Sauet Nik
-ibend, da es galt, Abschied zu nehmen, denn am nächsten
Morgen in alter Frühe wollte Heinrich hinauswandern auf
lange lange Zeit; damals hatte im Schmerz und Weh des
letzten Zusammenseins Heinrich zum ersten Mal ausgesprochen,
was ihnen Beiden längst als ersehntes Ziel vorschwebte.
»Lucie, liebe Lucie, behüte Dich denn Gott die ganze Zeit
über und vergiß meiner nimmer, während ich nicht heimisch
bi». Ich werde Dich nie vergessen, wohin ich auch kommen
wag ■— und bleib' Du mir zugethan und hold und" — fügte
°r stockend und verlegen hinzu — „wenn indessen Einer käme
und wollte Dich freien . . . Lucie, wenn ich wieder käme
aus der Fremde, und müßt meine Hoffnung so zu Schanden
sehen, ich crtrüg' cs nicht! Denn wenn ich heimkomme und
Hab' was Redliches gelernt, dann will ich bei Deinen Eltern
aufrage». Nicht wahr, Du bleibst meiner eingedenk?" Und
^ucie hatte den Fragenden umschlungen und Lippe an Lippe,
ew heißer Kuß, war das Ja auf des Scheidenden dringende
Mage. Das Alles ging nun zum ersten Male wieder seit
! unger Zelt au der verödeten hoffnungslosen Seele der Ein-
same» vorüber und, Thränen im Auge, schaute sic nieder aus
u Hand, an deren Finger ein einfach Goldringlein steckte;
rs war ihres Heinrichs Abschiedsgeschenk. Er hatte es ihr
an jenem Abend, ein Zeichen ihrer Verlobung, selbst au den
1 >ugcr gesteckt; in seinen Feierstunden hatte er es geschmiedet
un l>as Ringlein war denn auch so ziemlich das Einzige ge-
: weien, was sie herübergebracht hatte von ihrer Habe in die
cachbarstadt, ihre neue Heimath.
All diese Bilder und Erinnerungen aber gingen an ihrer
^ecle hin, wie Gedanken an eine schöne Zeit, die für immer
j n schwunden; cs war nicht ein Funken der leisesten Hoffnung
a s - A b e n d. 2?
in ihr, daß der ferne Wanderer je könnte wiederkehren, die
alte Treue und Liebe im Herzen; sie hatte den Tod fo furcht-
bar, so erbarmungslos um sich her aufräumen gesehen, ihre
Familie, Heinrichs Eltern und Geschwister waren alle dahin-
gerafft worden, daß es ihr unmöglich dünkte, der einsam
Wandernde könnte all' den Gefahren entgangen sein, mit
denen Krieg und Pest das Leben damals von alten Seiten
bedrohte. Es stand in ihrer Seele das Bild eines einsamen
unbekannten Grabes irgendwo auf weiter Erde, in welches
sie einen fremden Gesellen versenkt; war er erschlagen von
wüsten Kriegsschaaren? war er der Wuth der Pest erlegen? .
sie mußt' es nicht; aber irgend fremde Erde deckte sicher längst
den Geliebten, und kein Tag sollte ihn zurückbringen zur
Heimath, in welcher er die Stätte, wo er ausgewachsen, nicht
mehr gefunden hätte und Niemand von all' Denen, welchen
er Beim Scheiden die Hand gereicht hatte zum Abschied.
Während die Kummervolle also im einsamen Gemach
voil vergangenen Tagen träumte, saß indessen der Herr Sca-
binus Ladenrann in seinem Eckchen auf dem Rathskeller, schaute j
vor sich hin und achtete nicht auf die Gespräche der übrigen '
Gäste von des Friedländers großer Macht und Herrlichkeit,
und wie er nun auch Herzog von Mecklenburg werden solle.
Auch Herr Lademann träumte, und allerlei Bilder traten vor
seine Seele. Wie es wohl sein möchte, dachte er, wenn Frau
Petronella neulich bei dem bösen Sterben hiugerafft worden
wäre; wie er da so viel ungestörter und unbeschränkter die
Frau Sabine und ihren schönen Pflegling unterstützen könnte!
