1907
ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU
Heft 5
der Bauten im gelbgrauen, blaugrauen, grüngrauen oder weißen
Ölfarbenanstrich, der mit seinem Fettglanz Konstruktion und
Zierform gleichmäßig bis zur Unkenntlichkeit umhüllt. Die
Billigkeit des Anstriches ist allein maßgebend für den Haus-
besitzer; Schönheitsrücksichten kommen nicht in Frage. Da
muß Wandel geschaffen und der Sinn für sachgemäßen An-
strich neu belebt werden.
Nun besteht die Frage der Fachwerkbemalung keineswegs
seit gestern und heute. Seit zwanzig Jahren gibt es in Hildes-
heim den Pinselverein, der sich die Aufgabe gestellt hat, die
Bemalung der Bauten ihrem Gefüge anzupassen. Auch in
Braunschweig gab es schon vor zwanzig Jahren einen Pinselverein,
der leider schon vor einem Jahrzehnt entschlafen ist. Die
führenden Männer dieser Pinselvereine haben sich in beiden
Orten unzweifelhafte Verdienste damit erworben, daß sie zu-
erst betont haben, wie wichtig es ist, bei der Bemalung des
Fachwerkes die konstruktiven Teile von den Fachausmauerungen
und Putzflächen zu scheiden durch dunklen Anstrich und die
flachen Schnitzereien und Gliederungen farbig abzusetzen.
Beim Beschauen der von den Pinselvereinen hergestellten
Häuser wird jedermann die Empfindung haben, daß das Vor-
gehen derselben dankenswert gewesen ist und viel zur besseren
Erscheinung der Straßen und Häuser beiträgt. Gute Beispiele
der damals beliebten Anstriche sind in Hildesheim das Knochen-
haueramtshaus, in Braunschweig das Dannenbaumsche Haus
in der Auguststraße und die Alte Wage, die allerdings erst vor
drei Jahren nach dem alten, etwas aufgefrischten Rezept neu
bemalt ist.
Bedauerlich ist es vom heutigen Standpunkte der Forschung
aus, daß zu der Zeit, als die Pinselvereine ins Leben traten,
zu wenig Wert darauf gelegt wurde, die ursprüngliche Bemalung
festzustellen. Man hätte damals durch eingehende Untersuchung
noch mehr feststellen können als heute.
So sehen wir bei den damaligen Anstrichen durchweg
Dunkelbraun als Grundton der Hölzer, die Zierate in satten
roten, grünen und blauen Tönen gestrichen, dagegen fehlt in
der angewandten Farbenreihe sowohl das ernste tiefe Schwarz,
wie das belebende Weiß und alle die leuchtenden hellgelben,
hellblauen, hellgrünen Töne. Die Gesamtwirkung ist daher
stets etwas trübselig, zumal wenn auch die roten Fachaus-
mauerungen noch schwarz gefugt sind, was leider auch oft
vorkam.
Nachdem der braunschweigische Pinselverein sanft ent-
schlummert war, wurde die von ihm eingeführte Bemalung
durch Maler minderer Güte verschlechtert. Die Holztöne wurden
dunkel schokoladebraun, die Zierfarben noch dunkler.
Ich rechne es mir als Verdienst an, daß ich gegen diese
Art der Fachwerkbemalung zuerst energisch Front gemacht
habe, als ich vor fünf Jahren nach Braunschweig kam, und
daß ich damit für die hiesigen Verhältnisse den Anstoß zu
neuer Forschung und neuen Versuchen gegeben habe.
Wenn auch die nächstbeteiligten Fachgenossen teilweise
nur zögernd meinen kritischen Einwendungen Raum gaben —
einige bezweifelten, daß die Fachwerke überhaupt bemalt ge-
wesen seien, andre befürchteten
von der Verwendung lebhafter
Farben eine zu rohe, bäuerische
Wirkung —, so herrscht in unserm
Denkmalausschusse zur Zeit Ein-
stimmigkeit darüber, daß die Be-
malung der Fachwerke ursprüng-
lich eine wesentlich andere war,
als die von den Pinselvereinen
beliebte.
