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Der Wirth zum „schwarzen Wallfisch.
seinem großen Pelz im Stroh des Geführtes zurecht, die Otier-
mütze fester auf den Kopf drückend, denn der Wind pfiff em-
pfindlich scharf. Es galt die letzte Anstrengung. Tie Pferde
kannten die Straße nach Hause so gut, wie ihr Herr, und
lenkten, lustig wiehernd, in den rechten Hohlweg ein. Der
Mond warf sein fahles Licht auf die Schneemassen, welche sich
vorn und zu beiden Seiten des Schlittens anfthürmten. Aber
die muntern Thiere griffen tüchtig ans und der Tobias lachte
immer vergnügter in sich hinein, wenn er daran dachte, wie
sein Ehegespons daheim ausspringen würde vom großen Eichcn-
tisch in der Schenkstube, wenn sie das bekannte Schellengeläute
und das Knallen vor der Thiir hören und wie sie erst wohl
schmollen wlirde über seine lange Abwesenheit, dann aber gar
freundlich d'rcin schauen, wenn er den Schnappsack aus dem
Schlitten hervorlaugeu werde, darin er ihr gar artige Tinge
aus der Residenz mitgebracht hatte, insbesondere eine funkclneue
Pelzhaube, wie sie die Weibcrleut' der großen Stadt damals
zu tragen pflegten zum Neide ihrer Schwestern auf dem platten
Lande. — Da plötzlich — der Schlitten ruckt rückwärts, die
Pferde bäumen sich, schlagen aus, sträuben die Mähnen, schnau-
ben ängstlich durch die Nüstern und sind nicht vorwärts zu
bringen, nicht in Güte, nicht mit der Peitsche. Was mochte
das sein? — Der Wallfischwirth steigt vom Schlitten und lugt
nach vorn: es ist nichts im Wege; - er tritt an die Pferde !
heran, klopft ihnen Bug und Flanken und bleibt ein Weilchen
bei ihnen stehen, bis sie sich beruhigt zu haben scheinen. Da-
raus sitzt er wieder ans. Aber es bleibt dabei, die Pferde
gehen nicht von der Stelle und scheuen sich nach links hinüber.
Der Tobias folgt nun derselben Richtung und mit einem Male
wird es ihm klar, was das Alles zu bedeuten hat: er war
nämlich mit seinem Fuhrwerk am Fuße des Hügels angclaugt,
auf welchem der Galgen stand, und an diesem Galgen hing
ein armer Sünder, welcher tvohl während seines Fernseius
von Daheim, vielleicht gar heute erst dort Quartier bezogen
haben mochte. Wie er so baumelte in seiner luftigen Tracht
von weißem Linnen, an den Füßen schwarze Schuhe, da
schweifen des Wallfischwirths Augen weiter und hasten an einem
Volke Raben, das sich bereits zur Atzung cingefunden hat. —
| „Hm!" — murmelte der Wallfischwirth — „das ist doch
sonst nicht ihre Art!" — und blickt schärfer hin; cs füllt
ihm auf, daß die Vögel unruhiger sind, als sonst. Sie rücken
auf dem Querbalken, einer hinter dem andern, flatternd ihrem
Raube zwar näher, lassen aber ebenso schnell, wie gescheucht,
wieder ab und ziehen sich zurück, um kühneren Platz zu machen. —
„Nun, das geht doch nimmer mit rechten Dingen zu," meint
der Tobias, steigt beherzt von dem Schlitten, nähert sich ge-
kauert dein Hügel und späht hinauf. Tn! — bewegte der
Gerichtete nicht eben das eine Bein? — rs ist keine Täuschung!
Der Körper dort oben schwankt hin und her! Sollte der
Wind allein die Ursache sein? — Ta fahrt es dem Wallfisch-
> wirth durch sein niiklcidig' Herz: wie! wenn der arme Bursche
j noch nicht ganz todt wäre und du schnittest ihn ab und brächtest
! ihn vollends wieder znm Leben und verbärgest ihn, bis er sich
gnnz erholt, und schafftest ihn dann fort über die Grenze? —
er hätte seine That gewiß genugsam gesühnt. Laß er sich in
Zukunft vor einem Rückfall hüten würde; und was gäbe das
für einen Hauptspaß in der Gegend, wenn mem morgen den
Galgen leer fände! — in Verdacht kannst du nimmer kom-
men, denn die Spuren, wenn sie der Wind nicht verweht,
führen ja nur bis auf den öffentlichen Verkehrsweg und wer-
den dort alsbald verwischt sein! — — Gedacht — gethan!
