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Allgemeine Kunstchronik: ill. Zeitschr. für Kunst, Kunstgewerbe, Musik, Theater u. Litteratur — 15.1891

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Allgemeine Kunst-Chronik. XV. Band Nr. 26
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716 Allgemeine Kunst-Chronik.

ehrte Lucinda scheint aber dem Verführer auf halbem
Wege entgegengekommen zu sein, denn sie sagt zum
Vater:
„O, dass ich diesem Diebe mich ergab,
Ja, ihm zum Einbruch selbst den Schlüssel reichte!"
Auch die Massenabschlachtung am Schlüsse, wobei
Schuldige wie Unschuldige fallen, ist nicht nach meinem
Geschmack. Bei solchen Szenen fällt mir immer Nestroy's
Holofernes ein: „Schafft die Leichen weg, ich kann die
Schlamperei nicht leiden." Sollte nach Greif Francescas
Schuld darin bestehen, dass sie der Stimme des Weibes
nicht Gehör gab, welche sie an die Seite des geliebten
Paolo rief, und, ihrer Pflicht als Fürstentochter eingedenk,
dem ungeliebten Lanciotto die Hand reichte? Es hätte
nichts genützt. Paolo hatte geschworen, dem Bruder die
Gattin zu freien, und Lanciotto, der in Voraussicht der
Dinge, die da kommen würden, ihn durch diesen Schwur
gebunden hatte, weigerte sich, ihn davon zu entbinden.
Hine illae lacrymae. Mancherlei ließe sich noch dagegen,
manches auch dafür sagen. Man lese, wäge und richte —
immerhin wird man ein achtunggebietendes Werk finden.
m.
„Heinrich von Kleist." Trauerspiel in vier Akten,
von Wilhelm v. Polenz. (Dresden und Leipzig, E. Pierson's
Verlag.) Wenn es heißt, dass ein feiner Psychologe als
Dramatiker naturgemäß nur schwer Erfolg haben kann,
da das Rampenlicht nur die gröberen Züge der Seelen-
malerei, nicht aber die zarten Pinselstriche des Klein-
meisters dem Publikum vermittelt, so ist daraus noch
immer nicht der Schluss abzuleiten, dass man mit dem
Wischer des Coulis;enmalers arbeiten muss, um auf
der Bühne Wirkungen hervorzubringen. Diese falsche
Folgerung scheint Wilhem v. Polenz gezogen zu
haben; wenigstens vermied er in seinem Trauerspiel
sorgfältig das Eingehen auf Details und ging auch jeder
tieferen Charakterisirung aus dem Wege. Er hat da durch
z\var keine sogenannten Effekte erreicht, dafür aber vieles
von Wichtigkeitvernachlässigt und somit nur ein schlechtes
Stück geschrieben. Der Dichter, der sich Heinricli v.
Kleist's Schicksal zum Gegenstände eines Werkes, be-
sonders eines Dramas macht, hätte bedenken müssen,
dass der Ausgang desselben dem ganzen Publikum schon
vor 7 Uhr Abends bekannt ist, dass er also das Interesse
und die Spannung in besonderer Weise wachrufen und rege
erhalten muss. Das wäre vor allem durch eine treffliche
und gedankentiefe Charakterisirung des Helden, gleich-
wie durcli eine fesselnde Schilderung seiner unglücklichen
Genossin, und nicht zum letzten durch eine wahrhaft
lebendige Wiedergabe der Umgebung dieser beiden
Menschen wie auch durch eine geistvolle dramatische
Sprache zu erreichen gewesen. Von alledem ist in dem
Stücke Wilhelm v. Polenz' sehr wenig vorhanden, wenn-
gleich man sich sagen muss, dass der Verfasser, wollte
er nur seinen Stoff gründlicher zu erfassen und sicherer
zu beherrschen sich bemühen, ganz wol ein gutes Trauer-
spiel hätte liefern können, da es ihm an Begabung nicht
mangelt. F. S.
„Die Spinnerin am Kreuz." Schauspiel in vier
Aufzügen von Franz Keim. (Wien, Karl Graeser,
1892.) Der dramatische Faden ist etwas grob gesponnen.
Stets ist der Held zur Stelle, sei er noch so weit ent-
fernt und noch so unbekannten Aufenthalts, sobald die

