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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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Müller-Freienfels, Richard: Über die Formen der dramatischen und epischen Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0212
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208 RICHARD MÜLLER-FREIENFELS.

keiten soll der Dichter einer Theorie zulieb, die keinen rechten Grund
hat, entsagen? Ja, sogar durch falsche Reflexionen, durch scheinbares
Nichtverstehen und Nichtwissen kann der Dichter wirken. Wie köst-
lich wirkt in Anatole Frances »La Rötisserie de la Reine Pe'dauque«
die Naivität des erzählenden Tournebroche, seine naive Bewunderung
für seinen »grand et eher mattre«/ Nein, die Lehre von der Un-
parteilichkeit des Epikers ist falsch. Wenn man überhaupt etwas aus-
sagen will, so wird man feststellen können, daß der Epiker insofern
eine Mittelstellung zwischen Lyriker und Dramatiker hat, als in der
Regel ein zu subjektiver Lyrismus der Darstellung schadet, daß aber
ein Nachahmen der Objektivität des Dramatikers leicht kühl wirken
wird, da sie nicht durch die lebendige Anschauungskraft der Bühne

aufgewogen wird.

*

Blicken wir zurück, so zeigt sich, daß die Art der Darbietung und
die dabei in Betracht kommenden Umstände äußerst wichtig sind für
das Zustandekommen des epischen Stils. Einmal ist es der Umstand,
daß erzählt wird, d. h. daß der Subjektivität im Erzählenden mehr
Raum gewährt ist, als etwa im Drama, höchst wichtig für den epi-
schen Stil, und die Forderung der Objektivität ist darum zum Teil zu
Unrecht erhoben worden. Anderseits ist aber auch höchst wichtio-
für die Ausbildung der epischen Stilformen das Publikum, dem erzählt
wird. Je nachdem die Erzählung gesungen, gesprochen oder im Druck
dargeboten wurde, ob sie sich an eine Menge oder an Einzelne rich-
tete, alles das hat seine Rückwirkung auf die Formgebung, und von
diesen Umständen aus fällt mancherlei Licht auf die Ausbildung und
die ästhetische Wirksamkeit der verschiedenen epischen Stilgattungen.
 
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