der Wallfischwirth tritt an den Galgen, wirft seinen Pel;
ab, klimmt hurtig den Balken, hinauf, zieht sein Messer aus
dem Stiefel und — der Gehenkte stürzt in den Schnee. Der
Tobias gleitet geschwind wieder ans die Erde und schaut sich
vorsichtig um — es ist Niemand in der Nähe, Alles bleibt
still. Nichts bewegt sich außer dem über die Felder streichenden
eisigen Winde. Er kniet an der Seite des abgeschnittenen
Körpers nieder, beugt sich über denselben, legt das Ohr an
seinen Mund — — wahrhaftig! er stöhnt — er lebt! Nun
mag er nimmer ans halbem Wege stehen bleiben. Rasch löst
er die die Arme auf dem Rücken zusammenziehenden Stricke,
flößt dem Geretteten Branntwein ein, reibt ihm Schläfe und
Stirn damit und — in einer Viertelstunde ist der Gerichtete
ein Lebender, der sich umfchaut, als könne er noch gar nicht
fassen, was mit ihm geschehen. — „Bursch!" sagt d'ranf der
Wallfischwirth zu ihm, „cs ist jetzt keine Zeit zum Reden;
gerettet Hab' ich dich für diesmal vom Tode, hüte dich für die
Zukunft! Jetzt will ich dich aber ganz in Sicherheit bringen,
vorerst nach meinem Gehöft, wo ich im Pferdcstall oder auf
dem Heuboden schon ein sicheres Versteck für dich finden werde,
bis du wieder bei Kräften bist; dann werde ich dir weiter
forthclfen, die Grenze ist keine drei Stunden von hier entfernt
aber — fei fein still und halt' reinen Mund, daß ich nimmer
in Verdruß komm' mit den Rathhauslcuten drüben in der Stadt,
Der Wirth zum „schwarzen Wallfisch.
seinem großen Pelz im Stroh des Geführtes zurecht, die Otier-
mütze fester auf den Kopf drückend, denn der Wind pfiff em-
pfindlich scharf. Es galt die letzte Anstrengung. Tie Pferde
kannten die Straße nach Hause so gut, wie ihr Herr, und
lenkten, lustig wiehernd, in den rechten Hohlweg ein. Der
Mond warf sein fahles Licht auf die Schneemassen, welche sich
vorn und zu beiden Seiten des Schlittens anfthürmten. Aber
die muntern Thiere griffen tüchtig ans und der Tobias lachte
immer vergnügter in sich hinein, wenn er daran dachte, wie
sein Ehegespons daheim ausspringen würde vom großen Eichcn-
tisch in der Schenkstube, wenn sie das bekannte Schellengeläute
und das Knallen vor der Thiir hören und wie sie erst wohl
schmollen wlirde über seine lange Abwesenheit, dann aber gar
freundlich d'rcin schauen, wenn er den Schnappsack aus dem
Schlitten hervorlaugeu werde, darin er ihr gar artige Tinge
aus der Residenz mitgebracht hatte, insbesondere eine funkclneue
Pelzhaube, wie sie die Weibcrleut' der großen Stadt damals
zu tragen pflegten zum Neide ihrer Schwestern auf dem platten
Lande. — Da plötzlich — der Schlitten ruckt rückwärts, die
Pferde bäumen sich, schlagen aus, sträuben die Mähnen, schnau-
ben ängstlich durch die Nüstern und sind nicht vorwärts zu
bringen, nicht in Güte, nicht mit der Peitsche. Was mochte
das sein? — Der Wallfischwirth steigt vom Schlitten und lugt
nach vorn: es ist nichts im Wege; - er tritt an die Pferde !
heran, klopft ihnen Bug und Flanken und bleibt ein Weilchen
bei ihnen stehen, bis sie sich beruhigt zu haben scheinen. Da-
raus sitzt er wieder ans. Aber es bleibt dabei, die Pferde
gehen nicht von der Stelle und scheuen sich nach links hinüber.
