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Allgemeine Kunst-Chronik: ill. Zeitschr. für Kunst, Kunstgewerbe, Musik, Theater u. Litteratur — 15.1891

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Allgemeine Kunst-Chronik. XV. Band Nr. 21
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586

Allgemeine Kunst-Chronik.

Ein neues Drama vom Streit bei Mühl-
dorf )
In der Bühnendichtung Martin Greif's bildet das
Jahr 1879 einen hochragenden Markstein. Aus dem Ge-
biete jener Dramen, die fremde Stoffe behandelten und
von Heinrich Laube am Wiener Stadttheater hinter-
einander mit Beifall aufgeführt wurden, wagte sich der
Dichter bei einem festlichen Anlasse hinüber auf den
Boden der vaterländischen Geschichte. Sein erstes Stück
dieser Art war das Schauspiel „Prinz Eugen", welches
Dingelstedt am 12. April 1880 zum erstenmale und
in neuer Ausstattung am Burgtheater gab. Seit dem
Jahre 1883 hat man dieses hübsch aufgebaute und durch
treffliche Charakteristik der handelnden Personen hervor-
ragende Stück in Wien leider nicht mehr zu sehen be-
kommen, obwol es gerade in dieser Stadt zum größten
Theile spielt und zur Verherrlichung Österreichs ge-
schrieben ist. An der Hofbühne zu München und beim
Jubiläum der Savoyen-Dragoner in Prag fand es gleich-
falls reichlichen Beifall. Greif hat dann nach längerer
Pause seine Staufer-Dramen geschrieben, von denen der
„Konradin" in München bereits eine Reihe gelungener
Aufführungen erlebte. Vor Kurzem ist sein „Ludwig
der Bayer" erschienen.
Das Schauspiel behandelt den bekannten Streit
von Mühldorf zwischen Ludwig dem Bayern und Friedrich
dem Schönen und dessen Schlichtung infolge der Treue
des edelsinnigen Habsburgers. Der viel geknetete Stoff
gilt als wenig dramatisch, wol weil Uhland daran
scheiterte und Heyse damit keinen Erfolg erringen
konnte. Das Haupt des schwäbischen Dichterbundes
verstand es nicht, den Stoff richtig zu gliedern und einen
starken dramatischen Nerv hineinzulegen; das Sagen-
hafte in epischer Form überwiegt bei ihm. Greif hat
dagegen eine andere Eintheilung getroffen und auf
Grund derselben eine wirkliche Handlung von Leben
und Bewegung aufgebaut, die sich um den Grund-
gedanken der siegenden Macht der Treue und Freund-
schaft dreht. Die Handlung spielt in den Jahren 1322
bis 1326. Im ersten Akte, der aus drei Regieszenen be-
steht, finden wir zuerst Ludwig IV. im alten Hof zu
München in Kummer und Betrübnis über seine schwierige
Lage. Seine edle Gemalin Margreta von Holland sucht
seinen gesunkenen Muth durch hochsinnige Worte wieder
zu heben, und der treue Burggraf Friedrich von Zollern
erinnert ihn an des Reiches Hoffnung und bietet ihm
seine Hilfe an. Da meldet Heinrich von Niederbayern
den Einbruch der Feinde am Inn — das erregende
Moment der Handlung. Ludwig ermannt sich jetzt, greift
zum Schwerte und geht mit der Shakespeare'schen
Apostrophe an die Seinen „Bei Mühldorf sehen wir uns
wieder!" ab. In der zweiten Szene ist Friedrich der
Schöne Träger der Handlung; wir finden hier das wirk-
same Gegenbild zur ersten Szene. Friedrich will an-
greifen, aber Wallsee und des Herzogs Gemalin Isa-
bella widerrathen, da Leopold noch nicht zur Stelle ist.
Die Herzogin beschaut Friedrichs Ring, denn nach
seinem Glanze ist Habsburgs Glück beschaffen. Der
1) „Ludwig der Bayer, oder der Streit von Mühldorf." Vater-
ländisches Schauspiel in fünf Akten von Martin Greif. Deutsche Ver-
lagsanstalt, 1891.

