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Allgemeine Kunstchronik: ill. Zeitschr. für Kunst, Kunstgewerbe, Musik, Theater u. Litteratur — 15.1891

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Allgemeine Kunst-Chronik. XV. Band Nr. 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.73795#0049
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Grillparzers hundertster Geburtstag.


ein Name ist in Aller Munde:
das kann man von Grillparzer
in dieser Woche, die der Feier
seines hundertsten Geburts-
tages geweiht war, wol sagen.
Dass aber in diesen Tagen sein
Name mit Lobpreisungen von
allen Lippen in Deutsch-

Österreich erklingt, beweist, wie Grillparzer sich
auch in alle Herzen mit unvergänglichen Lettern ein-
geschrieben hat, und es hat lange gewährt, ehe dies
geschah. Grillparzer hatte fast sein ganzes Leben hin-
durch mit Neid, Missgunst und anderen Hemmnissen
zu kämpfen, die ihm das Schicksal in den Weg legte.
Sein Gemüth wurde dadurch verbittert, und er selbst
zog sich von den Menschen, die seine Größe nicht
anerkannten, weil sie sie nicht zu ermessen wussten,
mit bitterem Groll zurück. Aber am Abende seines
Lebens war es noch: da pochte eine neue Gene-
ration an die einsame Klause des Dichters, ein
junges Geschlecht stand da, begeistert und erfüllt
von seinen Werken, und rief ihm zu: „Wir kennen
Dich, wir wissen, dass Du von den Unsterblichen
Einer bist, und Du wirst fortleben in uns und in
unseren Kindeskindern." Als Grillparzer aus dem
Leben schied, folgte ihm dieser Ruf in's Grab, und
es kann uns heute mit hoher Freude und Befriedi-
gung erfüllen, dass er versöhnt von uns gegangen.
Aber es kamen Tage, die der Dichter nicht
erlebte und in welchen es schien, dass jene Ver-
heißungen sich nicht erfüllen werden. Noch einmal
mussten seine Schöpfungen schwere Kämpfe be-
stehen gegen die Theilnahmslosigkeit der Einen,
gegen die Scheelsucht der Anderen. Und noch ein-
mal gingen sie siegreich aus Allem hervor, und
heute braucht man es keinem Kinde zu sagen, wer

und was Grillparzer ist. Vor ungefähr zwei Monaten
hat die „Allgemeine Kunst-Chronik" die Anregung
zu einer würdigen Feier des hundertsten Geburts-
tages Grillparzer's gegeben. Damals war von allen
geplanten Veranstaltungen nur eine Festversamm-
lung der Grillparzer-Gesellschaft sowie ein Grill-
parzer-Zyklus im Burgtheater bekannt. Wir waren
es damals, die die Aufnahme von „König Ottokars
Glück und Ende" und von „Libussa“ in den Zyklus
verlangten, und es muss jedem Österreicher zur Ge-
nugthuung gereichen, wenn sich die Verpflichtung
gegen Grillparzer's Andenken als eine so zwin-
gende und mächtige erwies, dass der Reigen der
Vorstellungen mit dem lange vermissten „König
Ottokars Glück und Ende" eröffnet wurde. Die
„Allg. Kunst-Chronik" war es auch, welche es aus-
sprach, dass die Ehrung der Manen Grillparzer's
von der Gemeinde seiner Vaterstadt ausgehen müsse,
und in der That hat dieselbe diese Schuld in der
würdigsten Weise eingelöst durch die Veranstal-
tung der „Grillparzer-Ausstellung" im neuen Rath-
hause, auf die wir in unserem nächsten Hefte aus-
führlich zurückkommen werden.
Die zahllosen Feierlichkeiten anderer Art, die
in allen Theilen der Provinz sowie in allen öffent-
lichen und Privatanstalten der Reichshauptstadt statt-
gefunden, können wir hier nicht verzeichnen. Erwähnt
sei noch die Festlichkeit, welche am 14. d. M, im
Großen Musikvereinssaale abgehalten wurde und in
welcher Charlotte Wolter, Stella Hohenfels und
Josef Lewinsky sowie viele Andere ihr bestes künst-
lerisches Können zur Weihe des Abends einsetzten.
So blicken wir auf diese Woche, welche sich zu
einer machtvollen Kundgebung österreichischen
Geistes gestaltete, mit freudestolzer Empfindung
zurück: I F. Salten.
 
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