Der Tobias folgt nun derselben Richtung und mit einem Male
wird es ihm klar, was das Alles zu bedeuten hat: er war
nämlich mit seinem Fuhrwerk am Fuße des Hügels angclaugt,
auf welchem der Galgen stand, und an diesem Galgen hing
ein armer Sünder, welcher tvohl während seines Fernseius
von Daheim, vielleicht gar heute erst dort Quartier bezogen
haben mochte. Wie er so baumelte in seiner luftigen Tracht
von weißem Linnen, an den Füßen schwarze Schuhe, da
schweifen des Wallfischwirths Augen weiter und hasten an einem
Volke Raben, das sich bereits zur Atzung cingefunden hat. —
| „Hm!" — murmelte der Wallfischwirth — „das ist doch
sonst nicht ihre Art!" — und blickt schärfer hin; cs füllt
ihm auf, daß die Vögel unruhiger sind, als sonst. Sie rücken
auf dem Querbalken, einer hinter dem andern, flatternd ihrem
Raube zwar näher, lassen aber ebenso schnell, wie gescheucht,
wieder ab und ziehen sich zurück, um kühneren Platz zu machen. —
„Nun, das geht doch nimmer mit rechten Dingen zu," meint
der Tobias, steigt beherzt von dem Schlitten, nähert sich ge-
kauert dein Hügel und späht hinauf. Tn! — bewegte der
Gerichtete nicht eben das eine Bein? — rs ist keine Täuschung!
Der Körper dort oben schwankt hin und her! Sollte der
Wind allein die Ursache sein? — Ta fahrt es dem Wallfisch-
> wirth durch sein niiklcidig' Herz: wie! wenn der arme Bursche
j noch nicht ganz todt wäre und du schnittest ihn ab und brächtest
! ihn vollends wieder znm Leben und verbärgest ihn, bis er sich
gnnz erholt, und schafftest ihn dann fort über die Grenze? —
er hätte seine That gewiß genugsam gesühnt. Laß er sich in
Zukunft vor einem Rückfall hüten würde; und was gäbe das
für einen Hauptspaß in der Gegend, wenn mem morgen den
Galgen leer fände! — in Verdacht kannst du nimmer kom-
men, denn die Spuren, wenn sie der Wind nicht verweht,
führen ja nur bis auf den öffentlichen Verkehrsweg und wer-
den dort alsbald verwischt sein! — — Gedacht — gethan!
der Wallfischwirth tritt an den Galgen, wirft seinen Pel;
ab, klimmt hurtig den Balken, hinauf, zieht sein Messer aus
dem Stiefel und — der Gehenkte stürzt in den Schnee. Der
Tobias gleitet geschwind wieder ans die Erde und schaut sich
vorsichtig um — es ist Niemand in der Nähe, Alles bleibt
still. Nichts bewegt sich außer dem über die Felder streichenden
eisigen Winde. Er kniet an der Seite des abgeschnittenen
Körpers nieder, beugt sich über denselben, legt das Ohr an
seinen Mund — — wahrhaftig! er stöhnt — er lebt! Nun
mag er nimmer ans halbem Wege stehen bleiben. Rasch löst
er die die Arme auf dem Rücken zusammenziehenden Stricke,
flößt dem Geretteten Branntwein ein, reibt ihm Schläfe und
Stirn damit und — in einer Viertelstunde ist der Gerichtete
ein Lebender, der sich umfchaut, als könne er noch gar nicht
fassen, was mit ihm geschehen. — „Bursch!" sagt d'ranf der
Wallfischwirth zu ihm, „cs ist jetzt keine Zeit zum Reden;
gerettet Hab' ich dich für diesmal vom Tode, hüte dich für die
Zukunft! Jetzt will ich dich aber ganz in Sicherheit bringen,
vorerst nach meinem Gehöft, wo ich im Pferdcstall oder auf
dem Heuboden schon ein sicheres Versteck für dich finden werde,
bis du wieder bei Kräften bist; dann werde ich dir weiter
forthclfen, die Grenze ist keine drei Stunden von hier entfernt
aber — fei fein still und halt' reinen Mund, daß ich nimmer
in Verdruß komm' mit den Rathhauslcuten drüben in der Stadt,
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Wirth zum "schwarzen Wallfisch""
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
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Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 56.1872, Nr. 1403, S. 178
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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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Universitätsbibliothek Heidelberg