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"Unter der GrasNarbe" <Veranstaltung, 2014, Hannover>; Schomann, Rainer [Hrsg.]; Schormann, Michael Heinrich [Hrsg.]; Wolschke-Bulmahn, Joachim [Hrsg.]; Winghart, Stefan [Hrsg.]; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; VGH-Stiftung [Hrsg.]; Zentrum für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur [Hrsg.]; Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Unter der GrasNarbe: Freiraumgestaltungen in Niedersachsen während der NS-Diktatur als denkmalpflegerisches Thema : Dokumentation der Tagung vom 26.-29. März 2014 in Hannover — Petersberg: Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG, Heft 45.2015

DOI Artikel:
Zittlau, Reiner: Die Gedenkstätte Bergen-Belsen aus Sicht der Denkmalpflege
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51271#0074
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Unter der GrasNarbe

gräbern angelegt, entstanden zwischen 1946 und
den frühen sechziger Jahren. Er genießt entgegen der
denkmalpflegerischen Einschätzung heute keine son-
derlich hohe Wertschätzung mehr, wie so viele Zeug-
nisse in Architektur und Städtebau der Nachkriegszeit.
Über den Teilen des Lagers, die nicht in den Gedenk-
stättenpark einbezogen worden waren, entstand so-
zusagen als .damnatio memoriae' ein dichter Wald,
der zu interpretieren wesentlich ist: Wuchs er aus
Achtlosigkeit? Oder wuchs er, weil man die Vergan-
genheit des Ortes verdrängte und beschwieg? Oder
ließ man ihn so dicht wachsen, weil man die Vergan-
genheit mit den unangenehmen Erinnerungen in einer
Rückholaktion der Natur verschwinden lassen wollte?
Wir müssen diese Frage nicht abschließend klären.
Wir sollten jedoch anerkennen, dass die Zeitschicht
des Verdrängens und Beschweigens besonders in dem
dichten Wald auf dem ehemaligen Lagergelände ihren
unmissverständlichen Ausdruck gefunden hat - und
das über sechs Jahrzehnte, das heißt über zwei Ge-
nerationen hinweg. Für alle drei Verständnisebenen,
das heißt für die Zeit des Konzentrationslagers, für die
Umwandlung zur Gedenkstätte und für das Ausblen-
den aus dem öffentlichen Bewusstsein gibt es sichtba-
re und erfahrbare Zeugnisse auf und in der Nähe des
Lagergeländes von Bergen-Belsen, die erst gemein-
sam und in ihrer Wechselbeziehung zu dem komple-
xen Verständnis führen, das wir bei der Betrachtung
von Bergen-Belsen heute entwickeln können.

Die Zeitschicht vor der Befreiung 1945
In einem ersten Schritt möchte ich mich mit den Hin-
terlassenschaften des Kriegsgefangenen- und Kon-
zentrationslagers befassen. Im Gegensatz zu formal
vergleichbaren Barackenrelikten an anderen Orten,
an denen normale und menschliche Lebensumstände
herrschten, sind die baulichen Relikte in Bergen-Bel-
sen aufgrund der unfassbaren Ereignisse, die in und
zwischen ihnen stattfanden, mit einer hohen ge-
schichtlichen und einer immensen sozialpsychologi-
schen Bedeutung belegt. Diese jedoch differenziert zu
bewerten, ist meines Wissens noch nirgendwo wirk-
lich geglückt. Deshalb möchte ich den Diskurs darü-
ber beleben. Wie bei allen Kulturdenkmalen müssen
wir uns fragen, wie Schutzgut und Schutzgrenzen zu
benennen und zu begründen sind. In Bergen-Belsen
ist der Schutzumfang auf jeden Fall durch die ehema-
ligen Lagergrenzen definiert. Darüber hinaus gehören
aber auch äußere Bestandteile wie die nördlich liegen-
de Bahnstation mit der Rampe, den Gleisen und der
zeittypischen Kopfsteinpflasterstraße zum Schutzgut
dazu, damit man eine Vorstellung von den räumlichen
Zusammenhängen und den organisatorischen Abläu-
fen der Vernichtungsmaschinerie erhält (Abb. 2). An
diesem Bahnsteig, an dem die Häftlinge die Güter-
oder Viehwaggons verließen, begannen die fünf Kilo-
meter langen Märsche in das Lager. Ohne jeden Zwei-
fel müssen wir auch die außen liegenden Friedhöfe in
das Schutzgut mit einbeziehen, denn immerhin sind


2 Bahnstation mit Kopfsteinpflaster, Rampe und Gleisen von 1936, 2014. Foto: Reiner Zittlau, Niedersächsisches Landesamt
für Denkmalpflege.
 
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