Allgemeine Kunst-Chronik.
713
von Fräulein Reinhold gespielt. Dasselbe gilt auch von
dem alten Bockerat, der mit Herrn Baumeister besetzt
War. Fräulein Deman vermochte den Anforderungen
der undankbaren und schwierigen Rolle der russischen
Studentin nicht genügend zu entsprechen. Herr Hart-
mann hatte gleichfalls mit der Undankbarkeit seiner
wenig heldenhaften Rolle zu kämpfen. Sehr charakte-
ristisch führte Herr Bonn die Rolle des Braun durch;
er war an Stelle des erkrankten Herrn Thimig getreten.
Auch die kleinen Rollen des Pastors und der Frau
Lehmann waren mit Herrn Schöne und Frau Kratz
sehr gut besetzt. E. Bürde.
Dem in der Hofoper stattfindenden Mozart-Zyklus
bringt man nach wie vor reges Interesse entgegen. Die
Aufführung der drei eigensten Mozart'schen Opern, des
„Figaro", des „Don Juan" und der „Weibertreue"
^Cosi fan tutte) kann als gelungen bezeichnet werden. In
ersterer Oper glückte Frau Ehrenstein (als Gräfin) der
Ausdrucli sentimentaler Schwermuth, wie Fräulein Beeth
(Susanne) derjenige des scherzenden Frohsinns. Unter den
Männern konnten die Herren Ritter (Figaro) und Neidl,
der den Grafen Almaviva vollendet darstellte, um die Palme
streiten. Einen sehr günstigen Eindruck, nicht bloß durch
ihre reizende Erscheinung, sondern auch durch ihren
zarten und tiefausdrucksvollen Gesang machte Frau
Forster als Cherubin. In „Don Juan" war die Titel-
rolle durch Herrn Sommer trefflich vertreten. Seine
durchwegs vornehme Haltung passt ganz gut zu dem
Charakter dieses lockeren, aber furchtlosen spanischen
Edelmannes. Fräulein Lehmann (Elvira) erwies sich im
Koloratur- wie dramatischen Gesang gleich sattelfest. Auch
des Fräuleins v.Artner munteren Zerlinchens sei rühmend
gedacht. Herr Grengg fand als Gouverneur in der
Schlussszene volle Gelegenheit zur Entfaltung seiner ge-
waltigen Stimmmittel. Einen solchen Geist ließ sich das
Publikum gerne gefallen. Herr v. Reichenberg gab
den Leporello zu schwerfällig. Er zog die Rolle aus dem
Drolligen ins Spießbürgerliche. Das zur Schau getragene
Phlegma war da übel genug am Platze. Herr Müller
sang den Ottavio nicht minder schön, wie einige Tage
darauf den Fernando in „Cosi fan tutte". Ihm stand in
diesem leider noch zu wenig gekannten Meisterwerlr Herr
Ritter als Guglielmo durchaus würdig zur Seite. Auch
Fräulein Lehmann und Frau Ehrenstein machten
ihrem Künstlerrufe alle Ehre. Fräulein Renard gab die
Despina mit genialem Übermuth. Neben ihr war der beste
Schauspieler unter allen der unersetzliche Herr Mayer-
hofer, dem die Jahre eben nichts von seinem beweg-
lichen Theaterblut zu rauben scheinen. Die Vorstellung
der „Zauberflöte" bot, wenn wir von der humorvollen
Leistung des Herrn Felix als Papageno, der für Herrn
Ritter eingesprungen war, absehen, keinerlei Neubesetzung.
Wir können uns deshalb kurz fassen und spenden allen
Mitwirkenden, Chor und Orchester miteinbegriffen, das
wolverdiente Lob. Dr. Max Dietz.
Die letzte Neuheit im Deutschen Volkstheäter,
„Das alte Lied", Schauspiel in drei Akten von Felix
Philippi, Mittwoch den 16. zum erstenmale aufgeführt,
behandelt „das alte Lied" von dem betrogenen Ehegatten.