Handlung seine Gegenwart erfordert, aber der Faden ist
stark und reißt nicht, hält sich gut bis ans Ende. Die
Szenen sind gut geführt, die handelnden Personen gut
charakterisirt. Letzteres gilt besonders von den Episoden-
rollen, wie der Hausirer, der Kesselflicker, die schlimme
Rosel. Am besten gefällt mir der Pfarrer von Meidling,
dessen Trauungsrede die Legende von der Spinnerin am
Kreuz vorzüglich erklärt. Auch der Bösewicht, der Wirt
Hochhäuser ist gut gezeichnet, während der Held eine
schärfere Individualisirung wol vertragen hätte und die
Heldin für ihre Umgebung zu romanhaft erscheint, was
freilich mit ihrer vornehmen klösterlichen Erziehung zu
erldären versucht wurde. Der volksthümliche Ton be-
rührt wolthuend, wenn auch nicht überall der Zeit
(zu Ende des dreißigjährigen Krieges) Rechnung ge-
tragen wird. m.

Theater-Nachrichten.
Wien. Frau Antonie Janiscl i wird mit dem
Beginn des neuen Jahres wieder dem Verbände des
Burgtheaters angehören. — Herr Löwe, Mitglied
des Volkstheaters, hat Grabbe's „Herzog von Goth-
land" für diese Bühne neu bearbeitet.
Im Sulkowsky-Theater wurde Dienstag den
15. d. M. „Don Carlos" gegeben, ein großes Stück für
diese kleine Bühne. Wer sich aber eine „Hetz" davon er-
wartete, wurde getäuscht. Dagegen fand man, was man
kaum erwarten konnte: die Rollen des Posa, König
Philipp und Don Carlos auffallend gut dargestellt. Auch
die Darstellerin der Eboli spielte die große Szene mit
Carlos wirkungsvoll. Gehen muss sie freilich noch lernen.
Wer hätte nicht noch etwas zu lernen? War es doch
eine Schülervorstellung, bei welcher freilich viel Kennen
und Können zum Vorschein kam.
Freiburg i. B. „Empor" nennt sich das vieraktige
Schauspiel von Karl Hardegsen, das hier bei seiner
ersten Aufführung eine tiefgehende Wirkung erzielte.
Die Dichtung kämpft gegen das Urtheilen nach dem
todten Buchstaben des Gesetzes an.
I^eipzig. Im Theatersaale des Krystallpalastes wurde
Ibsen's „Nora" von den Mitgliedern des Weimarer
Hoftheaters mit günstigem Erfolge zur Darstellung gebracht.
Breslau. Ludwig Fulda's „Sklavin" ging am
hiesigen Lobe-Theater mit durchschlagendem Erfolg in
Szene. Frau Nieman n - Raab e, die in der weiblichen
Hauptrolle gastirte, bot eine bewundernswerte Leistung.
Florenz. Die neue Oper Mascagni's „Freund
Fritz" gelangte nun auch hier zur Darstellung und fand
beim Publikum wie bei der Krit;k die wärmste Aufnahme.

An die Nacht
O Nacht, wie bist du schauervoll in deinem Nah'n,
Und doch, wie tröstlich ist dein Kommen ,allzugleich!
Es gäbe für uns keine Sterne ohne dich,
Und wir gewahrten nie das ferne Ufer je,
Daran wir landen sollen nacli vollbrachter Fahrt,
Wenn es dein Reich nicht offenbarte uns, o Nacht!
Martin Greif.
 
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