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Allgemeine Kunstchronik: ill. Zeitschr. für Kunst, Kunstgewerbe, Musik, Theater u. Litteratur — 15.1891

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Allgemeine Kunst-Chronik. XV. Band Nr. 16
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https://doi.org/10.11588/diglit.73795#0484
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Allgemeine Kunst-Chronik.

abgebrauchte, mit ziemlichen Unwahrscheinlichkeiten be-
haftete Stoff konnte auch nicht durch die laugen Reden
zum Lobe des Vaterlandes und des Journalistenstandes
so recht genifßbar gemacht werden, und wenn dem Stücke
öfter und lauter Beifall und den anwesenden Dichtern
Hervorruf zutheil wurde, so ist dies zunächst der Thätig-
keit unseres Oberregisseurs Grünberger und der Wärme,
mit der sich die Darsteller in ihre Aufgabe vertieft hatten,
zu danken. Ein nicht geringer Theil des der Darstellung
gespendeten Beifalles kommt auf die Rechnung des jetzt
als Gast hier weilenden Herrn Friedrich Mitter-
wurzer, der aus dem „Redakteur Hacker" eine sym-
pathische Gestalt zu machen wusste. Aber auch Herr
Nieper als „Hauptmann", noch mehr Herr Adolf
Müller als des Hauptmanns Vetter, Herr Krause als
„Rüdecke", Frl. Immisch als die Braut des Haupt-
mannes, Frl. Käthe Witt als Hackers Braut leisteten
ganz Vorzügliches, ja im Grunde that jeder seine Schul-
digkeit nach Kräften. Dr. Adolf Weiske.

Hieronymus Lorrn.
In diesen Tagen — am 9. August — werden es
siebzig Jahre, dass Hieronymus Lorm in Nikolsburg,
einem stillen Landstädtchen Mährens, das Licht der Welt
erblickte, die ihm wenig Holdes gegeben, manches Herz-
leid und manche Entsagung aufgezwungen hat. Der
Heimat ferne, lebt er seit Jahren still und dem Leben
abgekehrt in Dresden, immer noch thätig, immer noch
sinnend und sagend, wie denn gerade jetzt eine neue,
die VI. und um Vieles bereicherte Auflage seiner Ge-
dichte bei Heinrich Minden in Dresden ausgegeben
und so seine Verehrer nachdrücklichst daran erinnern
wird, dass bei aller Vielseitigkeit gerade dieses
Dichters doch der Schwerpunkt seiner schöpferischen
Thätigkeit in seiner Lyrik liegt.
Hieronymus Lorm — Heinrich Landesmann — ist
vorwiegend Gedanken- und Verstandesmensch. Das be-
weisen seine Essays, die lange nicht nach Gebühr ge-
kannt, d;e freilich nach Tiefe und Bedeutsamkeit der
Ideen und der Auffassung für eine größere Leserzahl
auch kaum geeignet sind; seine philosophischen Arbeiten,
deren umfänglichste, mag sein: das Werk dieses Lebens,
noch aussteht, vielleicht aber bald zu erhoffen ist; seine
Romane, deren er eine große Zahl geschaffen hat. Hier
kommt dieser Grundzug seines Wesens nicht gar vor-
theilhaft zur Geltung; das Gedachte überwiegt, die spröden
Gestalten kommen nicht recht in Fluss und haben nicht
ihr eigenes Wollen. Die Plastik uni das Geschaute ge-
brechen ihnen; ohne Nutzen wie ohne Anregung wird
sie darum doch Niemand aus der Hand legen; Niemand
ohne die Empfindung, mit einem von Grund klugen
Manne zu thun gehabt zu haben. Unplastisch sind seine
Gedichte übrigens auch, so dass ihm keine Ballade trotz
mancher Versuche und Anläufe noch voll gerathen ist.
Auch in ihnen geht der Weg häufig vom Kopfe durch
das Herz, nicht umgekehrt. Welcher aber der bessere
sei, darüber lässt sich nicht entscheiden. Und sie haben
zwei Vorzüge, die selten sind: oftmals eine ganz tadel-
lose Form, an der auch die schärfste Kritik nichts zu
rügen finden wird; und dann wieder eine solche Un-

