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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0087
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BESPRECHUNGEN

73

Oskar Wulff: Lebenswege und Forschungsziele. Verlag bei
Rudolf M. Rohrer in Baden bei Wien. 1936.

Diese Rückschau auf Leben und Werk ist für unsere Zeitschrift von besonderem
Wert, da Wulff seit Jahrzehnten an unsern Bestrebungen den lebhaftesten und erfolg-
reichsten Anteil gehabt hat; er selbst gesteht, daß seine allgemein geschätzten Unter-
suchungen auf dem Sondergebiet der byzantinischen und slawischen Kunst ihm nie-
mals so am Herzen gelegen haben wie die kunsttheoretischen Probleme. Trotzdem
braucht er nicht zu klagen, er sei aus seinem Wege gedrängt worden, denn es ist ihm
schließlich doch möglich gewesen, als Professor in Vorlesungen und als Schriftsteller
in zahlreichen Veröffentlichungen seine Ansichten zu vertreten. Ja, man hat im
Grunde das Gefühl, sein Leben sei planmäßiger verlaufen als bei manchem anderen.
Äußerlich betrachtet ist es freilich bunt genug hergegangen. Man lese selber, wie der
Knabe in Reval und Dorpat aufwuchs, der Jüngling dann 1888 an die Berliner Uni-
versität kam und hier zwar von der deutschen Kunst und Wissenschaft angezogen,
von der deutschen Wirklichkeit aber enttäuscht wurde: „Ich konnte nicht verkennen,
daß im Gedränge des wirtschaftlichen Lebenskampfes Anpassungsfähigkeit und Ge-
schäftssinn bis in die akademische Jugend verbreitet war." Im Herbst 1895 kam Wulff
an das russische archäologische Institut in Konstantinopel, einige Jahre später glückte
es ihm, in Deutschland festen Fuß zu fassen. Allerdings mußte er Zeit und Kraft
zwischen Museumsdienst und Dozentur teilen. Immerhin fand er in unserer 1908 ge-
gründeten „Vereinigung für ästhetische Forschung" einen Sammelpunkt für seine
kunsttheoretischen Bestrebungen; diesen will Wulff nun, nachdem er in den vollen
Ruhestand getreten ist, seine letzte Lebensarbeit widmen.

Von Anfang an war es Wulff zu tun um die Erklärung der künstlerischen Ge-
staltungsvorgänge durch sinnespsychologische Erkenntnis. Sein Weg begann bei Helm-
holtz, Wundt und Külpe und erhielt die entscheidende Richtung durch Schmarsow.
In der Kunst, so lehrte Schmarsow, setzt sich der Mensch schöpferisch mit der
Umwelt auseinander, und zwar durch Raumgestaltung und Zeitversinnlichung. Wulffs
Deutung bestand nun darin, daß er die Ergebnisse der Psychologie, dem Fortgang
ihrer Arbeit bis zu einer gewissen Grenze folgend, in Schmarsows Grundauffassung
einschmolz. Das Buch schildert uns, wie es den immer erneuten Bemühungen gelang,
eine klare Gesamtschau zu gewinnen. Hierbei erwies sich besonders auch unser erster
Kongreß (1913) als Hilfe (vgl. S. 128 und 159). Wulff bestimmte damals den Inhalt
der allgemeinen Kunstwissenschaft folgendermaßen: „sie umfaßt die Ursprungsfrage
der Kunst, das System, d.h. ihre Spaltung in die Einzelkünste des Auges und des
Ohres, die Untersuchung der Gestaltungsmittel und des formalen Aufbaus des Kunst-
werks, sowie der seelischen Veranlagung des Künstlers und schließlich die Fest-
stellung der biologischen und soziologischen Bedeutung der Kunst". Auseinander-
setzungen mit Müller-Freienfels, Wölfflin, Tietze führten dahin, „die Entwicklungs-
lehre auf eine möglichst umfassende vergleichende Phänomenologie der Kunsttat-
sachen zu begründen" und das Wachstum der „Bildpoetik" zu erforschen, d. h. der
Veranschaulichung des Vorstellungsgehalts und der Entfaltung der Bildphantasie in
der darstellenden Kunst. Hierbei wurde Wulff durch seine Untersuchungen über die
Kinderkunst gefördert. Dies alles tritt noch einmal im dritten Teil des Buches her-
vor, der „Bausteine" zur Theorie und Ästhetik der bildenden Kunst enthält.

Ein Buch, reich an menschlichem und sachlichem Ertrag. Daher erfreulich und
lohnend zu lesen.

Berlin. Max Dessoir.
 
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