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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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Kirstein, Gustav: Theodor Schreiber
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https://doi.org/10.11588/diglit.5954#0164

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ACAO. LESEH.

KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XXIII. Jahrgang 1911/1912 Nr. 20/21. 22. März 1912.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann,
Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

THEODOR SCHREIBER f
geboren 1848 in Strehla, gestorben 1912 in Leipzig

Das Leipziger Museum hat seinen langjährigen
Direktor, die Archäologie einen verdienten Forscher
verloren. Theodor Schreiber ist am Morgen des
13. März nach kurzer Krankheit entschlafen.

Vor wenigen Monaten konnte er in aller Stille
des Tages gedenken, wo er vor 25 Jahren zur Leitung
des Leipziger städtischen Museums als Nachfolger
Lückes berufen ward. Diese Berufung war damals
eigentlich ein Schritt vom Wege, weil der Archäologe
Schreiber, der sich schon in seiner klassischen Wissen-
schaft einen Namen gemacht hatte und bereits eine
außerordentliche Professur bekleidete, der Pflege der
modernen Kunst bisher fern geblieben war. Was
aber zuerst ein Versuch, oder vielleicht eine vorüber-
gehende Stellung schien, ward für Schreiber, der alles,
was er ergriff, mit Treue, Liebe, Ernst und gebildetem
Fleiß umfaßte, bald zur zweiten Lebensaufgabe. So
ward der Erforscher der alexandrinischen Kunstblüte
Direktor eines nur auf die Pflege der lebenden Kunst
gestellten Museums; so blieb aber auch der moderne
Museumsdirektor sein lebelang Archäologe. Und in
dieser Doppelwelt, in der er sich bewegte, in diesem
Durchdringen zweier, in der Art der Betätigung ein-
ander ausschließenden Lebenskreise findet man den
Schlüssel zu manchem Zug im Wesen des Verstorbenen.

Aber das soll ihm doch hier über das Grab
hinaus nachgerufen werden: er hat sich mit ganzem
Herzen bemüht, Leipzigs Kunstbesitz zu mehren,
Leipzigs Kunstverständnis zu heben. Fortgesetzt hat
er jahraus, jahrein durch beredsame Vorträge Be-
geisterung für die moderne Kunstbewegung, Ver-
ständnis für die ältere Kunstübung in der Leipziger
Bürgerschaft zu wecken gesucht. Besonders um
Klinger hat er sich sehr verdient gemacht; und er
sprach mit Vorliebe von der Zeit, da die schranken-
lose Verehrung Klingers bei den maßgebenden Ver-
tretern der öffentlichen Kunstpflege durchaus noch
keine Selbstverständlichkeit war. Aus diesen Zeiten
packte er gern aus, wenn man an seine verspäteten
Käufe, an verpaßte Gelegenheiten rührte.

Allerdings gehörte er auch nicht zu den starken,
rücksichtslosen Persönlichkeiten, die das für gut Er-
kannte gegen alle Widerstände durchsetzen. Aber
wenn man aufzählen würde, was unter seinem Direk-
torat das Leipziger Museum an Schätzen gewonnen

hat, so würde doch eine stolze Reihe für ihn zeugen:
Böcklins Toteninsel und Liebermanns Konserven-
macherinnen, Leibis Spinnerin und Klingers Bteue
Stunde, Segantinis Liebesfrucht, Thomas wundervolle
Mainlandschaft und der große, prächtige Zuloaga.
Jedenfalls ist das Leipziger Museum, wenn wir Ham-
burg ausschließen, unter den städtischen Museen
Deutschlands eines der besten und reichsten. Und
daß es so geworden ist, darum hat Schreiber in einem
Vierteljahrhundert sich redlich verdient gemacht.

In der Altertumswissenschaft verknüpft sich mit
seinem Namen die Aufhellung der Kenntnis von der
alexandrinischen Bildnerei. Als Schüler Overbecks
kam Schreiber Ende der siebziger Jahre nach Italien,
wo er mehrere Jahre in Rom, dann in Palermo
Studien machte. Damals katalogisierte er (muster-
gültig, und heute noch vorbildlich) die Antiken der
Villa Ludovisi und bemerkte dabei zwei schöne Re-
liefs, die er als hellenistisch ansprach, und die das
Samenkorn waren, aus dem seine ganze künftige
Forscherlaufbahn entsproß. Er machte sich nämlich
auf die Suche nach weiteren solchen Reliefs helle-
nistischen Stiles, entdeckte in Wien jene Brunnen-
reliefs aus dem Palazzo Grimani, über die er eine
ausgezeichnete Abhandlung herausgab, und bereiste
schließlich mit Unterstützung der sächsischen Akademie
der Wissenschaften alle Teile Europas, um diese »helle-
nistischen Reliefbilder« photographisch aufzunehmen.
In dieser großen Publikation hat er der Archäologie
eine Materialsammlung bereitet, die — wie auch dieses
Material gewertet und gedeutet werden mag — für
die Wissenschaft höchst wichtig ist

Schließlich sah er sich vor die interessante Auf-
gabe gestellt, zunächst als archäologischer Beirat dem
Geographen Sieglin bei einer von dessen Bruder
ausgerüsteten Expedition nach Ägypten zur Seite zu
stehen. Sieglin wollte auf Grund von Schriftquellen
das Grab Alexanders des Großen finden. Lokale
Schwierigkeiten machten die Erforschung aber un-
möglich. Jedoch begann nun Schreiber durch Sieg-
lins Munifizenz selbständig weitere Forschungen in
Alexandria zu unternehmen und hat auch später
noch eine zweite solche Sieglin-Expedition ausge-
führt. Das hauptsächliche Ergebnis ist niedergelegt
in einem Werke über die Nekropole von Köm-esch-
Schukafa in Alexandrien. So kam er schließlich
auch auf Studien über die Bildnisse Alexanders des
 
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