mittelbarkeit im Ausdrucke des Schmerzes, dass sich
seiner Gewalt kaum Jemand wird entziehen können. Es
ist nicht Weltschmerz, wenn er sein Gefühl gleich, — so
in dem wunderschönen „So lang die Sterne kreisen", — in
das All verlegt und die Sterne fragen lässt:
„Dem seligen Nichts entstiegen,
Der ewigen Ruh, —
Um ohne Rast zu fliegen —
Wohin? Wozu?"
Es ;st dennoch im Grunde nur sein, Lorm's persön-
liches Leid, das in ihnen nach Laut und Wort ringt. Er ist
Pessimist; nun, das ist noch Niemand geworden, weil
es ihm so beliebte, so wenig etwa wie echter Realist.
Das mögen die Herren mit den reinlichen Schächtelchen
und den Zettelchen darauf, nach denen sich die ver-
schiedenen Schriftsteller so hübsch, bequem und handlich
ordnen lassen, nur immer bedenken. Ihm ist selbst die
Weltgeschichte nur der Gang des Bösen durch die Welt.
Er glaubt kein Glück; seine Neigung, die ihm entgegen-
tritt, entlockt ihm nur den schmerzlichen Ausruf:
„Mir war, als süße Treue
Dein Auge mir verhieß:
Ich sah' des Engels Reue,
Der mich ins Elend stieß."
Er traut den Menschen nicht mehr, manchmal ist
ihm, als habe er den Glauben an das Gute in ihnen
überhaupt verloren. Dann beneidet er selbst den bösen
Hofhund, der doch seinem Herrn, der ihn füttert, freudig
entgegenbellt, an ihm emporspringt, kaum dass ihn seine
Hand von der Kette befreite; denn:
„Dieses Thier ist auf der Stufe,
Wo man Menschen lieben kann."
Das wirkt schmerzlich und peinigend; es ist aber
so berechtigt, wie nur irgend unmittelbarer Ausdruck
eigensten Empfindens es sein kann. Und wenn dann
doch weichere Empfindungen, wie manchmal in den
höchst feinen Liebesgedichten durchbrechen, so wirkt das
ordentlich rührend.
Seit Jahren ist ihm durch körperliche Gebrechen
der Zugang zu der einen großen Alltrösterin Natur ver-
schlossen; ihm wird der herzliche und anerkennende
Zuruf der Genossen nur kaum wie verworrenes Getön
erklingen und schattenhaft werden die Beweise ihrer Zu-
neigung ihm vorüberhuschen. Das erklärt, dass seine
Bilder so häufig ganz unbildlich werden, so glücklich
sie hinwieder anderer Orten gewählt sind; er erläutert
Gesehenes durch Gedachtes, nicht umgekehrt. Man ver-
gleiche als besonders belehrend:
„Des Abends grüne Schatten schwanken
Um jenes hohen Berges Firn,
Wie schauerliche Grabgedanken
Durch eines greisen Zweiflers Hirn."
(Ich führe aus dem Gedächtnisse an, bitte also um
Nachsicht bei kleinen Irrungen.) Daraus fließt aber auch
das Unsangliche seiner Verse; mögen sie noch so wol-
lautend in der Sprache, so sicher im Rhythmus sein —
und sie sind es, wie wol schon diese Proben erweisen,
die allerdings von der Sicherheit keinen Begriff geben
können, mit der er so schwierige Formen meistert, wie etwa
Ghasel und Sonett — so fehlt ihnen doch immer jenes
geheime Klingen, das nach seiner nothwendigen Er-
gänzung in der Musik sucht. Sie fallen schwer ins Ohr,
 
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