Dann sah er sich im Festtagskleide eintreten in das dunkle j
Stübchen und nach mancherlei einleitenden Reden sein Sprüch- j
lein anbringen: Ob ivohl die ehrsame Jungfer ... er wäre,
wie sie ja wüßten, ein verwittweter Mann und so weiter . .
und nun sah er die wunderschöne bleiche Blume erglühen in
Ueberraschung und Verlegenheit, und — mein Gott! er war
ein wohlhabender angesehener Mann — wie hätte sie nicht
zugreifen und fröhlich Ja sagen sollen, wenn ihr, der Darben-
den und Verlassenen sich mit einem Male die Aussicht eröffnete !
auf ein sorgenloses Dasein! Und weiter malte sich Herr Ladc-
mann aus, wie die junge Frau in seinem Hause schalten und j
walten würde in Schönheit und Holdseligkeit, und wie Freund- ;
lichkeit und Huld ihm begegnen würde, wo jetzt Häßlichkeit
und widerwärtig Wesen ihn umgab, — bis er, ganz aufgeregt
von solchen Bildern, auffuhr in die kalte öde Wirklichkeit hin-
ein, sich mit einem unterdrückten Seufzer hinterm Ohr kratzte
und leise in sich hinein sagte: „Das ist ja Alles nichts!" (Sin
schmachtendes Verlangen aber, die schöne Blume, wenn auch
nur von ferne, wieder zu schauen, blieb non diesen Träumen
in seiner Seele zurück und forschend blickte er dnrch's Fenster
hinauf, ob die Dämmerung draußen bereits soweit vorgeschritten,
daß im Stübchen des Hinterhauses das Lämpchen angezündet
sein möchte; daun wollte er das warme Eckchen des Kellers
verlassen und, auf dem kalten Boden liegend, hinabschauen
in das Gemach, und Herz und Auge weiden an dem Anblick
der Fremden.
Etwa zur selben Zeit schritt ein junger Bursche hastig
4*
-ibend, da es galt, Abschied zu nehmen, denn am nächsten
Morgen in alter Frühe wollte Heinrich hinauswandern auf
lange lange Zeit; damals hatte im Schmerz und Weh des
letzten Zusammenseins Heinrich zum ersten Mal ausgesprochen,
was ihnen Beiden längst als ersehntes Ziel vorschwebte.
»Lucie, liebe Lucie, behüte Dich denn Gott die ganze Zeit
über und vergiß meiner nimmer, während ich nicht heimisch
bi». Ich werde Dich nie vergessen, wohin ich auch kommen
wag ■— und bleib' Du mir zugethan und hold und" — fügte
°r stockend und verlegen hinzu — „wenn indessen Einer käme
und wollte Dich freien . . . Lucie, wenn ich wieder käme
aus der Fremde, und müßt meine Hoffnung so zu Schanden
sehen, ich crtrüg' cs nicht! Denn wenn ich heimkomme und
Hab' was Redliches gelernt, dann will ich bei Deinen Eltern
aufrage». Nicht wahr, Du bleibst meiner eingedenk?" Und
^ucie hatte den Fragenden umschlungen und Lippe an Lippe,
ew heißer Kuß, war das Ja auf des Scheidenden dringende
Mage. Das Alles ging nun zum ersten Male wieder seit
! unger Zelt au der verödeten hoffnungslosen Seele der Ein-
same» vorüber und, Thränen im Auge, schaute sic nieder aus
u Hand, an deren Finger ein einfach Goldringlein steckte;
rs war ihres Heinrichs Abschiedsgeschenk. Er hatte es ihr
an jenem Abend, ein Zeichen ihrer Verlobung, selbst au den
1 >ugcr gesteckt; in seinen Feierstunden hatte er es geschmiedet
un l>as Ringlein war denn auch so ziemlich das Einzige ge-
: weien, was sie herübergebracht hatte von ihrer Habe in die
cachbarstadt, ihre neue Heimath.