Wesentlich zur Förderung uns-
rer Kenntnis der alten Bemalungen
hat die Instandsetzung des Rohr-
sehen Hauses am Markte in Helm-
stedt beigetragen.
Das Gebäude wurde 1567 als
Absteigequartier des Herzogs er-
baut mit reichgeschnitzter Fassade.
Rohrsches Haus in Helmstedt.
Zustand von 1821—1902.
Nach einer Zeichnung von
Döring & Lehrmann in Braunschweig.
Ein farbiger Holzschnitt aus dem 18. Jahrhundert stellt es mit
blauem Anstrich dar. 1821 ist es verputzt worden, wobei die vor-
springenden Gesimse, Knaggen und Teile der Schnitzerei abge-
hauen wurden. Die Erscheinung des Gebäudes im 19. Jahr-
hundert war die eines graugestrichenen Putzbaues. Kaum konnte
man in diesem Putzbau altes verziertes Fachwerk vermuten.
Als im Jahre 1902 ein Ladenumbau vorgenommen werden
sollte, ergab sich zu allseitiger Überraschung und zur Freude
unsres eben gegründeten Denkmalausschusses, daß die oberen
Geschosse unter dem Putz noch Reste der reichen Schnitzereien
enthielten, in einer Fassung, die bei uns sonst nicht vorkommt.
Es fanden sich trotz vielfacher Zerstörung doch genügend
Anhalte, um das Haus wiederherzustellen, wozu das Herzog-
liche Staatsministerium und die Stadt Helmstedt die Geldmittel
bereitstellten.
Das Schnitzwerk bestand größtenteils aus Wappen der
Landesherren, der Stadt Helmstedt und ihrer geistlichen Stifter
und Ratsherren; ferner aus allegorischen Darstellungen der
Tugenden und freien Künste, ornamentalen Verzierungen und
Spruchbändern. Die fehlenden Teile wurden nach verwandten
Darstellungen eines Fachwerkhauses inEimbeck ergänzt. Widrige
Umstände örtlicher Art haben zwar eine mustergültige Herstellung
vereitelt. Doch ist abgesehen von den Fenstern die Her-
stellung der Obergeschosse noch leidlich geraten. Uns inter-
essieren hier die aufgefundenen Farbenreste und die Fest-
stellung derselben.
Unter dem Kalkputz hatte das Haus noch durchgehends
einen grüngrauen Anstrich. Bei den allerersten Untersuchungen
fand ich beim Abbröckeln späterer Kittfugen dunkelschwarze
und lebhaft-rote Farbenspuren. Meine damaligen Vorstellungen
der Farbengebung der Fachwerkbauten hielten mich ab, diese
Farben für Reste der alten Bemalung anzusehen. Ich kratzte
und schabte mit dem Messer an vielen Stellen — erfolglos!
Auch gelegentlich eines Studienausfluges, den die Archi-
tekturabteilung der Technischen Hochschule zu Braunschweig
nach Helmstedt unternahm, um das Gebäude aufzunehmen,
gelang es nicht, Farbenspuren zu finden, selbst nicht auf den
Wappen, deren heraldische Farben bekannt waren.
Da niemand andre Farben fand, wurde in Aussicht ge-
nommen, das Haus wieder blaugrün anzustreichen und die
Gründe der Verzierungen hervorzuheben.
Das Bild änderte sich aber gewaltig, als das alte Holz-
werk geölt wurde. Mit einem Male wurden an den Wappen
Farben sichtbar; die Untersuchung ergab, daß sie unter dem
grauen Anstrich saßen.
l'bM'i'l'iM.i'l-T I • ■ 4 T-
Skizze für den Umbau des Rohrschen Hauses Architekt: Professor Georg
in Helmstedt. (Erdgeschoß nicht ausgeführt.) Lübke in Braunschweig.
