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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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Bayersdorfer, W.: Tschudi
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https://doi.org/10.11588/diglit.5954#0060

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XXIII. Jahrgang 1911/1912 Nr. 7. 1. Dezember 1911.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst* erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann,
Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

TSCHUDI f

Freitag, den 24. November, im Laufe des Vor-
mittags, heftete man in den Straßen Münchens ein
Extrablatt an die Mauern, das in großen schwarzen
Lettern mit einem Kreuz versehen den diesen Zeilen
vorangesetzten Namen trug und manchem, fröhlich
des Weges kommenden Passanten den eilenden Schritt
hemmte, um ihn beklommen, wehmütig und in sich
gekehrt, seinen Gang zögernd fortsetzen zu lassen.

Hugo von Tschudi, der Generaldirektor der baye-
rischen Galerien, ist seinem schweren Leiden Donners-
tag, den 23.November, abends 1/2ioUhr, im Sanatorium
Veiel in Cannstatt erlegen und hat die Hoffnungen
vieler mit sich ins Grab genommen. Noch in den
letzten Wochen glaubte man bestimmt an eine Wieder-
herstellung seiner seit dem vergangenen Winter äußerst
angegriffenen Gesundheit und sprach von der erfolg-
reichen Kur in der bekannten württembergischen An-
stalt, als er an dem für die Heimkehr nach München
bestimmten Tag neuerdings von einer sehr tiefsitzenden
Bronchitis befallen wurde, die im Verein mit bald
eintretenden schweren Herzschwächen seinem reichen
Leben ein allzu frühes Ende bereitet hat. Nun ist
eine der bedeutendsten und stärksten Persönlichkeiten
des europäischen Kunstlebens für immer von uns
geschieden und unter den Trauernden steht an erster
Stelle München, dem dieser Mann mit einer beispiel-
losen Arbeitskraft und Liebe zur Sache, oft unter den
quälendsten, heftigsten Schmerzen, die letzten zwei-
einhalb Jahre seines Daseins gewidmet hatte.

Hugo von Tschudi war 1851 in Jakobshof in
Niederösterreich als der Sohn des bekannten Natur-
forschers und schweizerischen Gesandten in Wien
Joh. Jac. von Tschudi geboren worden und hatte
auch in Österreich, wo er an der Wiener Universität
Jura und Kunstgeschichte studierte, seine erste wissen-
schaftliche Ausbildung erhalten, die er bald durch
häufige Reisen möglichst zu vervollständigen trachtete.
Am österreichischen Museum für Kunst und Industrie
in Wien begann er seine Laufbahn als Museums-
beamter, kam dann 1884 an die Kgl. Museen in
Berlin, wo er kurz darauf Direktorialassistent in der
Gemäldegalerie und in der Abteilung der Bildwerke
der christlichen Epochen wurde, und übernahm schließ-
lich im Jahre 1896 als Nachfolger Max Jordans die
Leitung der in der Folgezeit durch ihn vollständig
umgestalteten Nationalgalerie. Und damit war ihm

endlich Gelegenheit gegeben, seine Fähigkeiten im
höchsten Maße nutzbringend zu verwerten. Tschudi
gehörte nicht zu jenen Kunstwissenschaftlern, die in
emsiger, steter Arbeit alle paar Jahre ein oder mehrere
dicke Bände auf den Markt bringen, voll von bis
zum Nebensächlichsten vordringender Gelehrsamkeit,
voll von Tatsachen, Worten und oft widersinnigen
Hypothesen, er gehörte auch nicht zu jenen, die die
Ergebnisse einer langen und intensiven Beschäftigung
mit einem Künstler oder einer mehr oder minder
begrenzten Epoche der Kunst in einer die Gesetze
ihres geistigen Schaffens und ihrer Entwicklung auf-
deckenden Arbeit klarzulegen suchen. Nicht im Bücher-
schreiben lag seine Stärke (wenngleich seine literarische
Tätigkeit bedeutender ist, als man gemeiniglich annimmt),
sondern in der Art und Weise, wie er das Wesen
und die Bestrebungen einer auf das rein Malerische
ausgehenden, vom literarischen Inhalt vollkommen
abstrahierenden Kunst zu erkennen und für die ihm
unterstellten Sammlungen nutzbar zu machen wußte.
In den 13 Jahren, die er der Berliner Nationalgalerie
vorstand, hat dieses Institut, teils durch Ausscheiden
von Vorhandenem, teils durch Neuerwerbungen ein
so völlig anderes Aussehen bekommen, sein künst-
lerisches Gewand derart verändert, daß man ohne zu
übertreiben sagen kann: Tschudi ist der Gründer der
Nationalgalerie. Er faßte das Wort »National« nicht
in dem Sinn, daß die Galerie nur Künstlern deutscher
Nation geöffnet sein sollte, sondern er faßte es auf
als für die Nation und suchte aus diesem Grunde
dem deutschen Volk eine Sammlung des Besten seiner
Zeit zu schaffen, gleichviel, wo die Wiege des be-
treffenden Künstlers gestanden hatte. Und da der
Hauptstrom der deutschen Malerei des späteren 19. Jahr-
hunderts seine weitgehendsten Anregungen von den
Franzosen erhalten hat, da diese überhaupt die Schöpfer
der neuen Richtung waren und in ihr die stärksten
und nachhaltigsten Talente aufzuweisen hatten, so war
es nur natürlich, daß Tschudi sich gute Arbeiten dieser
Meister zu sichern trachtete, was ihm durch eine
zahlungs- und hilfsbereite Gönnerschar in der Mehr-
zahl der Fälle auch ermöglicht wurde. Daß er dar-
über auch die deutsche Kunst nicht vergaß, beweisen
Ankäufe der Werke von Böcklin, Kläger, Menzel,
Leibi, Trübner, Schuck, Liebermann, Marees usw., be-
weist vor allem die hauptsächlich von ihm ins Leben
gerufene deutsche Jahrhundertausstellung im Sommer
 
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