All diese Bilder und Erinnerungen aber gingen an ihrer
^ecle hin, wie Gedanken an eine schöne Zeit, die für immer
j n schwunden; cs war nicht ein Funken der leisesten Hoffnung
a s - A b e n d. 2?
in ihr, daß der ferne Wanderer je könnte wiederkehren, die
alte Treue und Liebe im Herzen; sie hatte den Tod fo furcht-
bar, so erbarmungslos um sich her aufräumen gesehen, ihre
Familie, Heinrichs Eltern und Geschwister waren alle dahin-
gerafft worden, daß es ihr unmöglich dünkte, der einsam
Wandernde könnte all' den Gefahren entgangen sein, mit
denen Krieg und Pest das Leben damals von alten Seiten
bedrohte. Es stand in ihrer Seele das Bild eines einsamen
unbekannten Grabes irgendwo auf weiter Erde, in welches
sie einen fremden Gesellen versenkt; war er erschlagen von
wüsten Kriegsschaaren? war er der Wuth der Pest erlegen? .
sie mußt' es nicht; aber irgend fremde Erde deckte sicher längst
den Geliebten, und kein Tag sollte ihn zurückbringen zur
Heimath, in welcher er die Stätte, wo er ausgewachsen, nicht
mehr gefunden hätte und Niemand von all' Denen, welchen
er Beim Scheiden die Hand gereicht hatte zum Abschied.
Während die Kummervolle also im einsamen Gemach
voil vergangenen Tagen träumte, saß indessen der Herr Sca-
binus Ladenrann in seinem Eckchen auf dem Rathskeller, schaute j
vor sich hin und achtete nicht auf die Gespräche der übrigen '
Gäste von des Friedländers großer Macht und Herrlichkeit,
und wie er nun auch Herzog von Mecklenburg werden solle.
Auch Herr Lademann träumte, und allerlei Bilder traten vor
seine Seele. Wie es wohl sein möchte, dachte er, wenn Frau
Petronella neulich bei dem bösen Sterben hiugerafft worden
wäre; wie er da so viel ungestörter und unbeschränkter die
Frau Sabine und ihren schönen Pflegling unterstützen könnte!
Dann sah er sich im Festtagskleide eintreten in das dunkle j
Stübchen und nach mancherlei einleitenden Reden sein Sprüch- j
lein anbringen: Ob ivohl die ehrsame Jungfer ... er wäre,
wie sie ja wüßten, ein verwittweter Mann und so weiter . .
und nun sah er die wunderschöne bleiche Blume erglühen in
Ueberraschung und Verlegenheit, und — mein Gott! er war
ein wohlhabender angesehener Mann — wie hätte sie nicht
zugreifen und fröhlich Ja sagen sollen, wenn ihr, der Darben-
den und Verlassenen sich mit einem Male die Aussicht eröffnete !
auf ein sorgenloses Dasein! Und weiter malte sich Herr Ladc-
mann aus, wie die junge Frau in seinem Hause schalten und j
walten würde in Schönheit und Holdseligkeit, und wie Freund- ;
lichkeit und Huld ihm begegnen würde, wo jetzt Häßlichkeit
und widerwärtig Wesen ihn umgab, — bis er, ganz aufgeregt
von solchen Bildern, auffuhr in die kalte öde Wirklichkeit hin-
ein, sich mit einem unterdrückten Seufzer hinterm Ohr kratzte
und leise in sich hinein sagte: „Das ist ja Alles nichts!" (Sin
schmachtendes Verlangen aber, die schöne Blume, wenn auch
nur von ferne, wieder zu schauen, blieb non diesen Träumen
in seiner Seele zurück und forschend blickte er dnrch's Fenster
hinauf, ob die Dämmerung draußen bereits soweit vorgeschritten,
daß im Stübchen des Hinterhauses das Lämpchen angezündet
sein möchte; daun wollte er das warme Eckchen des Kellers
verlassen und, auf dem kalten Boden liegend, hinabschauen
in das Gemach, und Herz und Auge weiden an dem Anblick
der Fremden.
Etwa zur selben Zeit schritt ein junger Bursche hastig
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Sanct Niklas-Abend"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Thema/Bildinhalt (normiert)
Wehmut <Motiv>
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 50.1869, Nr. 1228, S. 26
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg