126
Allgemeine Kunst-Chronik.
welche den Moment vor dem Raube zeigen. Auf
dem einen Bilde liegt Ganymed schlummernd im
Schatten eines Baumes, den Kopf auf den linken
Arm gestützt. Hier ist er Jäger. Der Speer, den
die Rechte noch umschließt, und Stiefel machen
ihn als solchen kenntlich. Als Jäger erscheint
auch der auf einem Felsen gegenüber gleichfalls
schlummernde Eros, der in der Rechten zwei
Spieße hält. Auf einem Zweige des Baumes,
unter dem der schöne Schläfer rastet, sitzt der
Adler, gleichsam den Moment erspähend, in dem
er sich auf seine Beute stürzen kann. An eine
Klippe gelehnt, mit innigem Wolgefallen des
lieblichen Anblicks genießend, ist noch die Orts-
nymphe angebracht, eine weibliche Gestalt mit
bekränztem Haupte.
Auf dem zweiten Gemälde ist Ganymed mit
der phrygischen Mütze als Hirte durch den Stab
bezeichnet. Eros fehlt auch hier nicht, aber
er schwebt neben dem nur zum Theil sichtbaren
Adler und deutet auf den Jüngling hin, so dass
wir hier gewiss in dem Vogel den verhüllten
Gott zu erkennen haben und Amor die Leiden-
schaft, welche diesen zu dem Knaben zieht, ver-
körpert.
Als Gegenstand künstlerischer Nachbildung
finden wir den Raub Ganymeds auch bei Dichtern
erwähnt. Plautus in den Menächmen (i, 2, 3,
4 ff.) spricht von einem Gemälde, und Virgil in
der Aeneis (V. 252 ff.) gedenkt eines kunst-
reich geschmückten Gewandes, welches den Vor-
gang in Stickerei zeigt. Da „der Hunde Gebell,
das in die Lüfte wüthet" dabei erwähnt wird,
könnte man glauben, dass dem Dichter die Gruppe
des Leochares vorgeschwebt habe.
Von besonderen Wandlungen, die das Motiv
des Raubes durch den Adler durchgemacht hat,
sei noch erwähnt, dass vereinzelt Ganymed auch
auf diesem reitend erscheint. Der Adler trägt
als Symbol seiner göttlichen Sendung den Blitz
in den Klauen, beides Motive, die in der späteren
Kunst wiederkehren.*)
Endlich finden wir Ganymed auch noch, be-
sonders auf asiatischen Münzen geflügelt abge-
bildet. Damit ergibt sich denn auch die Deutung
eines nackten Flügelknaben, den ein Adler trägt.
Diese Gruppe bildet den Mittelpunkt eines in
Form eines Knotens gearbeiteten Mittelstückes
eines prachtvollen Goldschmuckes aus einem
Grabe der Halbinsel Taman — beschrieben von
Stephani. Die anfangs von diesem versuchte Er-
klärung durch einen Eros ist damit abzuweisen,
dass wir diesen niemals mit einem Adler in solche
Beziehung gebracht sehen. Roscher wendet die
hiermit gegebene Fassung des Mythos auf
eine Münze von Pessinus an, die einen bärtigen
geflügelten Mann zeigt, der einen Flügelknaben
auf dem ausgestreckten Arme trägt. In erster
Linie lag hier die Deutung auf Dädalos und
*) Nach einem kleinen Kupferstiche von Wenzel
Hollar hat auch Giulio Romano ihn in dieser Weise
gemalt.
Ikaros nahe. Da aber aus zahlreichen Angaben
alter Schriftsteller bekannt ist, dass Pessinus
seinen Namen davon tragen soll, dass eine Schlacht
dort stattgefunden habe, in der Viele gefallen
seien, und zwar in Folge des Raubes, den Tan-
talos an Ganymed begangen, so liegt die Be-
ziehung auf unseren Sagenkreis nicht fern. Ob
nun freilich der bärtige Mann der König selbst
sein soll, ist mehr als zweifelhaft.
Durch diese Beflügelung wird Ganymed dem
Kreise der göttlichen Wesen umsomehr genähert
und schließt sich ziemlich eng an die Eroten an,
deren Darstellung in der spätern Zeit des Alter-
thums sehr bevorzugt wurde. Mit einem dieser
luftigen Gesellen wird Ganymed auf einem Ge-
mälde des Philostratos so zusammengebracht,
dass sie im Olymp Würfel spielen. Der kleine
Schalk ist natürlich der Gewinner und sein holder
Gegner macht ein ziemlich unglückliches Gesicht
zu seinem Verlust.
