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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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Berliner Notizen
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ACAD. LESEH.

KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Hospitalstraße 11 a
Neue Folge. XXIII. Jahrgang 1911/1912 Nr. 37. 30. August 1912.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann,
Leipzig, Hospitalstraße IIa. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

BERLINER NOTIZEN
Der Berliner »Sturm« bläst immer kräftiger. Das
ist die Zeitschrift der Jüngsten, Kecksten und Rück-
sichtslosesten aus allen Kunstprovinzen, die gegen
alle Tradition und Wohleingesessenheit in Dichtung
und Theater, in Kritik und Schriftstellerei, in Malerei
und Plastik wie die Hunnen Sturm laufen, und die
seit einiger Zeit auch Ausstellungen veranstalten. Von
hier gingen die Manifeste der »Futuristen« aus. Hier
ist das Hauptquartier aller derer, die in der Sezession
einen petrefakten reaktionären Konzern erblicken, den
Inbegriff des Rückschritts, der Stumpfheit und blöden
Verstocktheit. Für diese jungen Leute, die keinen
Respekt kennen, ist nur das annehmbar, was in wilder,
überschäumender Ekstase nach neuen, ungeahnten Er-
regungen der Seele sucht. Dabei wird viel Unsinn
verzapft und Unreifes zur Offenbarung heraufgepäppelt.
Aber es gehen von dieser brodelnden Unruhe doch
auch starke und eindrucksvolle Anregungen aus, die
wir nicht missen wollen noch können. Jetzt hat der
»Sturm« wieder eine kleine »Expressionisten-Aus-
stellung« veranstaltet, die einige Franzosen und Deut-
sche vereint vorführt. Aus Paris ließ er diesmal vor
allem anderthalb Dutzend Bilder von Herbin kommen,
dem begabtesten Mitstreiter Picassos. Man sieht auch
hier ein großes Talent von unmittelbar wirkendem
Farbengefühl, das sich aber dann wieder in den
doktrinären Strudel des »Kubismus« hinabziehen läßt.
Er ist dabei nicht so radikal, freilich auch nicht so
unerbittlich ernsthaft wie Picasso selbst und kann die
Harmonien Cezannes, von dem er ausgegangen ist,
zu seinem Glück nie ganz überwinden. Man fragt
sich dann, ob die kubistische Lehre nicht vielleicht
doch einmal durch ihre Betonung der Form der
Malerei der Zukunft ähnlich nützen könnte, wie der
dogmatische Neoimpressionismus, an sich ebenso un-
verdaulich, einst die Empfindung für reine Farben-
pigmente befruchtet hat. Vom Neoimpressionismus
selbst nahm Braque seinen Ausgang, heute ein zweiter
Gefolgsmann Picassos, aber schwächlicher als Herbin.
Immerhin, diese Franzosen alle, auch Derain, Othon
Friesz, Marie Laurencin, Maurice de Vlaminck, De-
launay (der die kubistische Tollheit von der Umgebung
des Eiffelturms sandte, die schon vorm Jahre in Paris
Kämpfe entfesselte), haben so viel Farbengefühl in den
Fingerspitzen, daß sie kaum ein ganz reizloses Bild
fertig bekommen. In Deutschland sind wir leider

noch nicht so weit. Die Roheit und Barbarei spielen
hier auch den Talentvollsten immer wieder arge
Streiche. Sie haben auch Wassili Kßndinsky, den
begabten Münchner Slaven, so tief in seine sinnlosen
Farbenexzentrizitäten hineingetrieben, daß er sich an-
scheinend überhaupt nicht mehr herausfindet. Kandinsky
möchte durch die durcheinandergequirlten bunten
Striche und Flecke seiner Arbeiten, die meist gar
nichts bedeuten, keine noch so ferne »naturalistische
Illusion« vermitteln wollen, bestimmte Empfindungen
im Beschauer erwecken, oder besser: bestimmte Emp-
findungen des Malers selbst spiegeln. Aber es ist
unmöglich, vor ihnen zu einem faßbaren Eindruck
zu gelangen. Dennoch könnte man sich sehr wohl
vorstellen, daß ein Maler auch von diesen Paroxysmen
Anregungen erhält, die er nützen kann. Interes-
santer ist der Rheinländer Franz Marc, der aus brau-
senden Farbenfluten phantastische Tiergestalten als
Visionen auftauchen läßt. —

Schultze-Naumburg hat jetzt seine Entwürfe zu
dem neuen Residenzschloß des Kronprinzen im Neuen
Garten am Jungfernsee bei Potsdam fertiggestellt, die
auch schon die Genehmigung des Kaisers wie des
Kronprinzenpaares erlangt haben. Dem Vernehmen
nach handelt es sich um eine ausgedehnte Anlage
im Stil großer englischer Landschlösser. —

Die neue Synagoge in Charlottenburg, ein aus-
gezeichnetes Bauwerk des jungen, noch kaum be-
kannten Architekten Ehrenfried Hessel, das soeben
seiner Bestimmung übergeben ward, gehört zu den
künstlerisch interessantesten neuen Gotteshäusern Berlins.
Das Gebäude, in einem gar zu mittelalterlich ge-
nommenen, aber ohne Pedanterie behandelten roma-
nischen Stil gehalten, zeichnet sich durch eine vor-
zügliche Klarheit in der Gliederung der Hauptmassen
und in der Art aus, wie der Grundriß im Außenbau zur
Geltung kommt. Drei flache Kuppeln, die dem Innern
eine außerordentliche und feierliche Raumwirkung
geben, erscheinen nach außen als bestimmend für
eine schöne und charaktervolle Silhouette. Ihnen ent-
sprechen drei Giebel an den Seitenfronten, diesen
wieder ein ähnlich gestalteter Portalvorbau, der durch
eine glückliche Dreiteilung den dreischiffigen Tempel
selbst vorbereitet. Drinnen ergibt eine Mischung aus
byzantinischer Überlieferung und moderner Art, na-
mentlich in dem Goldmosaik der Gurtbögen und
der Apsis des Chors, sehr gute und orginelle Wir-
 
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