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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 23.1907

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Heft 8
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Haupt, Albrecht: Von germanischer Baukunst, [3] ; II. Ältester Holzbau
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https://doi.org/10.11588/diglit.44950#0075

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1907

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 8

Holzbaukunst als völlig erwiesen zu betrachten, und zwar also
für Franken resp. Hessen, wie für Westfalen; weiter gefaßt für
Nord- wie für Mitteldeutschland. In Süddeutschland wird es
nicht anders gewesen sein.
Denn diese unsre Trennungsmauern sind ebenfalls in jedem
Stockwerk vorgekragt (Abb. 2, 3), während sie im Erdgeschosse,
das überall vorwiegend massiv errichtet ist, verschwinden oder
bündig mit dem Mauerwerk abgleichen.
Die zweite wichtige Tatsache, die uns die Brandmauern
erzählen, ist die, daß die ältesten Häuser auch der Regel nach,
wie die späteren, mit dem Giebel nach der Straße zu standen,
also die Dachfirste nach der Tiefe liefen, und parallel dazu die
Rinnen, die ihr Wasser denn vorwiegend nach der Straße
ergossen.
Denn: da wo nur eine gemeinsame Feuermauer die Häuser
trennt, ist oben meistens heute noch die aufliegende Steinrinne
mit Wasserspeier wohl erhalten oder erkennbar. So in Geln-
hausen überall.
Das gilt auch für das alte Braunschweig; andrerseits habe
ich gleiches für Frankfurt a. M. und Mainz feststellen können.
In Osnabrück dagegen, ganz offenbar dem Charakter der
westfälischen Landstadt mehr entsprechend, da heute noch auf
dem Lande die Bauerngüter überall auf eigenem Grund einzeln
liegen, stehen auch die Holzhäuser noch meist getrennt; es
hat also jedes einzelne nach den Nachbarn zu zwei Schutz-
mauern, stockwerkweise vorgekragt, und zwischen diesen läuft
die wohlbekannte enge gepflasterte Rinne, der »Winkel«, vom
Hofe nach der Straße. So wurde also aufliegende Rinne und
Wasserspeier nach der Straße zu erspart (Abb. 4).
Das schon früh mit Ziegeln oder, wie in der Wesergegend,
mit Steinplatten gedeckte Dach scheint als wenig feuergefähr-
lich angesehen worden zu sein, da
die Brandmauer mit der Rinne
aufhört.
Es ist nun von Interesse, zu
sehen, wie in der mittleren »goti¬
schen« Zeit tatsächlich die Über¬
kragung der Stockwerke, obwohl
konstruktiv nicht immer mit Grund,
wegfällt und die Vorderfront senk¬
recht aufsteigt. Hierfür bietet uns
Gelnhausen wieder ein gutes Bei¬
spiel (Abb. 5). Aus den seitlichen
Kragsteinen, heute ohne Zweck,
läßt sich wohl schließen, daß auf
der uns zugekehrten Seite, wo heute
nichts mehr steht, einst noch ein
Fachwerkhaus gebaut war, was auch
die aufliegende Rinne bestätigt; und
die Kragsteine ergeben weiter, daß
die Vorderwand dieses etwas zu¬
rückstehenden Hauses ebenfalls der
Stockwerksvorkragungen entbehrte.
Ein andres, sicher noch älteres
Haus (Abb. 6) daselbst beweist uns
aber, daß dies nur eine vorüber¬
gehende Mode gewesen ist; denn
wir sehen hier die einfachste Art
der Vorkragung nach allen Straßen¬
seiten , aber von ganz mächtiger
Ausladung, und zugleich die Feuer¬
schutzmauer nach dem nur ein¬
stöckigen Nachbarhause auch nur
bis zu dessen Dach hinaufgeführt;
die nach dem andern Nachbar offen¬
bar abgebrochen und durch eine
moderne ersetzt.
Diese Unterbrechung der Sitte
der Vorkragung durch die Einfüh¬
rung vertikaler glatter Vorderfront
war nur von kurzer Dauer, denn
das ganze fernere 15, Jahrhundert,

wie das 16. und 17. kehrten ohne Besinnen
wieder zu den alten Auskragungen zurück,
knüpften demnach wieder an die ältere
Überlieferung an (Abb. 7).
Die gerade Form ist leicht als ein
Einbruch französischen Wesens und seiner
Gotik zu erkennen; Auskragungen sind
in jenem Lande selten und beschränken
sich dann meist auf das erste Stockwerk.
In Rouen sind die bekannten schönen
Fachwerkhäuser meist von unten bis zum
Dach glatt mit durchgehenden starken
Eckpfosten. Hier und da ist denn wohl
von uns aus als Gegengabe die germani-
sche Auskragung dort eingedrungen und
hat bei dem starken germanischen Element
Nordfrankreichs auch manchmal Anklang
gefunden, doch nirgends dauernd. Viel-
mehr bleibt die eigentliche französische Holzbaukunst zu jeder
Zeit eine reine Übertragung des Steinbaus in andres, billigeres
Material; nirgends findet sich eine solche grundsätzliche künst-
lerische und technische Verschiedenheit, wie sie in germanischen
Ländern zwischen Stein- und Holzbau überall besteht. Bei uns
ist eben der reich ausgebildete Holzbau das Ursprüngliche,
Bodenwüchsige gewesen, der Steinbau — ausgenommen wohl
an Befestigungs- und Wehrbauten — das Übernommene.
Aber noch zu weiterem Nachdenken und zu eingehenderen
Untersuchungen regt das vorhandene Material, von den Brand-
mauern angefangen, uns an.
Wie oben bemerkt, haben wir in der Wiederaufnahme der
Vorkragungen am Ende des 15. und vor allem im 16. Jahr-

4. Holzhäuser in Osnabrück.



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