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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 37.1902

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Heft 4
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https://doi.org/10.11588/diglit.44085#0106
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98

Das Buch für Alle

M 4.

wenigstens vom männlichen Teile der Besucher der „Wiese", I
während die Frauen auch gern die Sehenswürdigkeiten
der Schaubuden in Augenschein nehmen. Immer höher
steigt mit dem Vorrücken des Tages der Lärm und die
bierselige Stimmung, immer mehr röten sich die Ge-
sichter, und wenn die besorgte Gattin endlich ihren Ehe-
herrn in mehr oder minder energischer Weise zur Heim-
kehr mahnt, so heißt es gewöhnlich lachend zurück: „Wir
gehn noch lange nicht!" Solch eine Scene führt uns
das Bild auf S. 95 in humorvoller Weise vor Augen.
Der biedere Münchener Bierphilister, ein prächtiges
Exemplar seiner Art, der sich da mit gleichgesinnten
Genossen festgekneipt hat, scheint schon in jener Stimmung
zu sein, wo man jenseits von gut und böse steht, und
seine Ehehälfte, der man übrigens ansieht, daß sie eben-
falls dem braunen Trank nicht abhold ist, sucht ihn ver-
geblich zum Aufbruch zu bewegen Sie hat sich offenbar
zu einer energischen Standrede hinreißen lassen, aber
die vergnügt schmunzelnden Gesichter der Zuhörer, wie
die lachende Abwehr des Mannes lassen ihr diesmal
keine Hoffnung, den Sieg zu erringen. Es bleibt dabei:
„Wir gehn noch lange nicht!"
-»»e—

Oacks, von käkisrn verkolgl.
(Zislis das untenstehende klld.)
rxas unschädlichste unter den größeren europäischen
Raubtieren ist der Dachs, der zwar zur Familie
der Marder gehört, sich aber mit seinem trägen, phleg-
matischen Temperament sehr wesentlich von seinen blut-
dürstigen, allezeit mordbereiten Gattungsverwandten
unterscheidet. Wenn er trotzdem zu den bestgehaßten
und meistverfolgten Geschöpfen zählt, so hat er das vor-
allem seinem höchst unliebenswürdigen Naturell zuzu-
schreiben, das ihm in der That weder unter Menschen
noch unter Tieren Freunde erwerben kann. Er ist der
rechte Typus eines selbstsüchtigen, mißtrauischen, immer
verdrießlichen Murrkopfes, dem alle Geselligkeit ein
Greuel ist, und den selbst der mächtige Naturtrieb der
Liebe nur für eine sehr kurze Zeit des Jahres bestimmt,
seine Lebensweise eines galligen Einsiedlers aufzugeben.
Auch seine äußere Erscheinung ist nicht eben von be-
stechender Schönheit. Er ist von gedrungenem, kräftigem
Bau Auf dem dicken Halse sitzt ein langer Kopf mit
riisselförmig zugespitzter Schnauze, kleinen Augen und
winzigen Ohren. Seine Sohlen sind nackt, und die

Vorderfüße mit starken Krallen bewehrt, die ihm beim
Graben vortreffliche Dienste leisten. Denn der Dachs
bringt den größeren Teil seines Daseins in selbstge-
grabenen Höhlen zu, die er mit einer gewissen Kunst-
fertigkeit anzulegen weiß Der Kessel, zu welchem stets
mehrere Röhren führen, ist mit einem weichen, bequemen
Mooslager ausgepolstert und zeichnet sich im Gegensatz
zu fast allen unterirdischen Behausungen anderer Säuge-
tiere durch eine geradezu peinliche Sauberkeit aus. Diesen
Bau bewohnt der Dachs mit Ausnahme der kurzen
Paarungszeit ganz allein und hält weder mit seinem
Weibchen, noch mit anderen Tieren Freundschaft. Erst
wenn die Nacht vollkommen eingebrochen ist, fährt er
aus, um in seiner langsamen, schwerfälligen Weise die
zur Befriedigung des Nahrungsbedürfnisses unerläßlichen
Streifzüge zu unternehmen. Im Frühling und Sommer
lebt er vorwiegend von Wurzeln, Schnecken und Regen-
würmern; aber er verschmäht nebenher Frösche, Eidechsen
und Feldmäuse ebensowenig, als er Bedenken trägt, sei-
nen Speisezettel gelegentlich durch die Einfügung einiger
halbflügger Vögel oder eines jungen Häschens etwas
reichhaltiger zu gestalten. Das Vergnügen an seinen
Jagdausflügen wird ihm indessen sehr häufig durch die

llacllz, von köätiem verfolgt.