Ring ist bleich und trübe, doch Friedrich will ihm
durch Thaten Glanz verleihen. Die sogenannte „tragische
Ironie" ist wie in allen Stücken gewiss auch hier trefflich
herausgearbeitet. Die dritte Szene spielt in Ludwigs
Lager bei Ampfing, wo Johann von Böhmen dem Kaiser
huldigt und Brandenburg fordert. Da er keine Zusage
erlangt, geht er enttäuscht hinweg; es ist der Anfang
seines späteren zweideutigen Benehmens, welches indes
im Drama zu wenig hervortritt. In der Motivirung ist
Greif seit einiger Zeit etwas sorglos geworden. Nun
meldet Purchberger, des Kaisers Hofmeister, dass die
Boten der österreichischen Herzoge in Fürstenfeld auf-
gefangen und die Briefe vertauscht worden, die zwischen
Leopold und Friedrich betreffs der einzuleitenden Schlacht
gewechselt seien. Auf das hin disponirt der fromme
Schweppermann, den die Historiker schon längst ein-
gesargt haben '), die Schlacht. Mit bekanntem Geschick
hat Greif wie im „Eugen" die Anordnungen zum Kampfe
und dessen Durchführung dramatisch dargestellt. Der
Zoller wird in den Hinterhalt gelegt, wie auch die
deutsche Chronik meldet. Friedrich fordert seinen Gegner
auf die Vehenwiese („bunte Wiese") bei Ampfing,
Ludwig gelobt, für den Fall des Sieges an dieser Stelle
ein Kirchlein zu bauen.
Nach dieser sehr geschickten Exposition folgt im
zweiten Akt die Steigerung der Handlung durch die
Schlacht. Sie gliedert sich in mehrere getrennte Epi-
soden, um Ludwigs Charakter nach allen Seiten zu be-
leuchten. Während der Kampf tobt, ist der Kaiser in-
folge der Anordnungen Schweppermann's unthätig und
spintisirt wie Hamlet über Sein und Nichtsein; er
widmet dem gefallenen Trausnitzer einen „warmen
Nachruf" und lässt sich über den Tod des Schlüssel-
bergers berichten — in der Form übrigens das Meister-
stück eines Botenberichtes. Jener wurde für Ludwig
gehalten, wie auch Johannes Victoriensis mittheilt. Greif
hat umfassende Quellenstudien getrieben und alle ver-
wertbaren historischen Einzelheiten in sein Drama ver-
flochten. Der Stift des Regisseurs wird da manches
Opfer fordern. Friedrich pflanzt vor Ludwigs Zelt sein
Banner auf; da kommt der Zoller aus dem Hinterhalt,
die österreichischen Farben tragend, und Friedrich wird
von Albrecht von Rindsmaul gefangen genommen. An
dem Wappen erkennt Friedrich später seinen Besieger.
Den Zug verwertete auch Uhland. Den Schluss des
Aktes bildet die Szene, wo jedem ein Ei gereicht wird,
dem „braven" Schweppermann aber deren zwei. Der be-
kannte Vers ist auch auf seinem Grabstein zu Kastel
zu lesen.
Im dritten Akt bringt Isabella dem Herzog Leopold
vor Alting die Nachricht, Friedrich sei todt, und bittet,
er möge die Leiche wenigstens retten. Die treue Gattin
verfällt in Schlaf und phantasirt vom Wiedersehen mit
ihrem geliebten Friedrich. Leopold aber will vom Ver-
zicht auf Krone und Reich nichts wissen. Vergebens
fleht auch Isabella in der zweiten Szene vor Ludwig in
Regensburg für den geliebten Mann, nachdem sie endlich
erfahren, dass er Tebe. Sie ist fast erblindet und ein
Bild des Jammers. Die dritte Szene spielt zu Trausnitz
L) Vgl. die Abhandlung von O. Dobenecker in den „Mit-
theilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung".
E.-B. 1, 163 fg.
 
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