Ach Frau Muhme," rief er, „das war 'ne Freude!
Na! die Frau Muhme kann sich's denken. Ehrwürden der
Herr Vetter ging gleich selbst mit, die Kleinen zu besuchen.
O! die niedlichen Dinger!"

„Aber Vetter Andres!" rief die Frau Muhme verwundert
aus, „Frohdorf liegt ja sechs Stunden Wegs von hier. Was
sprichst Du denn nur für Zeug da?"

„Ach Herr Jeses, Herr Jescs, Frau Muhme!" rief er
sich plötzlich besinnend aus; ich hab's ja ganz vergessen, Ehr-
würden dem Herrn Vetter von den beiden Jungens zu erzählen."

„Na, was hast Du ihm denn gesagt?"

„Ja, sieht die Frau Muhme," antwortete er, „als ich
über den Pfarrhof gehe, höre ich die Sau grunzen, gucke in
den Stall und siehe da, die San hatte geferkelt, ganzer vier-
zehn Stück. Da lief ich gleich in die Stube, es Ehrwürden
dem Herrn Vetter zu sagen und wir gingen dann hin, die
kleinen Ferkelchcn zu besehen, Ach! Frau Muhme diese lieben
Thierchen, Na! darüber Hab' ich mit der Gottes Hülfe das
Andere vergessen."

Nun ging die Frau Muhme selbst, um das Versäumte
nachzuholen, und der Leser wird glauben, daß heute Abend viel
in der Pfarre gelacht wurde über Vetter Andres.

Vetter Andres war noch kein Jahr im Hause der Frau
Muhme als er schon aus einem aus Barmherzigkeit anfge-
nommenen und aus Mitleid geduldeten ein gar lieber Gast
und gern gesehener Hausgenosse geworden war. Auch die
Söhne und Töchter seiner Wohlthäterin und die übrigen Ver-
wandten, die seine Aufnahme Anfangs mit Sorgen erfüllt,
gewöhnten sich nicht allein bald au seine Gegenwart, sondern
fanden sogar mit der Zeit, daß er ihrer lieben Mama nicht
blos nützlich, sondern sogar unentbehrlich war, und daß cs ihnen
Allen zur größten Beruhigung diente, eine treue und zuver-
lässige Person männlichen Geschlechts bei ihr zu wissen. Das
zeigte sich so recht, als um Ostern des zweiten Jahres herum
die Frau Muhme ernstlich erkrankte. Ach wie zuthunlich, wie
sorgsam war er da. Er ließ sich's nicht nehmen, sie Tags
über zu pflegen und des Nachts bei ihr zu wachen. Eine
Nacht aber, es war die zweite, die er durchwachte, passirte
ihm etwas, was der Frau Muhme beinahe den Schlaf gekostet
hätte. Er hatte sich ans das weiche Sopha der Frau Muhme
gesetzt und las zu seiner Unterhaltung und Erbauung in der
biblischen Geschichte von Hübner. Die Frau Muhme war sanft
entschlafen. Da fand er denn so um Mitternacht herum, daß
seine Lage viel erträglicher und behaglicher werden würde, wenn
er Beine und Füße nachzöge auf das weiche Polster, statt sie
unter dem Tische hin und her zu schieben. Er hatte sich auch
nicht geirrt, und da sein Nacken auch nach einer kleinen Unter-
stützung seufzte, legte er sich mit Kopf und Nacken gegen die
Sophalehne. Gut! so lag's sich in der That sehr bequem,
und die biblischen Geschichten verloren dadurch nichts an ihrer
Erbaulichkeit und Unterhaltung. So las er denn eine Weile
eifrig fort; aber der Leser mag mir's glauben oder nicht, in
Zeit von zehn Minuten war er sanft und selig entschlafen.
Sanft? ja! für ihn selbst freilich, aber nicht so für die Frau
Muhme. Diese erwachte aus ihrem Schlummer durch ein ganz
unleidliches Getön und Gestöhn, wie das Geächze und Raffeln
einer alten Sägemühle, die lange nicht geschmiert ist. Anfangs
wußte die Arme vor lauter Angst und Schrecken nicht, was
der furchtbare Lärm bedeute. Aber bald ging ihr ein Licht
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Vetter Andres"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Mann <Motiv>
Schlaf <Motiv>
Schnarchen
Aufwachen
Lärm
Karikatur
Frau <Motiv>
Zimmer <Motiv>
Sofa <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

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Künstler/Urheber (GND)
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Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 28.1858, Nr. 667, S. 114

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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