Das zeigt jedenfalls dieser Überblick, der
auf Vollständigkeit nicht Anspruch erhebt, eine
wie beliebte Gestalt der troische Jüngling dem
klassischen Alterthum gewesen ist.
Wenn wir das Alterthum hiemit verlassen,
so bricht die Reihe der Darstellungen Ganymeds
nicht ab, sie wird aber doch beträchtlich dünner.
Die Betrachtung sei aber auf das Wichtigste be-
schränkt und dabei eingeräumt, dass vielleicht
manche dahin gehörige Werke mir unbekannt ge-
blieben sind. Ob die Plastik der früheren und
späteren mittelalterlichen Zeit sich an unseren
Gegenstand jemals herangewagt, weiß ich nicht;
wahrscheinlich ist es nicht. Von Michelangelo,
der so manche Gestalt der antiken Mythe wieder
erneuerte, ist kein Ganymed bekannt. Auch von
Bernini wüsste ich keinen anzuführen. Dagegen
hat sich Thorwaldsen den herrlichen Jüngling
nicht entgehen lassen. Eine seiner Statuen ist
abgebildet in der Zeichnung und dem Stich von
Riepenhausen und Ferdinando Mori. Ganymed
stehend, mit der phrygischen Mütze, nackt, die
Chlamys über dem linken Arme, hält die Kanne in
der gesenkten Rechten, den daraus gefüllten Becher
in der erhobenen Linken. Daneben sitzt der Adler.
Die reizende Gestalt ist von äußerst schlanken,
fast weiblich zierlichen Formen. Eine andere
Marmorgruppe zeigt den Jüngling mit der gleichen
Kopfbedeckung, mit dem rechten Knie auf dem
Boden, die Linke ruht auf dem gebogenen linken
Schenkel und reicht dem vor ihm sitzenden Adler
eine Trinkschale. Ein drittes Werk zeigt Ganymed
allein, aus dem Krug einen Becher füllend. Auf
zwei Reliefs hat der Meister seinen Raub dar-
gestellt, wie er von dem Adler emporgetragen,
den Hals des Vogels umklammert und sich mit
der Linken an einem der Flügel hält.
Aus der nachchristlichen Malerei will ich
drei Werke namhaft machen, die sich mit Gany-
med beschäftigen, auch hiebei es freigebend, ob
sich deren Zahl nicht noch vermehren ließe. Sehr
interessant war es mir, in einem von der Reichs-
Allgemeine Kunst-Chronik.
welche den Moment vor dem Raube zeigen. Auf
dem einen Bilde liegt Ganymed schlummernd im
Schatten eines Baumes, den Kopf auf den linken
Arm gestützt. Hier ist er Jäger. Der Speer, den
die Rechte noch umschließt, und Stiefel machen
ihn als solchen kenntlich. Als Jäger erscheint
auch der auf einem Felsen gegenüber gleichfalls
schlummernde Eros, der in der Rechten zwei
Spieße hält. Auf einem Zweige des Baumes,
unter dem der schöne Schläfer rastet, sitzt der
Adler, gleichsam den Moment erspähend, in dem
er sich auf seine Beute stürzen kann. An eine
Klippe gelehnt, mit innigem Wolgefallen des
lieblichen Anblicks genießend, ist noch die Orts-
nymphe angebracht, eine weibliche Gestalt mit
bekränztem Haupte.
Auf dem zweiten Gemälde ist Ganymed mit
der phrygischen Mütze als Hirte durch den Stab
bezeichnet. Eros fehlt auch hier nicht, aber
er schwebt neben dem nur zum Theil sichtbaren
Adler und deutet auf den Jüngling hin, so dass
wir hier gewiss in dem Vogel den verhüllten
Gott zu erkennen haben und Amor die Leiden-
schaft, welche diesen zu dem Knaben zieht, ver-
körpert.
Als Gegenstand künstlerischer Nachbildung
finden wir den Raub Ganymeds auch bei Dichtern
erwähnt. Plautus in den Menächmen (i, 2, 3,
4 ff.) spricht von einem Gemälde, und Virgil in
der Aeneis (V. 252 ff.) gedenkt eines kunst-
reich geschmückten Gewandes, welches den Vor-
gang in Stickerei zeigt. Da „der Hunde Gebell,
das in die Lüfte wüthet" dabei erwähnt wird,
könnte man glauben, dass dem Dichter die Gruppe
des Leochares vorgeschwebt habe.
Von besonderen Wandlungen, die das Motiv
des Raubes durch den Adler durchgemacht hat,
sei noch erwähnt, dass vereinzelt Ganymed auch
auf diesem reitend erscheint. Der Adler trägt
als Symbol seiner göttlichen Sendung den Blitz
in den Klauen, beides Motive, die in der späteren
Kunst wiederkehren.*)
Endlich finden wir Ganymed auch noch, be-
sonders auf asiatischen Münzen geflügelt abge-
bildet. Damit ergibt sich denn auch die Deutung
eines nackten Flügelknaben, den ein Adler trägt.