Ich dächte, das Lied von der betrogenen Gattin sei ebenso
alt. Übrigens ist der Titel fast das einzig Neue am
Stück. Alles Andere hat man schon oft gesehen und ge-
hört, zuletzt von Anzengruber, Sudermann, Voss und
Dumas. Mit der Erfindung hat sich der Dichter nicht
allzusehr angestrengt, aber sieht man von einigen Un-
gereimtheiten und Abgeschmacktheiten ab, so muss man
zugestehen, dass das neue Stück aus .alten Lappen ge-
schickt zusammengenäht ist. Die Nahtest freilich hie
und da etwas grob. Einige Szenen sind sehr gut gemacht
und von großer Wirkung. Der Beifall war laut, am lau-
testen beim Schluss des zweiten Aktes. Was davon dem
Dichter, was den Darstellern galt, ist schwer zu sagen.
Gespielt wurde im ganzen gut. Herr Weisse spielte den
ahnungslosen und auch noch den ahnenden betrogenen
Gatten sehr gut, war aber als wissender Gatte in der Schluss-
szene mit der schuldigen Gattin schwach. Letztere wurde
von Fräulein Sandröclc vorzüglich aufgefasst und durch-
geführt. Auch Frau Berg war als berlinisirte Schalanfer
sehr brav, ebenso Fräulein Hausner als Veilchen im
Sumpf und Herr Giampietro als redlicher Liebhaber.
Von Darstellern größerer Rollen wäre sonst niemand zu
loben, dagegen Herr Martinelli in einer Nebenrolle.
Grad'aus dem Zuchthaus kommt er heraus, weil er den Lieb-
haber seiner Frau getödtet hatte. Er bereut seine That
nicht, bereut vielmehr nur, dass er nicht die schuldige
Gattin getödtet. Der betrogene Ehegatte des Stückes,
welchem er seine Geschichte erzählt, begreift die sträf-
liche Selbsthilfe nicht, tödtet aber doch auch am Ende
seine schuldige Frau, leider erst nach einer sehr lang-
weiligen Strafpredigt, welche weder auf die Ehebrecherin
noch auf die Zuhörer Eindruck zu machen vermochte.
Im Theater an der Wien wurde Samstag den
12. d. M. zum erstenmale „Der Damenschneider"
Schwank in drei Akten von George Feydeau, in
deutscher Bearbeitung von Karl Lindau gegeben. Eine
so alberne Posse erinnere ich mich nicht, jemals gesehen zu
haben. Was in aller Welt mochte die Theaterleitung be-
wogen haben, dergleichen vorzuführen? Wollte sie zeigen,
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von Fräulein Reinhold gespielt. Dasselbe gilt auch von
dem alten Bockerat, der mit Herrn Baumeister besetzt
War. Fräulein Deman vermochte den Anforderungen
der undankbaren und schwierigen Rolle der russischen
Studentin nicht genügend zu entsprechen. Herr Hart-
mann hatte gleichfalls mit der Undankbarkeit seiner
wenig heldenhaften Rolle zu kämpfen. Sehr charakte-
ristisch führte Herr Bonn die Rolle des Braun durch;
er war an Stelle des erkrankten Herrn Thimig getreten.
Auch die kleinen Rollen des Pastors und der Frau
Lehmann waren mit Herrn Schöne und Frau Kratz
sehr gut besetzt. E. Bürde.
Dem in der Hofoper stattfindenden Mozart-Zyklus
bringt man nach wie vor reges Interesse entgegen. Die
Aufführung der drei eigensten Mozart'schen Opern, des
„Figaro", des „Don Juan" und der „Weibertreue"
^Cosi fan tutte) kann als gelungen bezeichnet werden. In
ersterer Oper glückte Frau Ehrenstein (als Gräfin) der
Ausdrucli sentimentaler Schwermuth, wie Fräulein Beeth
(Susanne) derjenige des scherzenden Frohsinns. Unter den
Männern konnten die Herren Ritter (Figaro) und Neidl,
der den Grafen Almaviva vollendet darstellte, um die Palme
streiten. Einen sehr günstigen Eindruck, nicht bloß durch
ihre reizende Erscheinung, sondern auch durch ihren
zarten und tiefausdrucksvollen Gesang machte Frau
Forster als Cherubin. In „Don Juan" war die Titel-
rolle durch Herrn Sommer trefflich vertreten. Seine
durchwegs vornehme Haltung passt ganz gut zu dem
Charakter dieses lockeren, aber furchtlosen spanischen
Edelmannes. Fräulein Lehmann (Elvira) erwies sich im
Koloratur- wie dramatischen Gesang gleich sattelfest. Auch
des Fräuleins v.Artner munteren Zerlinchens sei rühmend
gedacht. Herr Grengg fand als Gouverneur in der
Schlussszene volle Gelegenheit zur Entfaltung seiner ge-
waltigen Stimmmittel. Einen solchen Geist ließ sich das
Publikum gerne gefallen. Herr v. Reichenberg gab
den Leporello zu schwerfällig. Er zog die Rolle aus dem
Drolligen ins Spießbürgerliche. Das zur Schau getragene
Phlegma war da übel genug am Platze. Herr Müller
sang den Ottavio nicht minder schön, wie einige Tage
darauf den Fernando in „Cosi fan tutte". Ihm stand in
diesem leider noch zu wenig gekannten Meisterwerlr Herr
Ritter als Guglielmo durchaus würdig zur Seite. Auch
Fräulein Lehmann und Frau Ehrenstein machten
ihrem Künstlerrufe alle Ehre. Fräulein Renard gab die
Despina mit genialem Übermuth. Neben ihr war der beste
Schauspieler unter allen der unersetzliche Herr Mayer-
hofer, dem die Jahre eben nichts von seinem beweg-
lichen Theaterblut zu rauben scheinen. Die Vorstellung
der „Zauberflöte" bot, wenn wir von der humorvollen
Leistung des Herrn Felix als Papageno, der für Herrn
Ritter eingesprungen war, absehen, keinerlei Neubesetzung.