unerbetene Einmischung eines anderen, ebenso unliebens-
würdigen und mißgünstigen Strauchdiebes, des jedem
Weidmann gründlich verhaßten Eichel- oder Nuß-
hähers, verdorben; dieser streitsüchtige Nesträuber hat
nämlich die Gewohnheit, größere, vierfüßige Raubtiere,
besonders den Dachs, mit unablässigem wütendem
Geschrei zu verfolgen, so daß das kleine Getier des
Waldes dadurch rechtzeitig vor der Annäherung des
Feindes gewarnt wird. Und wenn sich erst einmal, wie
auf unserem Bilde, einige der gefiederten Quälgeister
an die Spuren des auf Beute ausgehenden Dachses
geheftet haben, muß Meister Grimbart sich wohl oder
übel bald den Appetit auf alle besonderen Leckerbissen
vergehen lassen.

Die Zlilinsmission 6er Prinren Tsdiun.
Cisks das N!IiI aul Zelts 44.)
Nach einer kurzen Reiseunterbrechung in Basel, die
" durch Verhandlungen über die Formen seiner Audienz
der dem deutschen Kaiser bedingt worden war, traf
Prinz Tschun, der Bruder und Abgesandte des Kaisers
von China, mit seinem großen Gefolge in Potsdam ein
Auf dem Bahnhofe hatten sich nur die Mitglieder der
ständigen chinesischen Gesandtschaft in Berlin, der Stadt-
kommandant und der Polizeidirektor von Potsdam zum
Empfange eingefunden. Schon am nächsten Vormittag

entledigte sich der Prinz des Auftrages, der ihn nach
Europa geführt hatte, indem er namens seines kaiser-
lichen Bruders jene Entschuldigungen vorbrachte, die von
der deutschen Regierung als Sühne für den in Peking
begangenen Gesandtenmord gefordert worden waren.
Vor dem Neuen Palais in Potsdam hatte die 2. Com-
pagnie des Lehrbataillons Aufstellung genommen; aber
sie erwies dem vorfahrenden Prinzen keinerlei Honneur.
Raschen Schrittes betrat Prinz Tschun unter Zurück-
lassung seines Gefolges das Innere des Schlosses und
wurde, nur von dem chinesischen Botschafter begleitet,
in den sogenannten Muschelsaal geführt, wo Kaiser
Wilhelm bedeckten Hauptes auf dem Thronsessel Platz
genommen hatte, umgeben von den zur Zeit in Pots-
dem anwesenden Prinzen, den Hofchargen, dem Staats-
sekretär des Auswärtigen Amtes Di-. Freiherrn v. Richt-
hofen und einem glänzenden militärischen Gefolge. Als
der chinesische Prinz im Saale erschien, begrüßte ihn der
Kaiser, ohne sich zu erheben, mit einer kurzen Hand-
bewegung. Und er blieb auch sitzen, während sich Prinz
Tschun unter wiederholten tiefen Verbeugungen dem
Throne näherte und in einer längeren Anrede dem Be-
dauern seines kaiserlichen Bruders über die Ermordung
des Freiherrn v. Ketteler Ausdruck gab. Am Schluffe
der Ansprache überreichte der jugendliche Sühnegesandte
ein kunstvoll ausgestattetes Handschreiben des Kaisers
von China, das den Gefühlen der Reue und der Be-
schämung über das Vorgefallene ebenfalls Worte gab

(siehe das Bild auf S. 99). Nachdem die Rede des
Prinzen verdeutscht worden war, verlas Kaiser Wilhelm
mit energischer Stimme eine Erwiderung von strenger
und nachdrücklicher Fassung. Die markanteste Stelle
lautete, die Ratgeber des chinesischen Kaisers und seine
Regierung möchten sich nicht darüber täuschen, daß ihnen
Entsühnung und Verzeihung für ihr Verschulden nicht
durch diese Gesandtschaft allein ausgewirkt werden
könne, sondern nur durch ihr späteres Verhalten gemäß
den Vorschriften des Völkerrechts und der Sitte zivili-
sierter Nationen. Mit dieser Entgegnung des Kaisers
war die Mission des Prinzen erledigt, und er verließ-
rückwärts schreitend unter erneuten Verbeugungen den
Saal. Als er aus dem Palais trat, präsentierte die
Wache, und er wurde von einer Schwadron Leibgarde-
husaren bis zu seiner im Orangeriegebäude gelegenen
Wohnung geleitet.
William Mc Kinlel/, Präsident dsr
Vereinigten Staaten von Nordamerika f.
<Z!elie dos kild au! 8e!ts 104.)
ieder ist die ganze zivilisierte Welt in Aufregung
gesetzt worden durch ein Attentat auf das Ober¬
haupt eines Staates, und zwar ivar es der Präsident
der Vereinigten Staaten von Nordamerika, William
 
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