Diese Gruppe bildet den Mittelpunkt eines in
Form eines Knotens gearbeiteten Mittelstückes
eines prachtvollen Goldschmuckes aus einem
Grabe der Halbinsel Taman — beschrieben von
Stephani. Die anfangs von diesem versuchte Er-
klärung durch einen Eros ist damit abzuweisen,
dass wir diesen niemals mit einem Adler in solche
Beziehung gebracht sehen. Roscher wendet die
hiermit gegebene Fassung des Mythos auf
eine Münze von Pessinus an, die einen bärtigen
geflügelten Mann zeigt, der einen Flügelknaben
auf dem ausgestreckten Arme trägt. In erster
Linie lag hier die Deutung auf Dädalos und
*) Nach einem kleinen Kupferstiche von Wenzel
Hollar hat auch Giulio Romano ihn in dieser Weise
gemalt.
Ikaros nahe. Da aber aus zahlreichen Angaben
alter Schriftsteller bekannt ist, dass Pessinus
seinen Namen davon tragen soll, dass eine Schlacht
dort stattgefunden habe, in der Viele gefallen
seien, und zwar in Folge des Raubes, den Tan-
talos an Ganymed begangen, so liegt die Be-
ziehung auf unseren Sagenkreis nicht fern. Ob
nun freilich der bärtige Mann der König selbst
sein soll, ist mehr als zweifelhaft.
Durch diese Beflügelung wird Ganymed dem
Kreise der göttlichen Wesen umsomehr genähert
und schließt sich ziemlich eng an die Eroten an,
deren Darstellung in der spätern Zeit des Alter-
thums sehr bevorzugt wurde. Mit einem dieser
luftigen Gesellen wird Ganymed auf einem Ge-
mälde des Philostratos so zusammengebracht,
dass sie im Olymp Würfel spielen. Der kleine
Schalk ist natürlich der Gewinner und sein holder
Gegner macht ein ziemlich unglückliches Gesicht
zu seinem Verlust.
Das zeigt jedenfalls dieser Überblick, der
auf Vollständigkeit nicht Anspruch erhebt, eine
wie beliebte Gestalt der troische Jüngling dem
klassischen Alterthum gewesen ist.
Wenn wir das Alterthum hiemit verlassen,
so bricht die Reihe der Darstellungen Ganymeds
nicht ab, sie wird aber doch beträchtlich dünner.
Die Betrachtung sei aber auf das Wichtigste be-
schränkt und dabei eingeräumt, dass vielleicht
manche dahin gehörige Werke mir unbekannt ge-
blieben sind. Ob die Plastik der früheren und
späteren mittelalterlichen Zeit sich an unseren
Gegenstand jemals herangewagt, weiß ich nicht;
wahrscheinlich ist es nicht. Von Michelangelo,
der so manche Gestalt der antiken Mythe wieder
erneuerte, ist kein Ganymed bekannt. Auch von
Bernini wüsste ich keinen anzuführen. Dagegen
hat sich Thorwaldsen den herrlichen Jüngling
nicht entgehen lassen. Eine seiner Statuen ist
abgebildet in der Zeichnung und dem Stich von
Riepenhausen und Ferdinando Mori. Ganymed
stehend, mit der phrygischen Mütze, nackt, die
Chlamys über dem linken Arme, hält die Kanne in
der gesenkten Rechten, den daraus gefüllten Becher
in der erhobenen Linken. Daneben sitzt der Adler.
Die reizende Gestalt ist von äußerst schlanken,
fast weiblich zierlichen Formen. Eine andere
Marmorgruppe zeigt den Jüngling mit der gleichen
Kopfbedeckung, mit dem rechten Knie auf dem
Boden, die Linke ruht auf dem gebogenen linken
Schenkel und reicht dem vor ihm sitzenden Adler
eine Trinkschale. Ein drittes Werk zeigt Ganymed
allein, aus dem Krug einen Becher füllend. Auf
zwei Reliefs hat der Meister seinen Raub dar-
gestellt, wie er von dem Adler emporgetragen,
den Hals des Vogels umklammert und sich mit
der Linken an einem der Flügel hält.
Aus der nachchristlichen Malerei will ich
drei Werke namhaft machen, die sich mit Gany-
med beschäftigen, auch hiebei es freigebend, ob
sich deren Zahl nicht noch vermehren ließe. Sehr
interessant war es mir, in einem von der Reichs-