Wir können uns deshalb kurz fassen und spenden allen
Mitwirkenden, Chor und Orchester miteinbegriffen, das
wolverdiente Lob. Dr. Max Dietz.
Die letzte Neuheit im Deutschen Volkstheäter,
„Das alte Lied", Schauspiel in drei Akten von Felix
Philippi, Mittwoch den 16. zum erstenmale aufgeführt,
behandelt „das alte Lied" von dem betrogenen Ehegatten.
Ich dächte, das Lied von der betrogenen Gattin sei ebenso
alt. Übrigens ist der Titel fast das einzig Neue am
Stück. Alles Andere hat man schon oft gesehen und ge-
hört, zuletzt von Anzengruber, Sudermann, Voss und
Dumas. Mit der Erfindung hat sich der Dichter nicht
allzusehr angestrengt, aber sieht man von einigen Un-
gereimtheiten und Abgeschmacktheiten ab, so muss man
zugestehen, dass das neue Stück aus .alten Lappen ge-
schickt zusammengenäht ist. Die Nahtest freilich hie
und da etwas grob. Einige Szenen sind sehr gut gemacht
und von großer Wirkung. Der Beifall war laut, am lau-
testen beim Schluss des zweiten Aktes. Was davon dem
Dichter, was den Darstellern galt, ist schwer zu sagen.
Gespielt wurde im ganzen gut. Herr Weisse spielte den
ahnungslosen und auch noch den ahnenden betrogenen
Gatten sehr gut, war aber als wissender Gatte in der Schluss-
szene mit der schuldigen Gattin schwach. Letztere wurde
von Fräulein Sandröclc vorzüglich aufgefasst und durch-
geführt. Auch Frau Berg war als berlinisirte Schalanfer
sehr brav, ebenso Fräulein Hausner als Veilchen im
Sumpf und Herr Giampietro als redlicher Liebhaber.
Von Darstellern größerer Rollen wäre sonst niemand zu
loben, dagegen Herr Martinelli in einer Nebenrolle.
Grad'aus dem Zuchthaus kommt er heraus, weil er den Lieb-
haber seiner Frau getödtet hatte. Er bereut seine That
nicht, bereut vielmehr nur, dass er nicht die schuldige
Gattin getödtet. Der betrogene Ehegatte des Stückes,
welchem er seine Geschichte erzählt, begreift die sträf-
liche Selbsthilfe nicht, tödtet aber doch auch am Ende
seine schuldige Frau, leider erst nach einer sehr lang-
weiligen Strafpredigt, welche weder auf die Ehebrecherin
noch auf die Zuhörer Eindruck zu machen vermochte.
Im Theater an der Wien wurde Samstag den
12. d. M. zum erstenmale „Der Damenschneider"
Schwank in drei Akten von George Feydeau, in
deutscher Bearbeitung von Karl Lindau gegeben. Eine
so alberne Posse erinnere ich mich nicht, jemals gesehen zu
haben. Was in aller Welt mochte die Theaterleitung be-
wogen haben, dergleichen vorzuführen? Wollte sie zeigen,