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der Bauten im gelbgrauen, blaugrauen, grüngrauen oder weißen
Ölfarbenanstrich, der mit seinem Fettglanz Konstruktion und
Zierform gleichmäßig bis zur Unkenntlichkeit umhüllt. Die
Billigkeit des Anstriches ist allein maßgebend für den Haus-
besitzer; Schönheitsrücksichten kommen nicht in Frage. Da
muß Wandel geschaffen und der Sinn für sachgemäßen An-
strich neu belebt werden.
Nun besteht die Frage der Fachwerkbemalung keineswegs
seit gestern und heute. Seit zwanzig Jahren gibt es in Hildes-
heim den Pinselverein, der sich die Aufgabe gestellt hat, die
Bemalung der Bauten ihrem Gefüge anzupassen. Auch in
Braunschweig gab es schon vor zwanzig Jahren einen Pinselverein,
der leider schon vor einem Jahrzehnt entschlafen ist. Die
führenden Männer dieser Pinselvereine haben sich in beiden
Orten unzweifelhafte Verdienste damit erworben, daß sie zu-
erst betont haben, wie wichtig es ist, bei der Bemalung des
Fachwerkes die konstruktiven Teile von den Fachausmauerungen
und Putzflächen zu scheiden durch dunklen Anstrich und die
flachen Schnitzereien und Gliederungen farbig abzusetzen.
Beim Beschauen der von den Pinselvereinen hergestellten
Häuser wird jedermann die Empfindung haben, daß das Vor-
gehen derselben dankenswert gewesen ist und viel zur besseren
Erscheinung der Straßen und Häuser beiträgt. Gute Beispiele
der damals beliebten Anstriche sind in Hildesheim das Knochen-
haueramtshaus, in Braunschweig das Dannenbaumsche Haus
in der Auguststraße und die Alte Wage, die allerdings erst vor
drei Jahren nach dem alten, etwas aufgefrischten Rezept neu
bemalt ist.
Bedauerlich ist es vom heutigen Standpunkte der Forschung
aus, daß zu der Zeit, als die Pinselvereine ins Leben traten,
zu wenig Wert darauf gelegt wurde, die ursprüngliche Bemalung
festzustellen. Man hätte damals durch eingehende Untersuchung
noch mehr feststellen können als heute.
So sehen wir bei den damaligen Anstrichen durchweg
Dunkelbraun als Grundton der Hölzer, die Zierate in satten
roten, grünen und blauen Tönen gestrichen, dagegen fehlt in
der angewandten Farbenreihe sowohl das ernste tiefe Schwarz,
wie das belebende Weiß und alle die leuchtenden hellgelben,
hellblauen, hellgrünen Töne. Die Gesamtwirkung ist daher
stets etwas trübselig, zumal wenn auch die roten Fachaus-
mauerungen noch schwarz gefugt sind, was leider auch oft
vorkam.
Nachdem der braunschweigische Pinselverein sanft ent-
schlummert war, wurde die von ihm eingeführte Bemalung
durch Maler minderer Güte verschlechtert. Die Holztöne wurden
dunkel schokoladebraun, die Zierfarben noch dunkler.
Ich rechne es mir als Verdienst an, daß ich gegen diese
Art der Fachwerkbemalung zuerst energisch Front gemacht
habe, als ich vor fünf Jahren nach Braunschweig kam, und
daß ich damit für die hiesigen Verhältnisse den Anstoß zu
neuer Forschung und neuen Versuchen gegeben habe.
Wenn auch die nächstbeteiligten Fachgenossen teilweise
nur zögernd meinen kritischen Einwendungen Raum gaben —
einige bezweifelten, daß die Fachwerke überhaupt bemalt ge-
wesen seien, andre befürchteten
von der Verwendung lebhafter
Farben eine zu rohe, bäuerische
Wirkung —, so herrscht in unserm
Denkmalausschusse zur Zeit Ein-
stimmigkeit darüber, daß die Be-
malung der Fachwerke ursprüng-
lich eine wesentlich andere war,
als die von den Pinselvereinen
beliebte.
