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fnitii
Modernes Ritterthum.
gen Blicke ihre blauen Augen fragte, ob diese erste auch
ihre letzte Begegnung sein solle, da antworteten ihm mcht
blos die Augen, sondern auch die rosigen Lippen: „Ich weide
wich freuen Sie morgen bei mir zu sehen." Lange schon
war der letzte Händedruck vorüber, langst war Marie die
! Treppe hinaufgerauscht, auch das Licht in ihrem Fenster war
langst erloschen und noch immer klangen in den Ohren des
ft» der Wand des gegenüberstehenden Hauses Gelehnten wie
^ngelsgesang die Worte : „Ich werde mich freuen, Sie morgen
. dei mir zu sehen." Wenn es Augenblicke gibt im Leben des
! Menschen, wo sich das ganze Sein desselben in Einem Gc-
i danken erschöpft, in Einem Gefühle anfgeht, wo jede Lebens-
Äußerung, auch die unbedeutendste, unter der Herrschaft dieses
> Gedankens, dieses Gefühles steht, so lebte Kurt jetzt einen
solchen Augenblick. Denn ums er dachte, was er träumte,
1 was er sprach und schrieb, ja selbst was er aß und trank bis
zur Stunde, in welcher er sie Wiedersehen sollte, war nur ein
Ausfluß des Einen Gedankens, der ihn beherrschte: sie wird sich
s^uen, mich bei ihr zu sehen. Und >vie denn nichts ans Erden
"vig währt, so faild auch die von der erwartungsvollen Ungeduld
Kurtens selbstgeschaffene Ewigkeit ihr natürliches Ende m der
Stunde, wo derselbe mit dem Aufgebote aller Reize, snr
welche nicht schon Barbier, Friseur, Schneider, Schuster, Hand-
schuhmacher u. s. w. besorgt, in der Wohnung der liebens-
würdigen Marie erschien Ausfallen mußte ihni dabei allcr-
d'ngs, daß der Portier wiederholt versicherte, die schöne Schau-
spielerin sei heute für Niemand zu sprechen. Doch galt dies
>a offenbar allen Anderen außer ihm und war eine besondere
Auszeichnung für den, „aus dessen Besuch mau sich ja freute."
^o stieg er denn kühn die Treppe hinan und zog nicht ohne
ouugthuung die Klingel der Thüre, durch welche sich ihm
der Himmel erschließen sollte. Daß zunächst die Magd er-
schren, um ihm zu öffnen konnte nicht befremden, daß aber
diese Magd den Befehl ihrer Herrin, Niemand vorzulassen,
ausdrücklich auch auf ihn ansdehnte, mit dem Beifügen: man
wünsche auch in Zukunft von seinen Besuchen verschont zu
bleiben, daß sie ihm ferner ein Papier überreichte, welches
Alles erklären sollte und schließlich die Thüre vor seiner Nase
versperrte, das war zu viel aus einmal. Wie ein überlisteter
Dieb, wie Einer, der vor der Gesellschaft, in die er sich zu
schleichen gewußt, plötzlich als Eindringling entlarvt wird, so
stand er da. Wuth und Beschämung kämpften in seinem
Innern, während seine Hände sich krampfhaft an die Briist-
ung der Treppe klammerten und seine Augen in's Leere
starrten. Endlich raffte er sich aus ans seiner Betäubung,
entfaltete das Papier, das ihm die Magd in die Hand ge-
drückt und las:
Note der k. Polizei-Direktion.
An Frl. Marie 3£., Schauspielerin
hier.
Laut Aussage des Dienstmannes N. 47, welcher gestern
Abends im scheinbar trunkenen Zustande Sie zu insultiren
versuchte und wegen seines excedenten Benehmens von der
Patrouille Nr. II verhaftet wurde, war sein Betragen die
Folge eines ausdrücklichen. Abmachens zwischen ihm und einein
Herren, welcher letztere dadurch, daß er Sie aus einer fingirten
Gefahr befreite, Ihre Bekanntschaft zu machen und Ihre Gunst
zu erlangen hoffte. Da diese Aussage mit allen Anzeichen
der Glaubwürdigkeit anftritt, der genannte Dienstmann aber
über den Namen dieses Herren keine Auskunft geben kann,
man ferner Hieramts voraussetzt, daß Ihnen derselbe nicht
unbekannt ist: so ergeht von Amtswegen an Sie das freund-
liche Ersuchen denselben baldmöglichst anhero zur Kenntniß
gelangen zu lassen.
Für die königl. Polizei - Direktion
V-
Nachschrift.
Mein Herr!
Ich habe es zipar nicht für nothivendig gehalten, einer
löbl. Polizei-Direktion Ihren werthen Namen zu nennen,
glaube aber damit auch das Maß der Dankbarkeit erschöpft
zu haben, welche eine Ritterlichkeit von dem Schlage der
Ihren verdient.
Marie.
Kurt soll in der Folge ein tüchtiger Jurist geworden
sein, aber zeitlebens eine besondere Antipathie gegen.das Theater
und Alles, was damit in Verbindung steht, gehabt haben.
w. h.
