Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
139

Blaue

es für gewöhnlich trug, und er beugte sich über die staubigen, alten, in
Schweinsleder gebundenen Folianten, die vor ihm aufgcschichtet lagen.

Etwa eine Stunde hatte er hinter den Büchern gesessen,
als Plötzlich laute, Helle Töne an sein Ohr schlugen. Anna,
die sonst nie das Klavier berührte, wenn sie wußte, daß der
Professor zu Hause sei, aus Furcht, denselben in seinen Studien
zu stören, hatte heute, in drei Jahren zum ersten Male, eine
Ausnahme von ihrer Gewohnheit gemacht. Der Frühling lachte
gar so hell durch die Feilster des Zimmers in das Herz des
einsamen Mädchens hinein, daß es die Freude seiner unschuldigen
Seele in den Tönen einer herrlichen Frühlingsphantasic aus-
schüttcte. Sie spielte so wunderbar schön, so ergreifend, daß man
hätte glauben mögen, der Mai selbst hauche seine süßesten Melodiken
aus den Saiten des Instrumentes hervor. Aber dem Professor Delius
war die schöne Musik nur ein widerwärtiges Geräusch, das ihn in
der Enträthsclung einer assyrischen Keilschrift, die eben vor ihm lag,
unangenehm störte. Mißmuthige Falten überzogen seine bleiche
Stirn, und, unwillig vom Schreibtische aufstchcnd, durchschritt
er sein Zimmer und murmelte ärgerlich und verdrießlich aller-
hand böse Bemerkungen über Rücksichtslosigkeit, Zeitvergeudung,
unnütze Klimperei und dergleichen vor sich hin. Er achtete nicht
darauf, daß die Töne immer inniger wurden, sondern hatte
nur den einen Wunsch, daß sie bald möglichst aufhören
möchten. Unwirsch zog
er endlich eine Glocken-
schnur, die aus seinem
Zimmer in die fernste
Ecke eines Hofgebäudes
führte und dort die
schwindsüchtig klingenden
Töne einer hciscrn Glocke
hervorrief.

Ein ältlicher Mann
mit einer sehr rothen
Nase, triefenden Augen
und einem grauen,
bürstenartig gesträubten
Bart, erschien auf dies
Zeichen im Zimmer des
Professors. Er trug sehr
abgeschabte, schmutzige,
ganz schwarze Kleidung,
die ihm viel zu groß
war und seinen Körper
in schlottrigen Falten
umgab. Offenbar bestand seine Garderobe aus den Kleidern, die
der Profcffor abgelegt hatte, denn der ältliche Mann war sein
Diener. Er nahm, als er vor seinen Herrn trat, eine entsetzlich
von der Zeit, von Schmutz und von Motten verheerte Pelzmütze,
die er im Sommer wie im Winter trug und zu allen nur
denkbaren Zwecken verwendete, vom Kopf, fuhr mit derselben
über die Nase und blickte dann den Professor an.

„Brcnnckc," sagte dieser, „ich habe nun drei Jahre in
dem Hause Ruhe gehabt; wer ist denn der Mensch, der jetzt in

Augen.

der Wohnung unter der mcinigen cingczogcn ist und sich nicht
genirt, einen so heillosen Spektakel auf seinem alten Klimper-
kasten zu machen?"

„'S ist eine junge Dame," entgcgnctc Brennekc, „Fräulein
Anna Stein. Sie wohnt schon drei Jahre hier unten," fügte er
hinzu, indem er mit seiner Pelzmütze auf den Fußboden deutete,
„und es wird ihr sehr leid thun, wenn sic hört, daß sie gestört hat."

Der. Professor that so, als hätte er die letzten Worte gänz-
lich überhört. „Noch dazu," rief er aus, „ist's ein Frauenzimmer?
Nun freilich," setzte er in verächtlichem Tone hinzu, „es ist die
alte Geschichte; nur ein Frauenzimmer kann solche Taktlosigkeit be-
gehen. Wenn ich das dumme Geklimper noch ein einziges. Mal
höre, so ziehe ich aus. Ihr könnt jetzt gehen, Brenneke."

Der gelehrte Mann hatte in so erregtem Ton gesprochen,
daß Anna durch den dünnen Zimmerboden jedes seiner Worte
genau gehört hatte. Das arme Mädchen, in solcher Weise aus
seinen schönen Träumen gerissen, hatte augenblicklich zu spielen
aufgehört, und war, vor Angst und Schreck und Beschämung
wie Espenlaub zitternd, an das Fenster zu sihrer Nähmaschine
geeilt. Aber die gute Anna konnte lange Zeit den Faden nicht
sehen, denn ihre Augen standen voll Heller Thräncn. — „Er hat
Recht," sagte sic, indem sic traurig mit dem Köpfchen nickte;
„ganz Recht, wie konnte ich auch so unvorsichtig sein!"

_ (Fortsetzung folgt.)

Viel Vergnügen.

Frisch knackt Hans Metaphysikus
Mit stolzem Lächeln Nuß auf Nuß,

Und reicht noch stolzer als Gewinn
Statt Kern's ein' and'rc Nuß dir hin;

Sagst „Schale" du „kann Kern nicht sein,"

Sagt er: „da eben steckt er drei»,

Knack' lustig fort, cs muß einmal
Der Kern doch fallen aus der Schal';

Und hast du dich genug geplackt,

Gieb's Einem, daß er weiter knackt.

Wir knacken schon an die dreitausend Jahr,

Und nach dreitausend ist's auch nicht gar!

Doch Schal' um Schale lösen weg
Ist ja des Menschen höchster Zweck,

O glücklich, wer zur letzten kommt.

Dann hat der Mensch erst, was ihm frommt.

Doch wenn die letzte Nuß ist hohl,

Möcht' sein Gesicht ich schauen wohl."

Parabrl.

Ein ehrwürdiger alter Mann mühte sich in der Last und
Hitze des Tages auf seinem Acker und streute das hoffnungsreiche
Saamenkorn in den fruchtbaren Schooß der Erde. Plötzlich stand
im Schatten einer alten Linde eine Erscheinung vor ihm. Ter alte
Mann crschrack. — „Ich bin Salomo," sagte die Erscheinung in
freundlichem Tone; „was thust Du hier, Alter?" — „Wenn Du
Salomo bist," antwortete der lvürdigc Säemann, „wie kannst Du
dann so fragen? In meiner Jugend schicktest Du mich zur Ameise;
ich sah ihren Fleiß und lernte von diesem Thicrc thätig sein
und sammeln. Was ich damals lernte, befolge ich noch diese
Stunde." — „Da hast Du blos die Hälfte Deiner Aufgabe

18*
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Blaue Augen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Spitzer, Emanuel
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Diener
Karikatur
Kleidung <Motiv>
Lumpen
Aussehen <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 63.1875, Nr. 1580, S. 139

Beziehungen

Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
 
Annotationen