Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Allgemeine Kunstchronik: ill. Zeitschr. für Kunst, Kunstgewerbe, Musik, Theater u. Litteratur — 15.1891

DOI issue:
Allgemeine Kunst-Chronik. XV. Band Nr. 7
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.73795#0205
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext

Im Künstlerhause.


geschehen Zeichen
und Wunder. Man
glaubt sicli in die
Gschnaszeit zurück-
versetzt: so massen-
haft ist der Besuch
der heurigen XX.
Jahresausstellung.
Blaue Zettel in täg-
lich steigender Zahl
werden an die Ge-
mälde geheftet, und
zwar nicht blos an
die gewissen, wol-

feilen Marktwaaren. Die Lose für Kunstwerke
gehen ab wie die Wecken vom Bäckerladen. Und
man kann hier und dort Gruppen in eifriger Er-
örterung vor einem Kunstwerk sehen, ob dasselbe
dem Ruf des Künstlers entspreche, eine Aus-
zeichnung verdiene u. s. f. Kurz, es scheint fast,
als ob Wien, das ein Kunst-Krähwinkel zu werden
drohte, als Groß-Wien sich zuerst im Künstlerhaus
offenbaren wolle.
Begrüßen wir freudig diese Zeichen eines neuen
Frühlings! Wenn der Kunstsinn unserer Bevölke-
rung aus seinem Schlafe wieder erwacht: die Künstler
sind da, um demselben zu genügen. Und was könnte
sie lebhafter als die Theilnahme der Bevölkerung
anspornen, ihre Kraft an immer höheren Auf-
gaben zu erproben und immer neue Wege auf-
zusuchen? Wenn der Künstler darauf angewiesen
ist, seine Werkstatt mit unverkäuflichen Bildern
vollzupfropfen, seine Werke nur als Geschenke und
Gegengeschenke für Freunde und Berufsgenossen zu
verwerten oder seinen Unterhalt durch Zugeständ-
nisse an den Geschmack des Philisters zu fristen,
dann wird er sich mehr und mehr in seine vier

Wände zurückziehen und sich von den Strömungen
abschließen, die draußen das Kunstleben beherr-
schen und die, was man auch sagen mag, nicht
willkürlich geschaffen sein können, sondern ohne
Zweifel der Empfindung des gegenwärtigen Ge-
schlechtes entsprechen müssen.
Eine kleineThatsache bei der Eröffnung unserer
Ausstellung mag beweisen, wie hohe Zeit es ist,
dass unsere Künstlerschaft aus ihrer inselartigen
Abgeschlossenheit erlöst werde. Im letzten Augen-
blicke war noch von A. Boecklin eine „Susanna
im Bad" eingelaufen. Eine entsetzliche Verlegenheit
für die Anordner der Ausstellnng. Ein fettes Weib
— wie das Zerrbild einer aufgedunsenen Gänse-
schopperin aus dem Salzgries — hat ihren wampi-
gen, vielwulstigen Leib in der Badewanne ausge-
streckt, und zwei hässliche Alte, das Gesicht bis
zur Gefahr eines Schlagflusses geröthet, um die
schmatzenden Lippen eklen Geifer, schauen ihr mit
brünstiger Gier zu, und Einer tätschelt ihr mit
lüsterner Hand auf den hochgepolsterten Rücken.
Gewiss, das Bild war, nach unserer ehrlichen Über-
zeugung, unmöglich für eine Ausstellung in Wien.
Aber anderwärts war das Bild schon ausgestellt
worden, es war Gegenstand der leidenschaftlichsten
Erörterungen gewesen, und auch die „Allgemeine
Kunst-Chronik" hatte seinerzeit Kenntnis hievon
genommen.Und dennoch wussteNiemandimKünstler-
hause Bescheid darüber; man fragte beim Künstler
an, ob sich vielleicht Jemand mit seinem Namen
einen schlechten Scherz erlaubt habe, und man war
erst recht in Verlegenheit, als die Nachricht einlief,
es sei ihm blutig ernst mit dieser Susanna. Zum
Glück konnte man unseren Kindern und Frauen, da
das Bild etwas zu spät eingeliefert worden, den An-
blick dieser Verirrung des Naturalismus unserer
Tage noch ersparen.
 
Annotationen