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Nun stellt sich uns die Frage, wie dieser aus jüdischer
Sicht unbequeme Ort, der eigentlich als neutrale Kulisse
für die grausame Entscheidung über das Schicksal
der deutschen Juden diente und somit zum Ort einer
wichtige Station auf dem Weg zur „Endlösung" war,
im Kontext der Erinnerungsarbeit gestaltet werden soll.
Die für die Publikumsführungen im Finanzministerium
zuständigen Beamten sind kenntnisreich. Sie kön-
nen Besucher auf die Vorgeschichte des Raums auf-
merksam machen, können sogar am „Tag der offenen
Tür" über diese Vergangenheit ausführlich berichten.
Doch was begegnet dem Teilnehmer einer normalen
Sitzung im Eurosaal, der andere Ziele vor Augen
hat, als Geschichte zu bearbeiten? Reicht es ihm,
die moderne Technik des Raumes zu bewundern?
Die Nationalsozialisten wussten, wie man einen
Raum neugestaltet, auch ohne die Architektur zu
berühren. Die Kaiserstraße wurde zur Adolf Hitler-
Straße und der Königsplatz wurde zum Adolf Hitler-
Platz. Ähnlich, aber natürlich mit umgekehrten Vor-
zeichen, könnte man heute auch im Fall unseres
Saales im Bundesfinanzministerium verfahren - man
hätte den Saal umbenennen können. Der große
Festsaal im Bundesfinanzministerium ist bereits 2011
umbenannt worden - er heißt seit August 2011
Matthias-Erzberger-Saal.9 So weit ist man also mit der
Erinnerungsarbeit im Finanzministerium gekommen.
Mein von einem der Staatssekretäre im Finanzminis-
terium wohlwollend unterstützter Vorschlag, den
Saal fortan nach Otto Hirsch und Julius Seligsohn,
zwei von Nationalsozialisten ermordete Vorstands-
mitglieder der Reichsvereinigung der Juden in
Deutschland,10 zu benennen, gelangte zwar auf den
Tisch des Finanzministers, wurde aber von diesem
abgelehnt und zwar - so der Minister selbst - mit
der Begründung, die Umbenennung des Eurosaals im
deutschen Finanzministerium werde ein falsches Sig-
nal an die Europäische Union mitten in der großen
Eurokrise senden. Gewiss verdient der frühere Reichs-
finanzminister Erzberger ein Denkmal. Der unbe-
queme Ort, der große Festsaal in Hermann Görings
Ministerium, könnte so wieder relativ bequem werden.
Was aber ist mit dem anderen unbequemen Ort? Ist
dieser Saal nicht ausreichend unbequem, so dass man
im Ministerium meint, mit einer Gedenkstunde zum 75.
Jahrestag der Sitzung als Stück der Erinnerungsarbeit
davonkommen zu können?
Auch gibt es ein weiteres, mit dem Ort verbundenes
Problem - die fragliche Sitzung am 12. November
1938 fand nicht im Reichsfinanzministerium, sondern
im Reichsluftfahrtministerium statt. Was entscheidet
über die „Bewältigung" der Vergangenheit dieses
Ortes? Seine damalige oder seine gegenwärtige
Funktion? Kann die Umfunktionierung auch als Alibi
missbraucht werden? Zudem gab es noch ein ganz
anderes Problem mit meinem wohl unbequemen
Vorschlag: Die Personen, derer mit der Umbenennung
des Saals gedacht werden sollte, seien nicht bekannt
genug. Julius Seligsohn und Otto Hirsch wurden in
4 Europasaal im ehemaligen Erweiterungsbau der Reichsbank aus den Jahren 1934 - 1940 am Werderschen Markt in Berlin,
heute Sitz des Auswertigen Amtes, 2015. Foto: Jörg Krüger, Bundesministerium für Finanzen.
Nun stellt sich uns die Frage, wie dieser aus jüdischer
Sicht unbequeme Ort, der eigentlich als neutrale Kulisse
für die grausame Entscheidung über das Schicksal
der deutschen Juden diente und somit zum Ort einer
wichtige Station auf dem Weg zur „Endlösung" war,
im Kontext der Erinnerungsarbeit gestaltet werden soll.
Die für die Publikumsführungen im Finanzministerium
zuständigen Beamten sind kenntnisreich. Sie kön-
nen Besucher auf die Vorgeschichte des Raums auf-
merksam machen, können sogar am „Tag der offenen
Tür" über diese Vergangenheit ausführlich berichten.
Doch was begegnet dem Teilnehmer einer normalen
Sitzung im Eurosaal, der andere Ziele vor Augen
hat, als Geschichte zu bearbeiten? Reicht es ihm,
die moderne Technik des Raumes zu bewundern?
Die Nationalsozialisten wussten, wie man einen
Raum neugestaltet, auch ohne die Architektur zu
berühren. Die Kaiserstraße wurde zur Adolf Hitler-
Straße und der Königsplatz wurde zum Adolf Hitler-
Platz. Ähnlich, aber natürlich mit umgekehrten Vor-
zeichen, könnte man heute auch im Fall unseres
Saales im Bundesfinanzministerium verfahren - man
hätte den Saal umbenennen können. Der große
Festsaal im Bundesfinanzministerium ist bereits 2011
umbenannt worden - er heißt seit August 2011
Matthias-Erzberger-Saal.9 So weit ist man also mit der
Erinnerungsarbeit im Finanzministerium gekommen.
Mein von einem der Staatssekretäre im Finanzminis-
terium wohlwollend unterstützter Vorschlag, den
Saal fortan nach Otto Hirsch und Julius Seligsohn,
zwei von Nationalsozialisten ermordete Vorstands-
mitglieder der Reichsvereinigung der Juden in
Deutschland,10 zu benennen, gelangte zwar auf den
Tisch des Finanzministers, wurde aber von diesem
abgelehnt und zwar - so der Minister selbst - mit
der Begründung, die Umbenennung des Eurosaals im
deutschen Finanzministerium werde ein falsches Sig-
nal an die Europäische Union mitten in der großen
Eurokrise senden. Gewiss verdient der frühere Reichs-
finanzminister Erzberger ein Denkmal. Der unbe-
queme Ort, der große Festsaal in Hermann Görings
Ministerium, könnte so wieder relativ bequem werden.
Was aber ist mit dem anderen unbequemen Ort? Ist
dieser Saal nicht ausreichend unbequem, so dass man
im Ministerium meint, mit einer Gedenkstunde zum 75.
Jahrestag der Sitzung als Stück der Erinnerungsarbeit
davonkommen zu können?
Auch gibt es ein weiteres, mit dem Ort verbundenes
Problem - die fragliche Sitzung am 12. November
1938 fand nicht im Reichsfinanzministerium, sondern
im Reichsluftfahrtministerium statt. Was entscheidet
über die „Bewältigung" der Vergangenheit dieses
Ortes? Seine damalige oder seine gegenwärtige
Funktion? Kann die Umfunktionierung auch als Alibi
missbraucht werden? Zudem gab es noch ein ganz
anderes Problem mit meinem wohl unbequemen
Vorschlag: Die Personen, derer mit der Umbenennung
des Saals gedacht werden sollte, seien nicht bekannt
genug. Julius Seligsohn und Otto Hirsch wurden in
4 Europasaal im ehemaligen Erweiterungsbau der Reichsbank aus den Jahren 1934 - 1940 am Werderschen Markt in Berlin,
heute Sitz des Auswertigen Amtes, 2015. Foto: Jörg Krüger, Bundesministerium für Finanzen.