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Modernes Ritterthum.
gen Blicke ihre blauen Augen fragte, ob diese erste auch
ihre letzte Begegnung sein solle, da antworteten ihm mcht
blos die Augen, sondern auch die rosigen Lippen: „Ich weide
wich freuen Sie morgen bei mir zu sehen." Lange schon
war der letzte Händedruck vorüber, langst war Marie die
! Treppe hinaufgerauscht, auch das Licht in ihrem Fenster war
langst erloschen und noch immer klangen in den Ohren des
ft» der Wand des gegenüberstehenden Hauses Gelehnten wie
^ngelsgesang die Worte : „Ich werde mich freuen, Sie morgen
. dei mir zu sehen." Wenn es Augenblicke gibt im Leben des
! Menschen, wo sich das ganze Sein desselben in Einem Gc-
i danken erschöpft, in Einem Gefühle anfgeht, wo jede Lebens-
Äußerung, auch die unbedeutendste, unter der Herrschaft dieses
> Gedankens, dieses Gefühles steht, so lebte Kurt jetzt einen
solchen Augenblick. Denn ums er dachte, was er träumte,
1 was er sprach und schrieb, ja selbst was er aß und trank bis
zur Stunde, in welcher er sie Wiedersehen sollte, war nur ein
Ausfluß des Einen Gedankens, der ihn beherrschte: sie wird sich
s^uen, mich bei ihr zu sehen. Und >vie denn nichts ans Erden
"vig währt, so faild auch die von der erwartungsvollen Ungeduld
Kurtens selbstgeschaffene Ewigkeit ihr natürliches Ende m der
Stunde, wo derselbe mit dem Aufgebote aller Reize, snr
welche nicht schon Barbier, Friseur, Schneider, Schuster, Hand-
schuhmacher u. s. w. besorgt, in der Wohnung der liebens-
würdigen Marie erschien Ausfallen mußte ihni dabei allcr-
d'ngs, daß der Portier wiederholt versicherte, die schöne Schau-
spielerin sei heute für Niemand zu sprechen. Doch galt dies
>a offenbar allen Anderen außer ihm und war eine besondere
Auszeichnung für den, „aus dessen Besuch mau sich ja freute."
^o stieg er denn kühn die Treppe hinan und zog nicht ohne
ouugthuung die Klingel der Thüre, durch welche sich ihm
der Himmel erschließen sollte. Daß zunächst die Magd er-
schren, um ihm zu öffnen konnte nicht befremden, daß aber
diese Magd den Befehl ihrer Herrin, Niemand vorzulassen,
ausdrücklich auch auf ihn ansdehnte, mit dem Beifügen: man
wünsche auch in Zukunft von seinen Besuchen verschont zu
bleiben, daß sie ihm ferner ein Papier überreichte, welches
Alles erklären sollte und schließlich die Thüre vor seiner Nase
versperrte, das war zu viel aus einmal. Wie ein überlisteter
Dieb, wie Einer, der vor der Gesellschaft, in die er sich zu
schleichen gewußt, plötzlich als Eindringling entlarvt wird, so
stand er da. Wuth und Beschämung kämpften in seinem
Innern, während seine Hände sich krampfhaft an die Briist-
ung der Treppe klammerten und seine Augen in's Leere
starrten. Endlich raffte er sich aus ans seiner Betäubung,
entfaltete das Papier, das ihm die Magd in die Hand ge-
drückt und las:
Note der k. Polizei-Direktion.
An Frl. Marie 3£., Schauspielerin
hier.
Laut Aussage des Dienstmannes N. 47, welcher gestern
Abends im scheinbar trunkenen Zustande Sie zu insultiren
versuchte und wegen seines excedenten Benehmens von der
Patrouille Nr. II verhaftet wurde, war sein Betragen die
Folge eines ausdrücklichen. Abmachens zwischen ihm und einein
Herren, welcher letztere dadurch, daß er Sie aus einer fingirten
Gefahr befreite, Ihre Bekanntschaft zu machen und Ihre Gunst
zu erlangen hoffte. Da diese Aussage mit allen Anzeichen
der Glaubwürdigkeit anftritt, der genannte Dienstmann aber
über den Namen dieses Herren keine Auskunft geben kann,
man ferner Hieramts voraussetzt, daß Ihnen derselbe nicht
unbekannt ist: so ergeht von Amtswegen an Sie das freund-
liche Ersuchen denselben baldmöglichst anhero zur Kenntniß
gelangen zu lassen.
Für die königl. Polizei - Direktion
V-
Nachschrift.
Mein Herr!
Ich habe es zipar nicht für nothivendig gehalten, einer
löbl. Polizei-Direktion Ihren werthen Namen zu nennen,
glaube aber damit auch das Maß der Dankbarkeit erschöpft
zu haben, welche eine Ritterlichkeit von dem Schlage der
Ihren verdient.
Marie.
Kurt soll in der Folge ein tüchtiger Jurist geworden
sein, aber zeitlebens eine besondere Antipathie gegen.das Theater
und Alles, was damit in Verbindung steht, gehabt haben.
w. h.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Modernes Ritterthum"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 50.1869, Nr. 1238, S. 107
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg