Birgit Franz
Erhalt „bequemer" und „unbequemer" Objekte des Nationalsozialismus - auch eine Frage der Vermittlung?
8 Die Mechanismen der (Ver)Führung der Massen begreifen: hier die 10. Klasse der Johann Comenius Schule Emmerthal mit
ihrer Lehrerin auf dem Bückeberg am 25.06.2014. Foto: Birgit Franz / Georg Maybaum.
nalismus jeweils über die eigenen Grenzen hinaus.60
Der Bückeberg (Abb. 8) vergegenständlicht als Ort
der Reichserntedankfeste der Jahre 1933 bis 1937 für
Bernhard Gelderblom, Historiker und im Film einer der
Hauptakteure vor der Kamera, „in welchem Maß die
Menschen sich haben begeistern lassen [...] bis zuletzt
[...] bis in den eigenen Tod." Seine Aussagen machen
den Zuschauerinnen und Zuschauern bewusst, dass
„wir" heute nicht verstehen, dass Hitler so erfolgreich
war, weil „wir" alles vom Ergebnis aus betrachten.
Und genau deshalb fordert er, übrigens nicht nur im
Film,61 junge Menschen, die heute den menschenlee-
ren Bückeberg begehen, dazu auf, die seinerzeitigen
propagandistischen Mechanismen zu ergründen, um
selbst besser vor künftiger totalitärer Verführung ge-
schützt zu sein.
Auf eindringliche Art und Weise zeigt der Film am
Beispiel dieser von Menschenhand erschaffenen, „ge-
bauten Natur" sowie der dem Ort und dem Zweck
der Veranstaltung zugewiesenen „Festdramaturgie",
wie raum- und menschengreifend die NS-Propagan-
da war; er zeigt die Dynamik von Masse und Macht!
Die ausgewählten Filmsequenzen, Trachtenszenen,
Führerhuldigungen, Gegenwartsszenen, Reflexionen,
untermauern Charakter und Zielsetzung des Ernte-
dankfestes: „die Widersprüche zwischen Ideologie
und der enttäuschenden Realität des Dritten Reiches
gnädig zuzudecken, eine gigantische Propaganda-
schau, um die zögernden Bauern auf die Linie des
Regimes zu bringen."62 Der Film zeigt weiterhin wie
ab 1935 die Festdramaturgie der erzwungenen Auf-
rüstung folgt. So zerstört die Wehrmacht während ei-
ner Schauübung auf der Talsohle vor dem Bückeberg
ein eigens aufgebautes Schaudorf mittels Panzer- und
Luftwaffenangriffen, alles zitiert durch historische
Filmaufnahmen. Auch Bedenken gegenüber Lesehil-
fen vor Ort werden im Film aufgegriffen, auch oder
gerade weil diese bis heute dazu führen, dass sich am
Bückeberg noch keine Hinweise auf die geschichtli-
chen Hintergründe finden lassen. Der Bürgermeister
der Gemeinde Emmerthal, Andreas Grossmann, der
als Interviewpartner zunächst das Augenmerk auf die
politische Selbstverpflichtung zu fortwährenden Aus-
einandersetzung lenkt, spiegelt zugleich, ebenso wie
die anderen im Film zu Wort kommenden Personen,
die weit verbreitete Sorge wider, unter keinen Um-
ständen vor der eigenen Haustüre einen Ort zu kons-
tituieren, an den Leute kommen, die nicht an Aufklä-
rung interessiert sind, sondern nationalsozialistisches
Gedankengut wieder aufleben lassen.
In seinem Aufsatz zum Filmprojekt bezeichnet Paul
Zalewski, der das Projektteam wissenschaftlich be-
237
Erhalt „bequemer" und „unbequemer" Objekte des Nationalsozialismus - auch eine Frage der Vermittlung?
8 Die Mechanismen der (Ver)Führung der Massen begreifen: hier die 10. Klasse der Johann Comenius Schule Emmerthal mit
ihrer Lehrerin auf dem Bückeberg am 25.06.2014. Foto: Birgit Franz / Georg Maybaum.
nalismus jeweils über die eigenen Grenzen hinaus.60
Der Bückeberg (Abb. 8) vergegenständlicht als Ort
der Reichserntedankfeste der Jahre 1933 bis 1937 für
Bernhard Gelderblom, Historiker und im Film einer der
Hauptakteure vor der Kamera, „in welchem Maß die
Menschen sich haben begeistern lassen [...] bis zuletzt
[...] bis in den eigenen Tod." Seine Aussagen machen
den Zuschauerinnen und Zuschauern bewusst, dass
„wir" heute nicht verstehen, dass Hitler so erfolgreich
war, weil „wir" alles vom Ergebnis aus betrachten.
Und genau deshalb fordert er, übrigens nicht nur im
Film,61 junge Menschen, die heute den menschenlee-
ren Bückeberg begehen, dazu auf, die seinerzeitigen
propagandistischen Mechanismen zu ergründen, um
selbst besser vor künftiger totalitärer Verführung ge-
schützt zu sein.
Auf eindringliche Art und Weise zeigt der Film am
Beispiel dieser von Menschenhand erschaffenen, „ge-
bauten Natur" sowie der dem Ort und dem Zweck
der Veranstaltung zugewiesenen „Festdramaturgie",
wie raum- und menschengreifend die NS-Propagan-
da war; er zeigt die Dynamik von Masse und Macht!
Die ausgewählten Filmsequenzen, Trachtenszenen,
Führerhuldigungen, Gegenwartsszenen, Reflexionen,
untermauern Charakter und Zielsetzung des Ernte-
dankfestes: „die Widersprüche zwischen Ideologie
und der enttäuschenden Realität des Dritten Reiches
gnädig zuzudecken, eine gigantische Propaganda-
schau, um die zögernden Bauern auf die Linie des
Regimes zu bringen."62 Der Film zeigt weiterhin wie
ab 1935 die Festdramaturgie der erzwungenen Auf-
rüstung folgt. So zerstört die Wehrmacht während ei-
ner Schauübung auf der Talsohle vor dem Bückeberg
ein eigens aufgebautes Schaudorf mittels Panzer- und
Luftwaffenangriffen, alles zitiert durch historische
Filmaufnahmen. Auch Bedenken gegenüber Lesehil-
fen vor Ort werden im Film aufgegriffen, auch oder
gerade weil diese bis heute dazu führen, dass sich am
Bückeberg noch keine Hinweise auf die geschichtli-
chen Hintergründe finden lassen. Der Bürgermeister
der Gemeinde Emmerthal, Andreas Grossmann, der
als Interviewpartner zunächst das Augenmerk auf die
politische Selbstverpflichtung zu fortwährenden Aus-
einandersetzung lenkt, spiegelt zugleich, ebenso wie
die anderen im Film zu Wort kommenden Personen,
die weit verbreitete Sorge wider, unter keinen Um-
ständen vor der eigenen Haustüre einen Ort zu kons-
tituieren, an den Leute kommen, die nicht an Aufklä-
rung interessiert sind, sondern nationalsozialistisches
Gedankengut wieder aufleben lassen.
In seinem Aufsatz zum Filmprojekt bezeichnet Paul
Zalewski, der das Projektteam wissenschaftlich be-
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