Wesentlich zur Förderung uns-
rer Kenntnis der alten Bemalungen
hat die Instandsetzung des Rohr-
sehen Hauses am Markte in Helm-
stedt beigetragen.
Das Gebäude wurde 1567 als
Absteigequartier des Herzogs er-
baut mit reichgeschnitzter Fassade.
Rohrsches Haus in Helmstedt.
Zustand von 1821—1902.
Nach einer Zeichnung von
Döring & Lehrmann in Braunschweig.
Ein farbiger Holzschnitt aus dem 18. Jahrhundert stellt es mit
blauem Anstrich dar. 1821 ist es verputzt worden, wobei die vor-
springenden Gesimse, Knaggen und Teile der Schnitzerei abge-
hauen wurden. Die Erscheinung des Gebäudes im 19. Jahr-
hundert war die eines graugestrichenen Putzbaues. Kaum konnte
man in diesem Putzbau altes verziertes Fachwerk vermuten.
Als im Jahre 1902 ein Ladenumbau vorgenommen werden
sollte, ergab sich zu allseitiger Überraschung und zur Freude
unsres eben gegründeten Denkmalausschusses, daß die oberen
Geschosse unter dem Putz noch Reste der reichen Schnitzereien
enthielten, in einer Fassung, die bei uns sonst nicht vorkommt.
Es fanden sich trotz vielfacher Zerstörung doch genügend
Anhalte, um das Haus wiederherzustellen, wozu das Herzog-
liche Staatsministerium und die Stadt Helmstedt die Geldmittel
bereitstellten.
Das Schnitzwerk bestand größtenteils aus Wappen der
Landesherren, der Stadt Helmstedt und ihrer geistlichen Stifter
und Ratsherren; ferner aus allegorischen Darstellungen der
Tugenden und freien Künste, ornamentalen Verzierungen und
Spruchbändern. Die fehlenden Teile wurden nach verwandten
Darstellungen eines Fachwerkhauses inEimbeck ergänzt. Widrige
Umstände örtlicher Art haben zwar eine mustergültige Herstellung
vereitelt. Doch ist abgesehen von den Fenstern die Her-
stellung der Obergeschosse noch leidlich geraten. Uns inter-
essieren hier die aufgefundenen Farbenreste und die Fest-
stellung derselben.
Unter dem Kalkputz hatte das Haus noch durchgehends
einen grüngrauen Anstrich. Bei den allerersten Untersuchungen
fand ich beim Abbröckeln späterer Kittfugen dunkelschwarze
und lebhaft-rote Farbenspuren. Meine damaligen Vorstellungen
der Farbengebung der Fachwerkbauten hielten mich ab, diese
Farben für Reste der alten Bemalung anzusehen. Ich kratzte
und schabte mit dem Messer an vielen Stellen — erfolglos!
Auch gelegentlich eines Studienausfluges, den die Archi-
tekturabteilung der Technischen Hochschule zu Braunschweig
nach Helmstedt unternahm, um das Gebäude aufzunehmen,
gelang es nicht, Farbenspuren zu finden, selbst nicht auf den
Wappen, deren heraldische Farben bekannt waren.
Da niemand andre Farben fand, wurde in Aussicht ge-
nommen, das Haus wieder blaugrün anzustreichen und die
Gründe der Verzierungen hervorzuheben.
Das Bild änderte sich aber gewaltig, als das alte Holz-
werk geölt wurde. Mit einem Male wurden an den Wappen
Farben sichtbar; die Untersuchung ergab, daß sie unter dem
grauen Anstrich saßen.
l'bM'i'l'iM.i'l-T I • ■ 4 T-
Skizze für den Umbau des Rohrschen Hauses Architekt: Professor Georg
in Helmstedt. (Erdgeschoß nicht ausgeführt.) Lübke in Braunschweig.
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